Transferpolitik:FC Bayern ist auf Brautschau

Transferpolitik: Warten auf Einsätze beim FC Bayern: Pierre Emile Höjbjerg, Julien Green, Rafinha und Sebastian Rode bei der Geduldsübung für das Mannschaftsfoto.

Warten auf Einsätze beim FC Bayern: Pierre Emile Höjbjerg, Julien Green, Rafinha und Sebastian Rode bei der Geduldsübung für das Mannschaftsfoto.

(Foto: Matthias Schrader/AP)
  • Die europäischen Großklubs kaufen immer mehr Talente auf Vorrat, auch der FC Bayern.
  • Dem 19-jährigen Joshua Kimmich könnte der 16-jährige Martin Ödegaard folgen.
  • Die Konkurrenz in der Bundesliga verfolgt die Entwicklung mit Argwohn.

Von Christof Kneer

Heribert Bruchhagen ist einfach kein Romantiker. Für den Vorstandsvorsitzenden von Eintracht Frankfurt ist Fußball ein nüchternes Geschäft, das sich um Lizenzspieleretats, Fernsehgeldtabellen und Vermarktungsparameter dreht. Bruchhagen kann auch ganz hervorragende Anglizismen bauen, er sagt exzellente Vorstandsvorsitzenden-Sätze, in denen Versatzstücke wie benefit, corporate identity oder one face to the customer vorkommen. Am Freitag hat Bruchhagen mit nüchterner Leidenschaft über ein weiteres technokratisches Thema referiert, er hat eine "Zentralisierung der Talente" beanstandet. Er hat damit dasselbe gemeint wie der Mönchengladbacher Kollege Max Eberl, der lieber mit Metaphern arbeitet. Er wisse nicht, ob es dem deutschen Fußball gut tue, "wenn man die Talente erntet, bevor sie reif sind", meinte Eberl; die Talente könnten sich doch auch "anderswo ihre Sporen verdienen" und erst danach zum FC Bayern gehen.

Die Bundesliga hat ihre Spieler gerade in die Winter-Trainingslager nach Katar, Kapstadt oder Belek geschickt, aber sie macht niemals wirklich Pause. Sie hat auch in den Ferien ein Thema entdeckt, das so vorzüglich ist, das eine Nachrichtenagentur sogar Michael Born befragt hat. Michael Born ist der Sportliche Leiter des SC Paderborn, und er sagte: "Dass die großen Vereine um die ganz großen Talente konkurrieren, weil sie auf den neuen Messi hoffen, ist klar. Die anderen Talente allerdings, die dürfen den zweiten Schritt nicht vor dem ersten machen."

Gehören sie überhaupt zu den großen Talenten?

Das führt zur entscheidenden Frage: Wer oder was sind Joshua Kimmich und Martin Ödegaard? Gehören sie zu den ganz großen Talenten oder gehören sie zu den anderen?

Die Liga grummelt sich gerade durch die Winterpause, es gefällt ihr nicht, was sie sieht und hört; dass der FC Bayern den ligaweit umworbenen Pierre-Emile Hojbjerg, 19, zwar gnädig nach Augsburg ausleiht, den Spieler aber mittels vorheriger Vertragsverlängerung im Grunde doch vom Markt nimmt; dass dieselben Bayern ankündigen, im Sommer den 19-jährigen Mittelfeldspieler Joshua Kimmich aus Stuttgart zu holen und dass sie sich nicht genieren, über sieben Millionen in ein Talent zu investieren, das über statistisch exakt erfasste null Bundesligaspiele verfügt.

Das passt zu den Geschichten über den 16-jährigen Norweger Martin Ödegaard, der laut unabhängigen Experten die beste Ballbehandlung seit Messi besitzt; auch bei ihm würde sich Bayern nicht genieren, eine knackige Millionensumme aufzuwenden, und dass Ödegaard in dieser Woche dem Mitbewerber Real Madrid einen gut dokumentierten Besuch abgestattet hat, wird an der Säbener Straße nicht als Vorentscheidung gewertet. Die Bayern wussten das, Ödegaards Vater hatte den Madrid-Trip offiziell bei Bayern hinterlegt. Die Münchner gehen immer noch davon aus, dass sie im Wettbewerb um den Ödegaard-Pokal im Finale stehen. München oder Madrid, einer wird gewinnen.

Ein Trend, der den Fußball bewegt

Es gilt also weiter, was Karl-Heinz Rummenigge vor Weihnachten über Ödegaard gesagt hat: "Eine schöne Braut offensichtlich, und viele Bräutigame warten vor der Tür. Vielleicht sind wir ja der schöne Bräutigam." Anders als Heribert Bruchhagen ist Karl-Heinz Rummenigge offenbar ein furchterregender Romantiker.

Vermutlich hat Rummenigge das nicht gewollt, aber er hat ein schönes Bild gefunden für jenen Trend, der den europäischen Fußball gerade bewegt. Europas Spitzenklubs sind extrem auf Brautschau, und die Bräute werden dabei immer jünger. "Viel aggressiver als früher" seien vor allem die englischen Topklubs auf dem Markt der 16- bis 18-Jährigen unterwegs, sagt ein Insider, und wer will, kann diese Aggressivität auch an Zahlen ablesen. 1:4, 0:6 - derart unmissverständlich haben die A-Junioren des FC Bayern in der europäischen Youth League ihre Spiele gegen die A-Junioren von Manchester City verloren. Was da als "Manchester City" auflief, war eher eine U19-Weltauswahl - ein Sammelsurium an früh gecasteten Eliteschülern, von denen ein paar nach oben durchkommen werden; die anderen werden verliehen oder mit dem preistreibenden Stempel "ManCity-Spieler" verkauft, und wer's gar nicht schafft . . . der schafft's halt gar nicht.

That's business, wie Heribert Bruchhagen möglicherweise sagen würde.

Das europaweite Baggern, Balzen und Buhlen wird den FC Bayern nicht verändern, aber anpassen werden die Münchner ihre Transferpolitik auf jeden Fall. Zwar sei speziell der Kimmich-Transfer keine Reaktion auf das Geschäftsgebaren der Aggressoren aus dem Ausland, sagen sie bei Bayern, sondern "eine reine Überzeugungstat". Aber dennoch hat sich auch in München die Erkenntnis durchgesetzt, dass vor allem der frühe Vogel das Talent fängt. Die Bayern werden künftig seltener gemütlich beim Weißwurst-Frühstück sitzen und ihre Interessen anschließend mit einem dicken Scheck regeln; auch sie werden zu Frühaufstehern werden und einige Zeit im Bad verbringen, um einen möglichst attraktiven Bräutigam abzugeben.

Gute Erfahrungen im Leasinggeschäft

Bayerns Transferpolitik werde immer "ein guter Mix" sein, so haben es Sportchef Matthias Sammer und der technische Direktor Michael Reschke zuletzt stets angedeutet, das heißt, dass die Bayern sich auch weiter die Freiheit nehmen werden, Spieler zu kaufen, die 30 Millionen kosten und aus Barcelona, Rom oder vielleicht sogar aus Dortmund kommen. Aber im Mix werden künftig mehr von jenen Talenten enthalten sein, die man auf den internationalen Brautmodenschauen findet.

So werden künftig auch die Bayern tausend Einzelfallprüfungen zu absolvieren haben, sie werden immer aufs Neue bewerten müssen, welches Talent welchen Weg rechtfertigt; ob sie das Talent am Ende wieder gehen lassen wie jetzt gerade den quadratischen Knuddeldribbler Xherdan Shaqiri, der zu Inter Mailand wollte, weil er gemerkt hat, dass die Bayern den Glauben an ihn verloren haben; ob sie das Talent trotz geringer Einsatzchancen in München bei Pep Guardiola trainieren lassen wie den 19-jährigen Sinan Kurt; oder ob sie das Talent zum Erwerb von Spielpraxis ausleihen wie den Angreifer Julian Green zum HSV oder wie jetzt Pierre-Emile Hojbjerg, dem sie unter dem hoch eingeschätzten Trainer Markus Weinzierl in Augsburg die nächsten Entwicklungsschritte zutrauen.

Im Leasinggeschäft haben die Bayern durchaus schon gute Erfahrungen gemacht, Markus Babbel durfte einst mal nach Hamburg, Philipp Lahm nach Stuttgart, Toni Kroos nach Leverkusen, David Alaba nach Hoffenheim; wegen eines höheren Talentvorkommens dürfte sich die Frequenz solcher Deals künftig erhöhen, auch wenn die Bayern ausdrücklich kein Geschäftsmodell daraus entwickeln wollen wie etwa der FC Chelsea, der seine Talente mit der Rasensprenger-Methode über Europa verteilt. Wie gut sich ein Leihgeschäft im Idealfall aber entwickeln kann, das hat der deutsche Fußball gerade anschaulich verfolgen können: Bayer Leverkusen hat einen unscheinbaren Mittelfeldspieler namens Christoph Kramer erst an den Zweitligisten Bochum verliehen, dann an den Erstligisten Mönchengladbach.

Im Sommer kehrt Christoph Kramer nach Leverkusen zurück, als Weltmeister mit Final-Amnesie.

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