Ronaldo-Transfer:Die Entfremdung bei Juventus Turin

  • Cristiano Ronaldo verdient bei Juventus bald sehr viel Geld, das finden in Italien viele nicht in Ordnung.
  • Beim Autokonzern Fiat wollen die Arbeiter in Streik gehen.
  • Am Montag soll der Portugiese trotzdem mit viel Brimborium in Turin vorgestellt werden.

Von Birgit Schönau, Rom

Dass Melfi im Mittelalter die Sommerresidenz des Stauferkaisers Friedrich II. war, hat die 18 000-Einwohner-Stadt in der süditalienischen Basilikata immerhin ins Programm deutscher Studienreisen gebracht. Ein kurzer Stopp an der Kaiserburg und weiter geht's, an touristisch interessantere Orte. Melfi lebt nicht vom Andenken an den Deutsch-Italiener Friedrich, Melfi lebt von Fiat. Mehr als 8000 Menschen arbeiten im Werk, also quasi ganz Melfi. Jährlich werden 400 000 Autos produziert, Fiat 500, Punto, Jeep. Letztgenannte Marke benutzt Juventus als Dienstwagen für seine Chefetage, vor dem Trainingsgelände parken die Geländefahrzeuge putzigerweise auf Kunstrasen, 1000 Kilometer von Melfi entfernt.

Gut möglich, dass bald auch Cristiano Ronaldo mit einem Auto zur Arbeit fährt, das in der Basilikata gebaut wurde - privat bevorzugt der Fußballer ja eher Ferrari (gehörte früher zum Fiat-Konzern) und Maserati (gehört noch dazu). Aber die Arbeiter von Melfi sind jetzt schon wegen CR7 in den internationalen Schlagzeilen: Für den Ronaldo-Day am Montag, wenn der Superstar in Turin eintrifft und im Stadion vorgestellt werden soll, haben sie in Melfi zum Streik aufgerufen. Begründung: Fiat verlange seinen Arbeitern seit Jahren enorme Opfer ab, um dann Hunderte Millionen Euro für einen Fußballer auszugeben. "Wir sind alle Angestellte desselben Arbeitgebers", heißt es im Kommuniqué der Gewerkschaft USB: "Diese Ungleichheit ist nicht akzeptabel."

Die Streikdrohung stößt international auf Sympathie

Das finden auch viele, die nicht bei Fiat in Melfi arbeiten. Die Streikdrohung stößt international auf Sympathie. Auf der einen Seite der Portugiese, der bei Real Madrid den Hals nicht voll kriegen konnte, der 21 Millionen Euro netto pro Jahr als Demütigung empfand, weil die Kollegen Lionel Messi in Barcelona und Neymar in Paris mehr kriegen; und der bei seinen Werbeeinnahmen auch noch Steuern hinterzog. Bei Juve bekommt CR7 jetzt 30 Millionen Euro im Jahr. Das sind 2,5 Millionen im Monat und rund 83 000 am Tag. Und dafür muss er nur ein bisschen den Ball treten, während andere Leute arbeiten.

Die Kritik am Profifußball und seinen Gehältern ist so alt wie der Profifußball selbst. In Italien wurden Spitzengehälter für Kicker von Juventus eingeführt, namentlich vom Großvater des amtierenden Präsidenten Andrea Agnelli. Als Edoardo Agnelli 1928 den Italo-Argentinier Raimundo Orsi für die damalige Rekordsumme von 100 000 Lire nach Turin holte, regierte in Rom Benito Mussolini.

Die Faschisten hatten Transfers von Ausländern nach Italien verboten - für Orsi wurde flugs eine Ausnahme gefunden: Der sei ja im Grunde Italiener. 8000 Lire monatlich zahlte Agnelli seinem Juwel, das Zwanzigfache eines Lehrergehalts. Dienstwohnung und Dienstwagen (Fiat 509) gab's obendrauf. Bei einem Auswärtsspiel in Palermo fragte Orsi einmal einen gegnerischen Verteidiger mitten im Gewühl, was er verdiene. "600 Lire im Monat", keuchte der Abwehrspieler, Orsi konterte: "Die zahle ich dir, wenn du aufhörst, du Stümper."

So viel Arroganz würde Cristiano Ronaldo, diese Inkarnation eines Fußballspielers im Spätkapitalismus, niemals an den Tag legen. Sein Kapital sind nicht nur seine Beine, sondern auch sein Image. Man wird es kaum erleben, dass CR7 in Turiner Nachtklubs Geige spielt, wie der Tangotänzer Orsi. Für so etwas haben die globalen Fußballikonen von heute schlicht keine Zeit. Wenn sie nicht kicken, müssen sie für ihre Sponsoren antanzen, Berater und Anwälte treffen, oder ein paar Brocken Italienisch lernen, um den Fans zu schmeicheln.

Dass die Gewerkschafter in Melfi den Ronaldo-Transfer zum Anlass ihrer Protestaktion nehmen, ist schlau: Sonst hätte sich niemand für sie interessiert. Ob der Streik wirklich stattfindet, ist ungewiss, letztlich aber belanglos. Die Gewerkschaft USB ist eine kleine Minderheit im Werk, andere Arbeitnehmervertreter haben sich prompt von der Aktion distanziert. Genau wie der Juventus-Fanklub Melfi mit seinen 550 Mitgliedern, die fast ausnahmslos bei Fiat arbeiten.

Und doch: Die Empörung ist damit nicht aus der Welt zu schaffen. Sie ist Indiz einer Entfremdung, die zur Zeit von Edoardo Agnelli undenkbar gewesen wäre. Aber damals gehörten Fiat und Juventus auch noch untrennbar zusammen, und die Agnelli galten als die Herren Italiens. Noch in den 1990er-Jahren, so erzählt es der Trainer Marcello Lippi gern, sei Juventus der "Klub der Padroni" gewesen, das Spielzeug der mächtigsten Industriekapitäne im Land. Bevor Lippi in Turin seinen Vertrag unterschrieb, pilgerte er zum Grab seines Vaters, eines Sozialisten, "ich wollte mich bei ihm entschuldigen".

"Gegen diese Gurken habt ihr neulich verloren"

Tempi passati. Andrea Agnelli beschäftigt heute keinen Manager mehr, der wie weiland Giampiero Boniperti Gehaltsverhandlungen unter einer Großaufnahme des AC Perugia abzuhalten pflegte, um die Forderungen der Profis mit dem Hinweis abzuschmettern: "Gegen diese Gurken habt ihr neulich verloren. Und jetzt wollt ihr mehr Geld?" Obwohl man sich so etwas ja wünschen würde, nach dem nächsten Unentschieden in Sassuolo. Genau wie die Auftritte von Andreas Onkel Gianni, der nach Niederlagen beim Training auftauchte, um die Spieler vollkommen zu ignorieren und demonstrativ Zeugwart und Gärtner zu loben - Leute, die für viel weniger Geld zuverlässig ihre Arbeit erledigten.

Es waren die Zeiten, da die Männer der Familie bei Juventus das Dirigieren übten, um nachher den größten Konzern Italiens zu lenken. Heute steht hinter Juventus zwar immer noch Fiat, aber die Unternehmen sind getrennt. Die Juve ist kein gemütlicher Familienklub mehr, sondern eine Weltmarke, die sich im globalen Wettbewerb behaupten muss und sich dafür Cristiano Ronaldo leistet. Der ist nicht wie früher Michel Platini oder Zinedine Zidane ein Geschenk für die Tifosi zu Hause - er ist eine Ikone, die Juventus im hintersten Winkel Chinas populär machen kann.

Trotz allem ist Juventus italienischer geblieben als der Rest des Fiat-Konzerns. "Fabbrica Italiana Automobili Torino" bedeutete das Kürzel einmal. Im neuen Namen FCA (Fiat Chrysler) sind sowohl das I für Italien als auch das T für Turin verschwunden. Tatsächlich befindet sich der rechtliche Sitz des Konzerns in Amsterdam, die operative Zentrale in London.

In Turin ist die riesige Autobauerstadt Mirafiori weitgehend verlassen, geblieben ist die Juve. Sie trotzt der Konkurrenz aus China (Inter Mailand) und den USA (AS Rom, AC Mailand) sowie den Oligarchen und Scheichs anderswo. Cristiano Ronaldo sucht angeblich eine Wohnung im Zentrum, mittendrin, als Star zum Anfassen. Man würde sich nicht wundern, wenn er bald dem Fiat-Werk in Melfi einen Besuch abstatten muss.

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