Transfer von Kevin De Bruyne:Irgendwann nimmstes

80 000 000 Euro für Kevin De Bruyne? Fußball hat sich zum neoliberalsten Geschäftszweig dieser Zeit entwickelt. Die Angebote aus England sind so unverschämt hoch dotiert, dass es vielen die Sinne verwirrt.

Ein Kommentar von Thomas Hummel

Bis zu 80 Millionen Euro Ablöse. Ausgeschrieben: 80 000 000 Euro. Dazu etwa 16 000 000 Euro Gehalt pro Saison, summiert auf vier Jahre Vertragslaufzeit macht das 64 000 000. Dazu kommen Nebengeräusche wie die Provision für den Spielerberater von etwa zehn Prozent an Ablöse und Gehalt, was insgesamt 144 000 000 Euro wären.

Was im Fußball an Geld im Umlauf ist, übersteigt die Vorstellungskraft der meisten Menschen. Der voraussichtliche Transfer des Fußballers Kevin De Bruyne, 24, vom VfL Wolfsburg zu Manchester City eröffnet wieder eine neue Dimension. Allein beim Schreiben und vermutlich auch beim Lesen der vielen Nullen verliert man die Übersicht. Und es verfestigt sich der Eindruck, dass auch die Beteiligten nicht mehr ganz Herr ihrer Sinne sind.

Der große Helmut Dietl konnte die Welt beschreiben wie kaum ein anderer. Er entwarf zum Beispiel die Figur des Kleberfabrikanten Heinrich Haffenloher, gespielt vom ebenfalls sehr großen Mario Adorf. Der Regisseur und der Schauspieler hinterließen der Gesellschaft in der Fernsehserie Kir Royal eine Szene für die Ewigkeit. Eine Szene, die die Unterhaltungsbranche Fußball gut auf den Punkt bringt.

Haffenloher will sich den Boulevardjournalisten Baby Schimmerlos zum Freund machen, will über ihn den Eintritt in die Münchner Schickeria finden. Doch der ziert sich, will mit dem klebrigen Rheinländer nichts zu tun haben. Da sagt Haffenloher: "Ich kauf' dich einfach. Ich schieb' es dir hinten und vorne rein. Ich scheiß' dich so was von zu mit meinem Geld, dass du keine ruhige Minute mehr hast."

Der Duktus ist vulgär. Doch die Szene beschreibt durchaus, was in der Fußballszene passiert. Im Grunde seit Jahren. Derzeit so heftig wie nie zuvor.

Die englische Premier League wird demnächst durch einen neuen Fernsehvertrag 2,5 Milliarden Euro pro Jahr erhalten. Per Auslandsvermarktung kommen 1,5 Milliarden dazu. Die Klubs verdienen dann mehr als dreimal so viel wie ihre deutsche Konkurrenz. Und die ist keineswegs arm. Vorausgreifend schwappt schon in diesem Sommer unvorstellbar viel Geld in den Kicker-Markt.

Das zusätzlich vom Scheich Mansour bin Zayed Al Nahyan aus Abu Dhabi alimentierte Manchester City hat bereits Raheem Sterling (Liverpool) für 62,6 Millionen Euro und Nicolas Otamendi (Valencia) für 44,6 Millionen Euro gekauft. Von Aston Villa kommt zudem Fabian Delph für 11,5 Millionen und vom FC Fulham Patrick Roberts für 7,2 Millionen. Aber das geht praktisch unter.

Tottenham lässt Geld über Son regnen

Anmerkung: Diese Summen garantieren keineswegs, dass City nächsten Sommer irgendeinen Titel gewinnt. Da sind kein Messi und kein Ronaldo dabei.

Die Angebote aus England selbst für die bessere Mittelklasse sind so unverschämt hoch dotiert, dass die Menschen offenbar keine ruhige Minute mehr haben. In Leverkusen zum Beispiel. Da lässt Tottenham Hotspur die Pfundnoten über Heung-Min Son und sein Umfeld regnen, der 23-jährige Südkoreaner teilte seinem Klub daraufhin mit, sofort umziehen zu wollen. In Leverkusen sind die Mitmenschen recht verwundert: "Die ganze Mannschaft ist ziemlich enttäuscht. Es ist aber nicht seine Schuld, er ist ein feiner Kerl. Ich glaube, er wird schlecht beraten", sagte Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu.

Doch Calhanoglu wird irgendwann erfahren, was sein Kollege in London verdient. Und vielleicht macht er sich dann auch seine Gedanken. Genauso wie die Mitspieler und deren Berater in Hoffenheim, wo ihr Kamerad Firmino in Liverpool seinen Lebensstandard absichert. Oder in Wolfsburg, wo sie miterlebt haben, wie Kevin De Bruyne zunehmend durch den Wind war angesichts der vielen Nullen aus Manchester. Ganz nach Haffenloher: "Ich schick' dir jeden Tag Cash im Koffer. Das schickste zurück, einmal, zweimal, vielleicht sogar ein drittes Mal. Aber ich schick dir jedes Mal mehr. Und irgendwann kommt dann mal der Punkt, da biste so mürbe, und so fertig und die Versuchung ist so groß, und dann nimmstes."

Fußball in Europa hat sich zum wohl neoliberalsten Geschäftszweig dieser Zeit entwickelt. Es gibt keine Regularien, die hier mäßigend eingreifen. Die etwa eine stärkere Umverteilung des Geldes erzwingen. Fast alles ist dem Markt selbst überlassen. So werden die Klubs in der Champions League künftig noch viel mehr Prämien erhalten, der Unterschied zu den anderen Klubs wird noch größer werden. Und das Financial Fairplay der Uefa bewirkt am Ende auch nur, dass die Reichen reich bleiben und die Armen arm.

Und all jenen, die hoffen, dass dieses Millionenspiel irgendwann an seine Grenzen stößt, denen sei gesagt: Es ist kein Ende absehbar. Allein bis zum Ende dieses Transferfensters (in Deutschland am Montag um 18 Uhr, in England am Dienstag um 19 Uhr) werden noch sehr viele Millionen den Besitzer wechseln.

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