Trainerwechsel in Brasilien:Rauswurf unter Jubel

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Der Trainer mit dem besten Leumund in Brasiliens Fußball: Adenor Leonardo Bacchi (links), genannt Tite, wird Nachfolger des am Dienstagabend entlassenen Carlos Dunga. (Foto: Moreira/dpa, Castaneda/dpa)

Brasiliens Ergebnisfußball-Coach Carlos Dunga muss gehen - die Sehnsüchte der deprimierten Kicker-Nation richten sich nun auf Rio.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Im Grunde hat die Copa América gar nicht so schlecht begonnen für Carlos Dunga. Unter anderem mit einem 7:1 im zweiten Vorrundenspiel. Das Ergebnis hatte nur zwei Schönheitsfehler. Erstens hieß der Gegner Haiti, der gilt nicht unbedingt als furchterregende Fußballmacht. Zweitens ist die Zahlenkombination 7 und 1 bis heute schwer belastet in Brasilien. Sie erinnert die Leute daran, dass ihre Seleção spätestens seit der WM 2014 keine furchterregende Fußballmacht mehr ist. Das bestätigte sie auf eindrucksvolle Weise beim 0:1 im dritten Gruppenspiel gegen Peru. Der Rekordweltmeister, der einstmals den ganzen Spaß des Fußballs verkörperte, schied zum 100. Geburtstag der Copa América humorlos in der Vorrunde aus. Zwei Tage später gab der brasilianische Verband CBF die allseits erwartete Entlassung von Nationaltrainer Dunga bekannt. Endlich einmal eine gute Nachricht, sagen jetzt viele Brasilianer.

Am Mittwochabend erreichte sie bereits die nächste frohe Botschaft: Wunschkandidat Adenor Leonardo Bacchi, besser bekannt unter seinem Rufnamen Tite, trat die Nachfolge an.

Dunga, der Kapitän der Weltmeister-Elf von 1994, hatte die Seleção nach der beschämenden WM im eigenen Land zum zweiten Mal übernommen, 2010 war er schon einmal unter allgemeinem Jubel rausgeflogen. Seine erste Amtszeit galt lange Zeit als ästhetischer Tiefpunkt in der Geschichte des brasilianischen Künstlerkollektivs. Bis seine zweite Amtszeit begann. Dunga, 52, hat es in den zurückliegenden zwei Jahren nicht ansatzweise geschafft, das Team aus seiner wohl schwersten Imagekrise seit Menschengedenken zu befreien. Sie hat sich vielmehr zu einer Projektionsfläche für Hohn und Spott entwickelt, zu einem Symbol für alles, was schiefläuft im Krisenstaat Brasilien. "Das 7:1 hört nicht auf", titelte eine Zeitung nach dem jüngsten Vorrunden-Aus in den USA. Und das war natürlich keine Anspielung auf das Haiti-Spiel, sondern auf ein deutlich berühmteres gegen Deutschland.

Seit 2015 fehlt beides: der Spaß am Fußball und auch die Resultate

Der Pragmatiker Dunga setzte als Nationalcoach stets auf sogenannten Ergebnisfußball. In großen Teilen seines Heimatlandes ist das ein Schimpfwort. Besonders eng wurde es für ihn, seit neben dem Unterhaltungsfaktor auch noch die zunächst akzeptablen Ergebnisse ausblieben. Schon 2015 war Brasilien bei der Copa früh ausgeschieden, damals gegen Paraguay. In der Qualifikation für die WM 2018 liegt das Team derzeit auf Platz sechs und wäre nach Lage der Dinge nicht zur Teilnahme berechtigt. Die Brasilianer haben zwar noch alle Chancen, sich ein Ticket für Russland zu sichern, aber angesichts der Qualifikationstabelle ist es fast ein Wunder, dass Dunga so lange durchgehalten hat.

Als letzte Amtshandlung reichte er zu Beginn der Woche seine Kadermeldung für das olympische Fußballturnier im August in Rio ein. Da wird dann im Gegensatz zur Copa América auch Brasiliens letzter, aber keineswegs unumstrittener Fußballheld Neymar wieder dabei sein. Auf die olympische Goldmedaille konzentrieren sich seit geraumer Zeit die Sehnsüchte einer depressiven Fußballnation.

Am Mittwoch erfüllten sich zumindest die Wünsche nach einer Unterschrift von Tite. Der 55-Jährige gewann mit Corinthians aus São Paulo zwei Mal die brasilianische Meisterschaft sowie die Copa Libertadores und die Klub-WM. Er gilt landesweit als Trainer mit dem besten Leumund und war deshalb Favorit auf Dungas Nachfolge. CBF-Boss Marco Polo Del Nero hatte ihm den Job am Dienstag in der Verbandszentrale in Rio angeboten, kurz nachdem Dunga durch die Hintertür verschwunden war. Tite ließ Del Nero zunächst aber noch ein wenig zappeln. Die beiden gelten keineswegs als Freunde. Im Dezember 2015 hatte der Corinthians-Coach ein Manifest unterzeichnet, in dem die Demokratisierung der kleptokratisch regierten CBF sowie der Rücktritt der Verbandsspitze gefordert wurde. Tite gilt auch deshalb als Hoffnungsträger des Fußballvolkes, weil er stets die mehrheitsfähige Meinung vertrat, dass nicht Dunga die Hauptschuld am Schlamassel trägt - sondern die Riege rund um Del Nero.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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