Trainersuche:Feuerwehrmänner auf Bereitschaft

Klinsmann denkt weiter nach, DFB-Präsident Zwanziger hofft, sein Kollege Mayer-Vorfelder erwägt Plan B

Philipp Selldorf

Sollte Jürgen Klinsmann am Montag nach sechs Wochen präventiver Lesepause mal wieder einen Blick in die deutschen Zeitungen geworfen haben, dann wird er vermutlich erschrocken sein, wie sehr ihn nun selbst die härtesten Widersacher von ehedem ins Herz geschlossen haben. Danksagungen, Liebeserklärungen, Deklarationen, Petitionen gibt es in gedruckter, gesendeter und gefunkter Form, allesamt mit dem Ziel, ihn für die Fortsetzung seines Bundestrainer-Dienstes zu gewinnen.

trainerteam, dpa

Das Trainerteam: Andreas Köpke, Jürgen Klinsmann, Joachim Löw und Oliver Bierhoff

(Foto: Foto: dpa)

Seine Wählerschaft im Fußball-Land dürfte derzeit etwa 98,3 Prozent betragen. Aber ob ihn das ernsthaft kümmert? Schon am Wochenende, mitten im größten Jubel und Trubel, hat Klinsmann nicht mal den Hauch einer Andeutung dazu gemacht, was er zu tun gedenkt. Am Sonntag ist er einfach abgereist aus Berlin, angeblich hat er sich umgehend zurückgezogen in die Heimat - und zwar in die alte schwäbische, nicht in die neue kalifornische.

Am Tag eins nach dem Abpfiff der Weltmeisterschaft hat in Deutschland also das Warten begonnen. Eine Situation besteht, wie es sie noch nie gab. Entweder haben die Bundestrainer nach Turnieren schon lange vorher ihre Kündigung eingereicht (Franz Beckenbauer 1990).

Früher oft Einsicht ins Unvermeidliche

Oder sie sind aus Einsicht ins Unvermeidliche zurückgetreten (Erich Ribbeck 2000), zurückgetreten worden (Jupp Derwall 1984), auf persönlichen Wunsch ausgeschieden (Rudi Völler 2004) oder nach wochenlanger, zermürbender Debatte mit ein paar Wochen Verzögerung (Berti Vogts 1998).

Nie zuvor aber hat ein Bundestrainer gesagt, dass er erst mal ein paar Tage in Urlaub geht und dem ums Ja-Wort bittenden Verband irgendwann mitteilen wird, ob er die Stelle wieder besetzen will.

Zwanziger gibt Interviews

Demzufolge sitzen nun die Verantwortlichen des Deutschen Fußball-Bundes in ihren Frankfurter Büros wie Feuerwehrmänner auf Bereitschaft im Mannschaftssaal. Der Teammanager Oliver Bierhoff leistete sich am Montag zwar einen freien Tag, aber am Dienstag will er die Geschäfte in seinem Büro in Starnberg wieder aufnehmen.

Präsident Theo Zwanziger vertreibt sich die Zeit, indem er Interviews gibt. "Ich kann den deutschen Fans nur versprechen, dass wir alles, ja wirklich alles tun werden, was in unserer Macht steht, um Klinsmann zu halten", sagte er dem Sport-Informationsdienst.

Offenkundig mit Befremden hörte er, dass sein Präsidentenkollege beim DFB auch andere Lösungen für brauchbar hält. Gerhard Mayer-Vorfelder brachte zwei Trainer ins Spiel, die ihm aus seiner Zeit als Präsident des VfB Stuttgart gut bekannt sind: Christoph Daum, zur Zeit stellungslos, und Matthias Sammer, zur Zeit Sportdirektor im DFB. Außerdem plädiert er für die Weiterbeschäftigung von Joachim Löw, der ebenfalls unter MV mal Trainer in Stuttgart war.

"Ich möchte das nicht kommentieren, was Herr Mayer-Vorfelder gesagt hat. Christoph Daum ist ein großartiger Trainer. Aber er steht im Moment ebenso wenig wie andere zur Debatte", erklärte Zwanziger.

Es sei "nicht die Aufgabe dieser Stunde, über Plan B zu reden. Es verbietet sich schlichtweg". Man müsse Klinsmann "Zeit geben", damit er sich mit seiner Familie bespreche. Dazu bestand allerdings durchaus schon Gelegenheit, da sie sich während des Turniers in Berlin aufgehalten hat.

Mayer-Vorfelder kennt Klinsmann aus langjähriger eigener Erfahrung, er hat ihn auch in Berlin oft erlebt. Es ist nicht zu überhören, dass er skeptisch ist über Klinsmanns Bereitschaft, die Arbeit fortzusetzen. Mit diesen Zweifeln steht MV nicht allein in den besser informierten Kreisen der Bundesliga: Leute, die ihn noch aus Spielerzeiten kennen, sind überzeugt, dass die Ära Klinsmann seit dem 9. Juli beendet ist.

Man unterstellt ihm die amerikanische Managementpraxis gemäß Klinsmanns Diktion vom "Job": Projekt abgeschlossen, good bye. Auch unter den älteren Spielern im WM-Kader hat sich die Meinung durchgesetzt, dass sie künftig von einem anderen Trainer betreut werden.

Aspekt der Verpflichtung

Auf Unverständnis stößt, dass Jürgen Klinsmann in den vergangenen Tagen keinerlei Bekenntnis geäußert hat, nicht mal dazu, dass ihm die Entscheidung für die eine oder die andere Variante - im Amt bleiben oder nicht - schwer fällt.

Auf den von Gerhard Mayer-Vorfelder genannten Aspekt der "Verpflichtung" gegenüber Verband und Fußball-Land ist er auch noch nie eingegangen. Je mehr befragt wurde, desto mehr verweigerte er die Auskunft. Nun muss Deutschland warten, bis sich die Auster öffnet.

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