Trainerentlassung beim TSV 1860 München:Ende der Jagdsaison

TSV 1860 München - Karlsruher SC 0:3

Sofort beurlaubt: Der bisherige 1860-Trainer Friedhelm Funkel

(Foto: dpa)

Nach dem 0:3 gegen den KSC muss beim Fußball-Zweitligisten 1860 München auch Trainer Funkel sofort gehen. Das Blöde ist nur: Wer viel feuert, muss auch einstellen. Es ist aber niemand mehr im Klub, der dafür zuständig wäre.

Von Philipp Schneider

Da saß er nun, während dieses Spiels, das zum Abschiedsspiel von Trainer Friedhelm Funkel beim TSV 1860 München geriet. Vor sich, auf dem kleinen Tisch, hatte er eine weiße Packung Zigaretten platziert, und daneben: die Mannschaftsaufstellung und ein Mobiltelefon. Mehr Arbeitsmaterial braucht Carlos Leal nicht, wenn er am Wochenende zur Arbeit schreitet. Keinen Kugelschreiber, keinen Block. Carlos Leal schaut einfach nur Fußball. Manchmal fasst sich Leal dann an das Kinn, lässt dort seine Finger kreisen, und weil er dazu noch eine modische Brille mit dicker Umrandung trägt, sieht er in Momenten wie diesen überaus intellektuell aus.

Dazu muss man wissen, dass Carlos Leal der Mann der Zukunft ist beim TSV 1860 München. Er ist, auch wenn er in der Öffentlichkeit nie spricht, der sogenannte Kaderplaner, und als solcher: das Phantom an der Grünwalder Straße.

Berichtenswert ist all dies, weil außer Leal nun niemand mehr da ist, der im Winter noch Teil der Sportlichen Leitung des Münchner Zweitligisten war. Sportchef Hinterberger ist schon länger weg, Trainer Funkel nun auch. Es lief also der entscheidende Moment dieses Spiels zwischen 1860 und Karlsruhe am Sonntag, Leal sprang auf von seinem Sitz, sauste hinüber zum Monitor, auf dem sich Zeitlupen studieren lassen. Dort fasste er sich ans Kinn und sprach: "Wie der fällt, der schaut noch in der Luft zum Schiedsrichter." Dann setzte er sich wieder hin. Er rauchte, Zigarettenwolken umkreisten Carlos Leals Kopf.

Kaderplaner hin oder her, natürlich konnte auch Carlos Leal in diesem Moment noch nicht ahnen, dass die auch von ihm zusammengestellte Mannschaft beim 0:3 (0:2) von einem einzigen Gegenspieler demontiert werden sollte: Karlsruhes Rouwen Hennings. Hennings traf erst per Elfmeter, nachdem sich sein Kollege Daniel Gordon (der tatsächlich schon in der Luft zum Schiedsrichter blickte) im Zweikampf mit Markus Schwabl hatte fallen lassen (19.). Dann tanzte Hennings Gabor Kiraly aus und schob den Ball an dem auf der Linie postierten Guillermo Vallori vorbei (32.), ehe er nach einem Fehler von Vallori mit einem Distanzschuss in den Winkel das Spiel entschied (53.). "Das war unser schlechtestes Spiel in dieser Saison", sagte Vallori. Und da lag er nicht daneben.

Die Pressekonferenz. Menschenfreundliches Hintasten zur entscheidenden Frage: Herr Funkel, können Sie zu einhundert Prozent sicher sagen, dass Sie morgen noch auf dem Trainingsplatz stehen? "Die Frage müssen Sie nicht mir stellen." Also sind Sie sich nicht ganz sicher? "Das habe ich doch nicht gesagt. Ich habe gesagt: Diese Frage müssen Sie nicht mir stellen."

Funkel schüttelte ungläubig den Kopf, schier fassungslos ob der vermeintlichen Unsinnigkeit der Frage. Er ahnte es womöglich wirklich noch nicht. Dass noch am frühen Abend eine Pressemitteilung verschickt werden würde: Markus von Ahlen, Funkels bisheriger Assistent, ist der neue Chef. Schon an diesem Montag wird von Ahlen das Training leiten, und die einst als "Jagdsaison" ausgelobte Spielzeit immerhin zu Ende bringen. Sonst ist ja niemand mehr da. Alle gefeuert. Außer Carlos Leal.

Der Bruder von Investor Ismaik sitzt auf der Tribüne

"Die Verantwortlichen des TSV 1860" hätten sich zu dieser Maßnahme "entschlossen", hieß es. Also doch keine Abschiedstournee für Friedhelm Funkel, er hat das Wort ohnehin nie gemocht. Natürlich war auch Funkels ursprüngliche Idee nicht die beste gewesen, sechs Spieltag vor Ende der Saison seine Trennung von einem Verein anzukündigen, ohne die Gründe offenzulegen. Indem eine Sprachregelung getroffen wurde, die auch so genannt wurde - obwohl es doch der einzige Sinn einer Sprachregelung ist, zu verschleiern, dass sie existiert.

"Mei, ich glaub nicht, dass der Funkel morgen nicht mehr da ist, er wird das gewissenhaft zu Ende bringen", sagte Markus Schwabl, dem vor dem 0:2 ein schlimmer Stellungsfehler unterlaufen war: "Es ist ein Verlust für den Verein. In den letzten Spielen hat man seine Handschrift gesehen." In diesem dann nicht mehr. Nur war das kaum überraschend, angesichts jener kuriosen Scheidung mit Ansage. Funkel redete nach der Partie länger auf Schwabl ein, als gelte es, ein letztes Mal Einfluss zu nehmen auf die Karriere des 23-Jährigen. "Es tut mir leid für ihn. Ich habe ihn bewusst dringelassen", sagte Funkel. Schwabl brauche einen "Lernprozess".

Den erlebte wohl auch Abdelrahman, der Bruder des jordanischen Klub-Investors Hasan Ismaik, der das traurige Treiben des nunmehr nicht nur unzulänglichen, sondern auch irritierten Kaders von der Tribüne aus beobachtete. Warum war der Bruder da? Am Sonntag feierte Präsident Gerhard Mayrhofer seinen 52. Geburtstag, er saß neben Abdelrahman, minutenlang vergrub er sein Gesicht in demonstrativer Trauer in seinen Händen. Außerdem muss bald mal neues Personal beschäftigt werden bei Sechzig, dem die Familie Ismaik zustimmen sollte. Wer viel feuert, muss irgendwann auch einstellen. Ein Geschäftsführer Sport wird gesucht, und nun auch ein Trainer. Sonst plant den Kader bald Carlos Leal ganz allein.

Und das wünscht sich sicher nicht einmal der Kaderplaner selbst.

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