Trainer von Alba Berlin:"Es geht nicht ums Siegen"

Alba Berlins Trainer Aíto über die spanische Schule, die Nachwuchsarbeit in Deutschland und die Entwicklung der Bundesliga - eine Standortbestimmung.

Interview von Javier Cáceres

Alejandro García Reneses, Spitzname "Aíto", ist einer der erfolgreichsten Basketball-Coaches in Europa. Der Spanier arbeitet seit 2017 für Alba Berlin, nach seiner ersten Saison wurde er als Trainer des Jahres in der Bundesliga ausgezeichnet, vor Kurzem folgte die Ehrung als Trainer des Jahres im Eurocup, in dem sein Team das Finale erreichte (und gegen den spanischen Klub Valencia BC verlor). Auch in den am Wochenende beginnenden Bundesliga-Playoffs gilt Alba als Finalkandidat. Ein Grundsatzgespräch über Basketball in Spanien und Deutschland.

SZ: Herr García Reneses, Ihr spanischer Landsmann Pedro Calles vom Überraschungsteam Rasta Vechta ist von den Cheftrainern und Kapitänen der Bundesligaklubs sowie ausgewählten Medienvertretern gerade zum Trainer des Jahres gewählt worden - quasi als Ihr Nachfolger. Kannten Sie ihn schon länger?

García Reneses: Wir hatten uns mal getroffen, ich konnte mich aber nur flüchtig an ihn erinnern. Jetzt war der Kontakt natürlich enger, in Vechta haben wir nach unserem Spiel gemeinsam zu Abend gegessen. Und die Auszeichnung ist verdient: Er macht eine wirklich gute Arbeit.

Inwiefern erkennen Sie in seiner Arbeit eine typisch spanische Note? Wie hat Calles diese Mannschaft voller unbekannter Spieler so weit nach vorne gebracht: auf Platz vier nach der Hauptrunde? Und das als Aufsteiger!

Seine Mannschaft hat eine sehr gute Aggressivität, im Angriff und in der Verteidigung. Das sagt sich leicht, ist aber sehr schwer zu bewerkstelligen. Ich glaube, das ist seine Haupttugend, aber alles andere als seine einzige.

Ihr Vertrag in Berlin läuft in diesem Sommer aus. Werden Sie Trainer bleiben?

Wir werden sehen, wie ich mich am Ende der Saison physisch fühle. Aber ich bin weder um meine noch um Albas Zukunft besorgt. Was passieren muss, wird passieren.

Wäre Pedro Calles ein Mann für Berlin?

Es ist nicht der Moment, darüber zu reden. Jetzt geht es darum, die Saison so gut wie möglich zu Ende zu bringen.

Es ist die letzte Saison vor einem markanten Datum: 2011 setzte sich die Basketball-Bundesliga BBL das Ziel, bis 2020 die beste Liga Europas zu werden, also die spanische ACB zu überflügeln. Sie arbeiten seit fast zwei Jahren bei Alba Berlin. Wie nahe ist die BBL diesem Ziel gekommen?

Aito Garcia Reneses Trainer ALBA gibt Anweisungen an Franz Wagner ALBA ALBA Berlin FC Bayern

Der Trainer von Alba Berlin, Alejandro García Reneses, Spitzname "Aíto", instruiert das Alba-Talent Franz Wagner, 17.

(Foto: Bernd König/imago images)

Die beste Liga des Kontinents zu werden, ist schwierig. Es hängt ja nicht nur davon ab, was du machst, sondern auch davon, was die anderen machen. Aber es besteht kein Zweifel, dass die deutsche Liga in den letzten Jahren besser geworden ist und in mancher Hinsicht das höchste Niveau erreicht hat.

Spaniens Liga gilt immer noch als Europas stärkste. Wo steht sie besser da als die deutsche?

Das Niveau ist insgesamt höher, nicht nur das der Spitzenmannschaften wie Real Madrid, FC Barcelona, Baskonia oder Valencia, sondern auch das der oberen Mittelklasse, von Teams wie Unicaja Málaga oder Gran Canaria. Auch die schwächeren Teams haben im Vergleich zu früher qualitativ enorm zugelegt.

Die spanischen Klubs sind allerdings auch wirtschaftlich stärker.

Das spielt eine Rolle. Die wettbewerbsstärksten Klubs Spaniens haben doppelt so hohe Etats wie die stärksten Vereine in Deutschland, wie Bayern München oder Bamberg. Aber Geld ist nicht alles.

Was ragt in der BBL heraus?

In erster Linie das Publikum. Es unterstützt nicht nur die eigene Mannschaft, es respektiert auch den Gegner und die Schiedsrichter. Dieser Respekt ist hier größer als in Spanien. Dort gelten die ersten Pfiffe oft der eigenen Mannschaft, und das ist nicht gut. Es geht im Sport nicht darum, zu gewinnen, sondern darum, das Beste herauszuholen.

Die BBL fordert zur Umsetzung ihrer Ziele gewisse Standards, zum Beispiel Hallen für wenigstens 3000 Zuschauer, einen Mindestetat von bislang zwei, bald drei Millionen Euro. Gibt es solche Anforderungen auch in Spanien?

Dort müssen die Hallen mindestens 5000 Zuschauer fassen. Grundsätzlich bin ich eher skeptisch, was derartige Anforderungen anbelangt. Die Hallen müssen sich am Zuschauerpotenzial orientieren: Was nützen Hallen für 10 000 Zuschauer, wenn nur 4000 Leute hingehen?

Der FC Bayern, der Titelverteidiger in der BBL, plant gerade gemeinsam mit dem Eishockeyklub EHC München eine Halle für 11 500 Zuschauer.

Ist sie zu groß? Wenn sie voll wird, nein. Wenn nicht, muss man dafür arbeiten, dass die Zuschauer kommen. In meinen Augen stehen diese Pläne dafür, dass man merkt, wie der Basketball in Deutschland sich bewegt, in die wichtigen Städte des Landes geht. In Spanien haben alle wichtigen Großstädte einen Klub in der Liga ACB gehabt. In Deutschland war das nicht so. Das sagt nichts über die Qualität des Spiels aus. Aber wenn man nicht in den großen Städten ist, wird es schwierig, an Zuschauermasse zuzulegen.

Basketball Berlin 13 03 2019 Eurocup Viertelfinale Spiel 3 Saison 2018 2019 Alba Berlin Unicaja

Der Mann mit der Taktiktafel: Trainer "Aíto".

(Foto: imago images/Camera 4)

Um mediale Aufmerksamkeit zu erzielen?

Das geht Hand in Hand. Es ist nun einmal so, dass der Fußball alles zu absorbieren scheint. Wenn man an zweiter Stelle steht, wie der Basketball in Spanien, ist es wichtig, ein Substrat zu haben, das im richtigen Moment aufblüht. Deswegen ist es so wichtig, dass die Hallen nachhaltig voll sind. Weil dann die Spiele intensiv gelebt, im TV übertragen werden und Interesse wecken.

Sie vermissen Basketball im deutschen Fernsehen?

Es werden zum ersten Mal überhaupt alle Spiele der BBL übertragen (auf der Internet-Plattform Magentasport.de, Anm.). Ich halte das für sehr positiv. Der nächste Schritt muss sein, die Zuschauerquoten zu erhöhen. Aber das muss und kann nur über Kontinuität erzielt werden, indem man ein gutes Produkt anbietet, intensive und schöne Spiele liefert, Attraktivität erzeugt.

Was war Ihr Antrieb, zu Alba zu gehen?

Ich wollte dabei helfen, ihr Projekt so gut wie möglich umzusetzen. Ich hatte sehr viel gesehen, was mir gefällt, und das dann auch in Berlin gefunden: den Willen zur Kontinuität, eine Nachwuchsabteilung, aus der gute Spieler kommen, eine sehr gute Fanbasis. Es gibt auch andere Entwicklungsmodelle. Du kannst ja auch, weil du gerade Geld hast, sieben oder acht Spieler verpflichten und damit Erfolg haben. Auch über eine gewisse Zeit. Aber ich finde das weit weniger verführerisch als die Beharrlichkeit etwa bei Alba.

Welche Schwierigkeiten gibt es in Deutschland bei der Nachwuchsarbeit, die Sie aus Spanien nicht kannten?

Die Schwierigkeit ist hier wie dort mehr oder weniger dieselbe. Sie heißt: NBA. Es gibt Spieler, die in die USA gehen, obwohl sie dafür noch nicht vorbereitet sind - angezogen von dem Geld, das sie dort verdienen können, und dem Marketing der NBA.

Was kann man dem entgegensetzen?

Du kannst nur versuchen, dich dem Marketing und dem Geld der NBA anzunähern. Das geht natürlich nur langfristig. Aber du musst in diese Richtung arbeiten und nicht sagen: Wir können eh nicht mithalten. Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen, dass ein Spieler, der sich über Jahre hinweg entwickelt, in die USA wechselt. Aber zu viele Spieler wechseln zu früh.

Sprechen wir da nicht eher über ein Problem der spanischen Liga statt der deutschen Liga?

Ja, bisher schon. Weil die deutsche Liga zurücklag und die Herangehensweise lange Zeit eine andere war. Der deutsche Weg bestand darin, sechs Ausländer zu holen, die auf einem sehr guten, aber nicht auf dem besten Niveau mithalten konnten, und die physisch stark waren, wenn auch eher klein. Das hat dazu geführt, dass es weniger gut entwickelte deutsche Spieler gab. Aber das ändert sich, deshalb muss man vorbereitet sein auf das, was etwa dem FC Barcelona mit Pau Gasol passiert ist.

20 Trophäen

hat Alejandro García Reneses, kurz "Aito", als Trainer gesammelt - alle mit spanischen Klubs. Vor seinem Engagement bei Alba Berlin arbeitete der gebürtige Madrilene ausschließlich in seiner Heimat. Mit dem FC Barcelona gewann der 72-Jährige neun Meistertitel, vier Pokale, zwei Korac Cups, einen Saporta Cup sowie den Wettbewerb um den Prinz-von-Asturien-Pokal; mit Juventut Badalona holte er die Copa del Rey, den Eurocup und die Euro Challenge. Spaniens Männer führte er zudem zu Olympiasilber 2008 in Peking. In Spanien war Aito viermal Trainer des Jahres, in Deutschland erhielt er diese Auszeichnung in seiner ersten Saison.

Nämlich?

Pau Gasol tauchte zu einem Zeitpunkt auf, als Barcelona aus wirtschaftlichen Gründen keine Ausländer holen konnte, die auf dem höchsten Niveau waren. Gasol ging dann mit 20 Jahren in die NBA, und damit war ein Projekt zurückgeworfen, das man durchaus hätte weiterentwickeln können. Grundsätzlich muss man versuchen, Mannschaften über Jahre hinweg zusammenzuhalten. Jede Spielzeit acht neue Spieler zu holen, ergibt keinen Sinn.

Sie sehen also eine Verbesserung der Nachwuchsarbeit in Deutschland?

Ich habe den Eindruck, dass der Basketball sich in Deutschland immer mehr durchsetzt. Unter jungen Spielern, gerade bei uns, spüre ich den Willen, besser werden zu wollen. Sie arbeiten, verbessern Dinge.

Aber?

Was in Spanien nicht vorkommt, ist, dass eine Kindermannschaft 18 Spieler hat. In Spanien haben Mannschaften in solchen Altersgruppen zehn, vielleicht zwölf Spieler, und die sind immer da. Hier fahren viele Kinder am Wochenende weg, unternehmen etwas anderes - es wird alles lockerer genommen, nach dem Motto: Wenn ich mal nicht dabei bin, ist das auch nicht schlimm. Das ändert sich zumindest bei Alba: Wer dabei sein will, ist da und will auch auf dem höchsten Niveau spielen. Ich sehe großen Enthusiasmus.

Es gibt in der BBL die 6-plus-6-Regel: Die Klubs müssen mindestens sechs Deutsche auf dem Spielberichtsbogen haben, auf dem höchstens zwölf Profis stehen dürfen. Gefällt Ihnen diese Regel?

Ich weiß nicht, ob das ideal ist oder auch nur die ideale Übergangslösung darstellt. In Spanien müssen die Mannschaften vier Spieler haben, die entweder Spanier sind oder in Spanien ausgebildet wurden. Man kann in Spanien also theoretisch sogar mehr als acht Ausländer haben. Und die spanischen Spieler müssen ihren Platz erkämpfen, egal, wo der Mannschaftskamerad herkommt. Am Ende muss es darum gehen, dass nicht 6 plus 6 Spieler da sind, sondern zwölf. Die deutschen Spieler dürfen ihren Platz im Team nicht wegen ihres Passes bekommen, sondern weil sie besser sind. Langfristig werden und müssen die Barrieren fallen. Warum soll ein Deutscher, ein Spanier nicht mit einem Amerikaner, einem Russen oder einem Serben mithalten können?

Sie sind der Trainer, der jungen Spielern am meisten Spielzeit einräumt.

Ja, das ist immer so gewesen. Nicht, weil ich die Jugend an sich für einen Wert halte. Junge Spieler spielen dann, wenn sie es verdient haben. Ich habe das Glück, dass ich immer gute junge Spieler hatte. Es gibt sicher Trainer, die in dieser Hinsicht nicht ganz so risikofreudig sind. Aber wenn ein Spieler jung ist, Qualität hat und gut arbeitet, wird er gebracht.

Haben Sie in Deutschland andere Dinge als in Spanien erklären müssen?

Ich glaube, dass ich mehr oder weniger die gleiche Linie verfolgt habe und dass die Mannschaft sehr gut auf die Anforderung geantwortet hat, mit größerer Freiheit zu spielen. Denn dafür muss man die Grundlagen des Spiels verstehen und beherrschen.

Es gibt eine serbische, eine spanische Basketballschule. Auch eine deutsche?

Dafür sind meine Kenntnisse nicht tief greifend genug. Ich kenne einzelne, sehr gute deutsche Trainer. Aber ich kenne natürlich eher die spanische Schule und ihre Entwicklung, auch die amerikanische Schule, die sich insofern verändert hat, als früher nur Collegespieler in die NBA-Teams kamen und nun direkt Spieler aus Europa importiert werden. Die amerikanische Schule dominiert nicht mehr so wie früher: Der Rest der Welt ist aufgewacht. Früher hatten wir in Spanien nur Jugoslawien als Bezugspunkt. Dort wurde extrem gut gearbeitet, das ist nun anderswo ebenfalls der Fall.

Was ist charakteristisch für die spanische Schule?

Wir hatten immer ein gutes Kollektiv mit kleineren Spielern und sind dann dazu übergegangen, das gleiche mit größeren, kompletteren Spielern auf das Parkett zu bringen. Soll heißen: Es ging nicht darum, eine Gruppe von Spezialisten zu haben, von denen der eine gut warf, der andere gut verteidigte, der nächste gut passte. Alle sollten mehr oder minder alles machen. Und sie lernten, gut auszuwählen, was sie wann zu tun hatten. Sie begannen, mit mehr Fundament zu spielen; das gibt dir die Fähigkeit, auch als Mannschaft besser zu werden. Das hat in den letzten 30 Jahren Spaniens Aufstieg begründet. Da war man in der Welt auf dem 15. Platz oder noch weiter hinten, jetzt ist man an Nummer zwei.

Was verstehen Sie unter "gut spielen"?

Alles zu beherrschen. Oder besser: alles gut zu beherrschen.

Klingt einfach.

Aber das ist so schwer! Es geht darum, das Gute so einfach wie möglich zu machen. Es ist nicht notwendig, die Dinge zu verkünsteln. Man muss die normalen Dinge gut machen. Wenn du dich im richtigen Moment richtig entscheidest, wirst du ein guter und kompletter Spieler sein.

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