Tour de France:Vorreiter in die falsche Richtung

Spaniens Radsportverband rät seinen Teams, gegen die für die Tour geforderte Ehrenerklärung vorzugehen.

Andreas Burkert

Hans-Michael Holczer sagt, er habe die Unterlagen für die Tour de France erst am Dienstagabend aus dem Regal gezogen: "Das stimmt wirklich, bisher hat mich das alles nicht interessiert." In den Unterlagen hat er die Abflugzeit seiner Maschine nach London gefunden, und am Mittwochmittag bestieg der Teammanager des Gerolsteiner-Rennstalls dann den Flieger nach England. Trotz der latenten Abneigung seines Unterbewusstseins gegen die Tour und ihre Probleme. Holczer wird sich damit arrangieren müssen, dass die Frankreich-Rundfahrt die Probleme ihres Sports bis zum Start am Samstag nicht loswird.

Oder vielmehr: loswerden will.

Es hat zwar Weißwein und Häppchen gegeben zur Begrüßung im riesigen Kongresszentrum "ExCell", draußen in den Docklands der britischen Hauptstadt, wo sich die Tour-Familie am Mittwochnachmittag versammelte zur Abreise in ein gespenstisches Abenteuer. Der Bürgermeister Ken Livingstone sprach ein paar Worte, worauf seine Leibwächter und die übrigen Festgäste freundlich klatschten. Ob er von den Problemen des Radsports überhaupt gehört hat? Diese Probleme haben sich ja gerade für die Tour bislang nur unwesentlich reduziert, wenngleich inzwischen wieder einige weitere Fahrer die vom internationalen Radsportverband UCI eingeforderte Ehrenerklärung unterzeichnet haben. Auch Andreas Klöden, der Dritte der vergangenen Tour aus Cottbus, setzte nun seine Unterschrift unter das Papier, womit er versicherte, nichts mit der spanischen Dopingaffäre namens "Operación Puerto" zu tun zu haben und zudem im Falle eines betrügerischen Vergehens mit einem Jahressalär büßen zu wollen.

Alejandro Valverdes Start wäre der nächste Skandal

Bis zum späten Mittwoch fehlten noch ein paar Dutzend Unterschriften der 189 Profis, die am Samstagnachmittag den knapp acht Kilometer langen Prolog durch die City Londons in Angriff nehmen wollen. Komplett verweigert haben sich bisher die Teams CSC, Rabobank und Caisse d'Epargne aus Spanien, wo der nationale Verband ACP mal wieder eine Vorreiterrolle in die falsche Richtung übernommen hat. "Fundamentale arbeitsrechtliche Punkte" würden durch die eingeforderte Erklärung verletzt, heißt es in einer Erklärung des Verbandes, der seinen Lizenznehmern rechtliche Schritte gegen das Vorgehen der UCI angeraten hat. "Trotzdem werden alle Fahrer sicher unterschreiben", glaubt Patrick Lefévère, Manager von Quick Step und zugleich Sprecher der Teamvereinigung AIGCP. Aber auch der in seiner Heimat massiv mit Dopingvorwürfen konfrontierte Belgier verwies auf "notwendige Veränderungen der Erklärung, die wir mit einem Anwalt besprechen sollten".

So wird es wohl bis Samstag am Tourchef Prudhomme liegen, nicht nur in dieser Sache durchzugreifen. "Wenn nur fünf oder zehn nicht unterschreiben, glaube ich schon, dass er mit denen in den Kampf geht und sie auslädt", glaubt Gerolsteiner-Manager Holczer: "Wenn es aber 30 oder 40 sind, wird es schwierig." Generell hat der Schwabe den Eindruck, dass man in den kommenden drei Wochen "den einen oder anderen Anwalt brauchen wird".

Zum Streitobjekt könnte vor allem der Vuelta-Zweite Alejandro Valverde aus Spanien werden. Für Donnerstagmorgen hat er sich frech in die Liste der Pressekonferenzen eintragen lassen, dabei wäre sein Start in London der nächste Skandal. Der Kapitän des Rennstalls Caisse d'Epargne steht zweifelsfrei in den Ermittlungsakten der Guardia Civil und gilt somit als dringend verdächtigt, Kunde des Madrider Dopingarztes Eufemiano Fuentes (gewesen) zu sein. Denn dort taucht als Codename unter anderem "18 - VALV (PITI)" auf - Piti heißt nachweislich Valverdes Schäferhund. Allein diese Übereinstimmung darf längst als Indiz einer Verwicklung in die Affäre gelten, seitdem der grundsätzlich geständige Giro-Sieger Ivan Basso ("Birillo") sowie kürzlich der Ansbacher Profi Jörg Jaksche ("Bella") einräumten, ihr jeweiliger Codename habe sich gleichfalls auf einen Vierbeiner bezogen. Im Mai war zudem bekannt geworden, dass die Valverde zugeordneten Blutbeutel aus Fuentes' Kühlschrank mit Epo-Spuren versetzt gewesen sein sollen.

"Valverde wird bestimmt noch ein Thema sein", sagt Luuc Eisenga, der Technische Direktor des T-Mobile Teams, vor der Krisensitzung der Teams am frühen Donnerstagabend. Gleiches dürfte für Klödens Kapitän Alexander Winokurow gelten, der von Jaksche indirekt belastet wurde. Die Antwort indes zur Frage nach möglichen Ausschlüssen nahm am Mittwoch bereits die französische Sportzeitung L'Équipe vorweg, zumindest ist das zu befürchten angesichts ihrer Nähe zu Prudhomme. "Normalerweise" könne niemandem der Start verweigert werden, hieß es dort in einer Analyse, gerade in Bezug auf Valverde und Winokurow fehlten bislang "offizielle Dokumente". Weshalb dies etwa bei Valverde der Fall sein soll, wo doch die UCI bis zum Tourstart aus Spanien 1000 Aktenseiten ausgewertet haben will, darf als großes Rätsel gelten. "Ich habe den Eindruck, dass sich da nicht viel tut", sagte Hans-Michael Holczer vor seinem Abflug. "Und das ist schlimm."

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