Tour-de-France-Sieger Wiggins:"Es gibt jetzt keinen Wein"

Bradley Wiggins siegt eindrucksvoll beim Einzelzeitfahren und baut seinen Vorsprung auf Edelhelfer Christopher Froome weiter aus. Damit gewinnt der Brite wohl auch die 99. Tour de France, denn auf der letzten Etappe wird der Gesamtführende traditionell nicht mehr angegriffen. Wiggins plant allerdings schon weitere Erfolge.

Andreas Burkert, Chartres

Ganz in Gelb legte er ab in Bonneval, pünktlich um 16.33 Uhr. Sogar den schwarzen Rahmen seines Zeitfahrrades hatten die Perfektionisten des Sky-Rennstalls an einigen Stellen mit der Farbe der Tour de France versehen. Schwarz und ein wenig Blau, das sind gewöhnlich die Farben von Bradley Wiggins und seiner Mannschaft, die im Spätsommer 2009 auf dem Reißbrett vom britischen Verbandsmanagers David Brailsford entworfen worden war.

Wiggins vor erstem britischen Tour-Sieg

Bradley Wiggins möchte auch bei Olympia erfolgreich sein: "Deshalb gibt es jetzt auch keinen Wein."

(Foto: dapd)

Mit seiner Trainingsmethodik, so geht jedenfalls ab sofort die Legende, mit der schon bei Großbritanniens Bahnfahrern erprobten Manie seiner Sportwissenschaftler, nichts dem Zufall zu überlassen, und selbstredend dank der vielen, vielen Sponsoren-Millionen des Medientycoons Rupert Murdoch trat die Mannschaft damals an, binnen fünf Jahren den ersten Toursieger aus dem Vereinigten Königreich zu stellen. Nun ist der 48-jährige Waliser bereits im dritten Rennjahr am Ziel, denn eine gute Stunde nach Wiggins' Abreise konnte Brailsford Vollzug melden: Sein 32-jähriger Kapitän hat die 99. Tour gewonnen.

Wiggins gewann am Samstag in überlegener Manier auch das zweite Tour-Zeitfahren zwischen Bonneval und Chartres. 1:16 Minuten Vorsprung hatte er nach 53,5 Kilometern vor seinem Teamkollegen Christopher Froome. Sein Stundenmittel: 49,98 km/h. Dritter wurde der Spanier Luis-Leon Sanchez (+1:50 Minuten). Bester Deutscher war in Chartres der Erfurter Patrick Gretsch als starker Sechster (2:28). In der Endabrechnung, an der die traditionelle Ehrenrunde am Sonntag in Paris nichts mehr ändert, liegt Wiggins jetzt 3:21 Minuten vor Froome. "Ich kann gar nicht sagen, was ich fühle", sagte Wiggins nach der Zeremonie in Chartres, der zahlreiche Landsleute beiwohnten. "Ich habe so viele Emotionen, die letzten zehn Kilometer lief bei mir noch einmal alles ab, die viele Arbeit, der Schlüsselbeinbruch letzter Jahr. Jetzt haben wir den Job erledigt, das ist einfach fantastisch."

Mit seinem zweiten Etappensieg gelang Wiggins eine eindrucksvolle Rehabilitierung, denn in den Bergen hatte er ja auch von der angeordneten Loyalität seines Teamkollegen Froome profitiert. Mit seiner Vorstellung im Zeitfahren rechtfertigte Wiggins jedoch diese hierarchische Ausrichtung. Schon am zweiten Kontrollpunkt bei Kilometer 30 lag er stolze 54 Sekunden vor Froome.

Dementsprechend locker wirkte Wiggins trotz der Anstrengung während seiner Siegesfahrt. Der Kampf gegen die Uhr ist ohnehin sein Metier, zu Beginn seiner Karriere fokussierte sich der Familienvater auf die Verfolgung auf der Bahn, was ihm insgesamt drei olympische Goldmedaillen einbrachte.

Bei der Siegerehrung in Paris steht also ein britisches Duo oben auf dem Podium. Vincenzo Nibali wird Wiggins und Froome nach den für die Sprinter reservierten Ehrenrunden auf den Champs begleiten, der Italiener belegte in Chartres Platz 16 und verteidigte damit Rang drei im Klassement vor dem Belgier Jurgen van den Broeck (26.).

Nibali fehlen insgesamt 6:19 Minuten auf Wiggins, van den Broeck hat in der Gesamtwertung sogar mehr als zehn Minuten Rückstand. Richtig zufrieden sind dagegen die Franzosen sie haben in Pierre Rolland (8.) und Debütant Thibaut Pinot (10.) zwei Fahrer unter die Top-Ten gebracht und sind zudem in Paris mit dem Bergpreis-Sieger Thomas Voeckler vertreten.

Bradley Wiggins dagegen hat eine erstaunliche Saison gekrönt. Sie begann für ihn im Februar mit Gesamtrang drei und einem Etappensieg bei der Algarve-Rundfahrt (wo Froome übrigens aufgab), im März gewann er die prestigeträchtige Fernfahrt Paris - Nizza. Und nachdem er bei der Katalonien-Rundfahrt ausstieg, folgten ausnahmslos Siege bei schweren Etappenrennen: Erster bei der Romandie durch die Schweiz und Erster auch bei der anspruchsvollen Tour-Generalprobe, der Dauphiné in Südfrankreich.

Und nun also die Tour - so eine Bilanz der Dominanz hat es seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben. Wiggins hat allerdings vor, diese Bilanz noch zu rekordverdächtig veredeln: mit einer Fahrt zu Olympiagold in London, der Stadt, in der er aufgewachsen ist.

Das Zeitfahren findet am 1. August statt, als größte Rivalen gelten dann der Schweizer Fabian Cancellara und Weltmeister Tony Martin aus Eschborn. Beide hatten die Tour vorzeitig verlassen, der Deutsche wegen eines Kahnbeinbruchs. Sofern Wiggins die Partys und Empfänge der nächsten Tage übersteht, geht auch in London kein Weg an ihm vorbei. "Das ist mein nächstes Ziel", sagte Wiggins in Chartres. "Deshalb gibt es jetzt auch keinen Wein."

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