Tour de France:Geschlagen von der Hitze

Etixx-Quick Step rider Tony Martin of Germany cycles during the individual time-trial first stage of the Tour de France

"Ich bin super enttäuscht": Tony Martin verpasst die größte Chance seiner Karriere aufs Gelbe Trikot.

(Foto: Benoit Tessier/Reuters)
  • Der deutsche Radprofi Tony Martin fährt zum Auftakt der Tour de France auffallend schnell - und verpasst trotzdem das Gelbe Trikot.
  • Während ihn das Publikum feiert, ist Martin merklich niedergeschlagen. "Zweite Plätze zählen für mich nicht mehr", sagt er.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen bei der Tour de France.

Von Johannes Aumüller, Utrecht

Links und rechts schrien die Leute "Bravo, Tony", aber der Mann, den sie bejubelten, war richtig abgekämpft und noch gar nicht richtig in der Lage, die Begeisterung zu registrieren. Die Leute schrien das nicht, weil es bei der Tour de France dazu gehört, wirklich jeden mit Applaus zu bedenken, selbst den Franzosen Mikael Cheral, der das Auftakt-Zeitfahren in Utrecht als Letzter beendete, oder den Niederländer Lars Boom, dessen Start viele Diskussionen nach sich zog, weil er bei einer Blutkontrolle kurz vor der Rundfahrt ein geringes Cortisollevel aufgewiesen hatte.

Bei Tony Martin schrien die Leute, weil der 30-jährige Cottbuser eine wirklich auffallende Leistung geboten hatte: 13,8 Kilometer in 15:01 Minuten, eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 55,163 Kilometern pro Stunde - so schnell hatte bis zu diesem Samstag in Utrecht in der 112-jährigen Geschichte der Frankreich-Rundfahrt noch nie jemand ein Zeitfahren bestritten.

Allein: Das war trotzdem nicht schnell genug. Der Australier Rohan Dennis fuhr die Strecke noch fünf Sekunden schneller und übernahm etwas überraschend als erster Fahrer bei der diesjährigen Tour das Gelbe Trikot.

"Zweite Plätze zählen für mich nicht mehr"

Doch während ihn das Publikum trotzdem feierte, war Martin merklich niedergeschlagen. "Zweite Plätze zählen für mich nicht mehr", sagte er, als er nach einigen Minuten Ausrollzeit im Ziel endlich wieder halbwegs zu Atem gekommen war. "Ich bin super enttäuscht."

Monatelang hatte sich der Zeitfahr-Spezialist penibel auf diesen Tag vorbereitet. Er hatte sich die Strecke im Internet angeschaut, er hatte sich von einem Betreuer seiner Etixx-Mannschaft ein Video zusammenschneiden lassen, er war bereits am Dienstag und damit früher als alle Konkurrenten angereist, und er hatte bei seiner Vorbereitung sogar die Busfahrer der Stadt geärgert, weil er bei seinen Proberunden unter der Woche deren Spur nutzte. "Die Radwege hätten mir da wenig genutzt", hatte Martin nach der Streckenbesichtigung gescherzt.

Er wusste: Noch nie war die Chance auf das Gelbe Trikot so groß. Doch dann fehlten ihm fünf Sekunden - und blieb ihm zum zweiten Mal nach 2010 bei einem Auftakt-Einzelzeitfahren der Tour de France nur der zweite Platz.

Und dann flog auch noch ein Bierbecher in die Schaltung

Damals hatte ihm der Nieselregen womöglich den Spitzenrang vermasselt, und auch diesmal hat das Wetter wohl wieder eine entscheidende Rolle gespielt. Mehr als 35 Grad waren es, dass ziemlich genau mit dem Start des Zeitfahrens um 14 Uhr ein leichter Wind einsetzte, machte es nur unwesentlich besser. "Ich hätte nicht gedacht, dass mir die Hitze so zu schaffen macht, sie hat mich abgetötet", sagte Martin, wollte das aber nicht als Ausrede verstanden wissen: "Die Bedingen waren ja für alle gleich."

Er habe es nicht geschafft, wie gewohnt seine Power zu bringen, vor allem sei ihm in der zweiten Hälfte des Rennens die Kraft ausgegangen. Und einmal, so berichtete es Martins sportlicher Leiter Rolf Aldag, flog auch noch ein Bierbecher in die Schaltung und es gingen ein paar Tritte ins Leere - aber auch ohne diesen kleinen Zeitverlust hätte es wohl nicht gereicht.

Damit trägt zum ersten Mal seit 2012 nach der ersten Etappe der Tour kein deutscher Fahrer das Maillot Jaune. In den beiden vergangenen Jahren hatte es sich jeweils der Sprinter Marcel Kittel gesichert, der dieses Mal von seinem Team wegen mangelnder Fitness nicht nominiert worden war. In der deutschen Radsportszene hatten sich viele erhofft, dass ein Zeitfahr-Sieg von Martin die Basis legen würde für eine ähnlich gute Ausbeute wie in den vergangenen Jahren, als die Deutschen jeweils die Nation mit den meisten Etappensiegen waren.

Nun sollen es bis auf weiteres die Sprinter Andre Greipel (Rostock/Lotto) und John Degenkolb (Erfurt/Giant) richten. Am Sonntag steht die erste Flachetappe an - allerdings könnte es gut sein, dass diese ebenfalls nicht so verläuft, wie sich das die Favoriten erwarten. Denn die letzten 30 Kilometer führen direkt an der windanfälligen Küste entlang, die Etappenankunft ist auf einem Deich: Da kann es leicht passieren, dass das Peloton zerklüfteter als bei Flachetappen üblich das Ziel erreicht.

Aber Tony Martin darf als kleines Trostpflaster auf dieser Strecke wenn schon nicht das Gelbe, so doch wenigstens das Grüne Trikot des Punktbesten tragen.

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