Tour de France:Erst Düsseldorf, dann die Rundfahrt

Auf der Suche nach neuen Potenzialen ist der Tour-Eigner Aso, ein privates Unternehmen, fündig geworden: Deutschland gilt nun als geeigneter Wachstumsmarkt.

Von Johannes Aumüller, Bern

Mehr als 100 Treppenstufen führen hinauf in den Raum, in dem sich der deutsche Radsport selbst neuen Schwung verleihen möchte, und das lässt sich ob der Situation des deutschen Radsports natürlich gleich symbolisch deuten. Er steckt immer noch in einer sehr problematischen Lage, aus der herauszukommen es wohl sogar mehr als 100 Schritte braucht, aber oben im Stufenbau am Rande Berns skizzieren sie voller Leidenschaft eine schönere Zukunft. "Deutschland, deine Tour" steht auf den Plakaten, vor denen erst die Bosse des mächtigen Tour-de-France-Veranstalters Amaury Sport Organisation und dann ein paar deutsche Radfahrer wie John Degenkolb erzählen dürfen, wie sehr sie sich darauf freuen, wenn Deutschland in zwei Jahren wieder eine Deutschland-Tour hat.

Es bleibt noch abzuwarten, wie sehr das verfängt. In der Szene gibt es jedenfalls auch einige Skeptiker. Denn es steckt nicht zuletzt ein großes wirtschaftliches Interesse hinter dieser Präsentation. Veranstalter der Deutschland-Rundfahrt wird der Tour-Eigner Aso, der den deutschen Markt wie so viele andere Protagonisten im Radsport als großen Wachstumsmarkt ausgemacht hat. Die Aso ist ein privates Unternehmen und somit auch auf Profit und wirtschaftliche Stärke aus, und so sucht sie überall nach neuen Potenzialen: Zum Portfolio gehören längst nicht mehr nur die Tour de France oder die Spanien-Rundfahrt, sondern auch kleinere Rundfahrten in Yorkshire und in Kalifornien, in Oman und in Katar. Und jetzt soll Deutschland dran sein. "Wir können uns eine Zukunft des Sports ohne Deutschland nicht vorstellen", flötete Tour-Chef Christian Prudhomme. Deswegen kommt 2017 der Tour-Start nach Düsseldorf, deswegen soll von August 2018 an nach achtjähriger Pause wieder eine Deutschland-Tour im Rennkalender des Weltverbandes (UCI) stehen. Auch wenn die zunächst nur vier Tage dauern soll, weswegen sich durchaus die Frage stellt, ob "Deutschland-Rundfahrt" als Label nicht etwas zu groß daherkommt. Ansonsten stehen noch kaum Details fest, und es wird interessant sein zu sehen, wie die Aso die Konkretisierung in den nächsten Monaten angeht. Dass Deutschland ein Radsport-Land ist, stimmt natürlich in dem Sinne, dass viele Menschen gerne und viel Rad fahren. Aber offenkundig gibt es weiterhin eine gewisse Abgrenzung zum Elitebereich. Viele Menschen sind ob der Erfahrungen weiterhin skeptisch. Etwas mehr als eine Million Zuschauer hat die ARD bei ihrer Live-Berichterstattung von den Etappen, das ist okay, aber nicht überwältigend. Aber fürs Projekt Deutschland-Rundfahrt braucht es unbedingt Fernseh-Übertragungen, das gab Aso-Direktor Yann Le Moenner unumwunden zu: "Wir hoffen, dass die ARD uns folgt." Ein anderes Thema sind die Sponsoren. Im vergangenen deutschen Radsport-Boom waren Unternehmen wie Telekom und Nordmilch (Milram) engagiert. Firmen solcher Größenordnung sind derzeit nicht zu sehen, sondern eher Mittelständler wie Alpecin, Bora oder Hansgrohe. Offenkundig überwiegt bei vielen Unternehmen weiterhin die Skepsis, wenn es um Investments in den Radsport geht. Und auch bei den Kommunen ist die Frage, wie viele in Zeiten angespannter Kassen einen deutlich sechsstelligen Betrag aufbringen würden, um als Etappen-Standort der Deutschland-Rundfahrt firmieren zu können. Unabhängig davon beobachten mache in der Szene irritiert, dass jetzt die mächtige Aso eingreift - und fragen, welche Folgen das für andere Rennen haben könnte. Zwar betont Le Moenner, dass die Deutschland-Rundfahrt nicht in Konkurrenz zu irgendeiner anderen Veranstaltung stehe, sondern Dynamiken freisetzen wolle. Aber andererseits hat Deutschland 2016 so wenige Renntage wie schon lange nicht mehr. Ein zentraler Grund: die schwierige Sponsorensuche. Die Bayern-Rundfahrt etwa kam nicht zustande, weil 300 000 Euro im Etat fehlten - ein Betrag, der im Profiradsport nach nicht viel klingt. Was ist, wenn sich nun noch mehr Sponsoren von den mittleren Rennen ab- und der größeren Deutschland-Rundfahrt zuwenden? "Ich habe immer gesagt, dass es traurig ist, wenn ein Land wie Deutschland keine nationale Rundfahrt hat", sagt Bayern-Rundfahrt-Chef Ewald Strohmeier: "Aber natürlich sind das auch Wettbewerber, auch wenn sie in einer anderen Liga spielen."

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