Tour de France:"Er war ganz locker"

Postal-Teamchef Bruyneel über Toursieger Lance Armstrong

Andreas Burkert

Johan Bruyneel, 37, ist seit 1999 Sportlicher Leiter des US Postal-Teams, seitdem hat Lance Armstrong viermal die Tour de France gewonnen. Der Belgier ist bis 1998 selbst Profi gewesen, gewann bei der Tour zwei Etappen und trug einmal das Gelbe Trikot ('95). Als Armstrong nach überstandener Hodenkrebserkrankung bei der Spanien-Rundfahrt 1998 den vierten Platz belegte und damit erstmals bei einem Etappenrennen glänzte, schrieb ihm Bruyneel eine E-Mail: "Du kannst die Tour de France gewinnen!" Armstrong engagierte Bruyneel und formte mit ihm das heutige Postal-Team. Am Wochenende sagte er über Bruyneel: "Ich könnte mir nicht vorstellen, es ohne ihn zu machen."

bruyneel_dpa

Johan Bruyneel

SZ: Herr Bruyneel, wir haben die unspektakulärste Tour seit 1995 gesehen. Hätten Sie gedacht, dass es für Ihren Kapitän so einfach werden würde?Bruyneel: Es sah für Sie leichter aus, als es war. Um so ein Rennen wie die Tour zu kontrollieren, benötigst du unglaublich viel Kraft. Dazu kamen die Probleme in der ersten Woche mit dem verlorenen Zeitfahren und dem Sturz - nein, so einfach ist es nicht gewesen.

SZ: Vor der Tour hieß es, Armstrong sei womöglich nicht in der Form der letzten drei Jahre. Haben Sie nach dem ersten Zeitfahren erste Zweifel gehabt?Bruyneel: Ich weiß wirklich nicht, warum es im ersten Zeitfahren nicht geklappt hat. Natürlich haben sich die anderen danach noch größere Hoffnungen gemacht, aber ich weiß wirklich nicht, wie sie so etwas denken konnten. Lance hatte vorher Midi Libre und die Dauphiné-Rundfahrt gewonnen - wie kann man da denken, er sei nicht so stark wie in den Jahren zuvor? Aber uns ist das ziemlich egal gewesen, ich wusste ja, wie stark er ist. Die erste Woche war doch prima: Wir konnten uns hinter den tollen Kommentaren der Spanier verstecken. Wir sind ruhig geblieben, denn wir hatten uns darauf vorbereitet, wie die Tour diesmal verlief, mit sechs harten Bergetappen am Ende. Es war wichtig, sich auf die Berge zu konzentrieren. Dort gewinnst du die Tour. Beim Zeitfahren verlierst du sie höchstens.

SZ: Ist er am Limit gefahren?Bruyneel: Nein, das bestimmt nicht. Er hat seine Kräfte nur kontrolliert und gut eingeteilt. Er ist sehr kalkulierend gefahren und manchmal sicher auch an seinem Limit: am Mont Ventoux, beim ersten Zeitfahren, bei dem es ihm nicht richtig gut ging, und am Hinterrad von Roberto Heras nach La Mongie. Ansonsten ist er sehr locker gewesen, fand ich, weit weg von seinen Grenzen.

SZ: Er hat sich am Mont Ventoux über die Menschen beschwert, die ihm Doping vorwerfen. Könnte er das nicht selbst eindämmen, indem er sich etwa vom umstrittenen Sportarzt Michele Ferrari trennte? Bruyneel: Wir leben doch in einer freien Gesellschaft, da darf sich jeder denjenigen aussuchen, mit dem er zusammenarbeiten möchte. Und es ist doch wirklich eine Minderheit, die so etwas denkt. Wer viel gewinnt, bei dem hoffen doch alle, dass der Favorit endlich verliert, dass er auf die Schnauze flieg. Das ist normal, das ist Sport. Lance verletzt das nicht, damit muss er leben.

SZ: Ist es denn gut für den Radsport, dass der Ausgang einer Tour mit Lance Armstrong so vorhersehbar ist? Bruyneel: Für mich ist es perfekt! Aber im Ernst: Miguel Induraín hat als einziger die Tour fünfmal hintereinander gewonnen - war das gut für den Radsport? Ich denke ja, denn jeder Sport braucht einen großen Star, eine Leitfigur. Und Lance ist eine.

SZ: Müssen aber nicht selbst Sie hoffen, dass ein ernsthafter Herausforderer wie Jan Ullrich zurückkehrt? Bruyneel: Auf jeden Fall, aber Joseba Beloki ist auch ein echter Gegner, er hat sich sehr verbessert . . .

SZ: . . . aber er ist doch nicht wirklich in der Lage, ihn zu gefährden?Bruyneel: Noch nicht, aber Ullrich ist letztes Jahr auch chancenlos gewesen. Ich würde ihn dennoch gerne wieder bei der Tour sehen, und vielleicht ist er dann stärker denn je und Lance nicht mehr ganz so gut. Dann bekämen wir ein großes Duell.

SZ: Glauben Sie daran? Bruyneel: Es ist möglich, wenn er sich einmal darauf besinnt, seinen Kopf zu ordnen.

SZ: Es wird spekuliert, Ullrich denke an einen Teamwechsel. Würden Sie ihm dazu raten? Bruyneel: Nein. Ich finde, dass der beste nationale Fahrer dem besten nationalen Rennstall angehören sollte. Dieser Aspekt sollte nicht verloren gehen.

SZ: Wie oft werden wir Lance Armstrong noch als Tour-Sieger erleben?Bruyneel: Diesmal war er auf demselben Level wie im letzten Jahr. Ich bin mir sicher, dass er diese Form bis zum nächsten Jahr konserviert und es noch einmal tut. Und dann, dann wäre es das sechsten Mal. Es gibt vier Fahrer, die an dieser Aufgabe gescheitert sind. Aber wenn es einer schaffen kann, dann ist es Lance.

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