Tour de France:Dynamit unter Verschluss

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Die Akte Fuentes glüht, ständig gibt es Eruptionen, die manchen Sporthelden aus dem Sattel stoßen könnten.

Thomas Kistner

Riis, Schleck und CSC, neue Fallstudie mit alten Bekannten - ist Señor Fuentes noch ein Begriff? Bei Jan Ullrich brauchte es auch etwas Zeit und eine DNS-Probe, um ihn an den Blutdopingarzt zu erinnern.

Die Schlüsselfigur: Eufemiano Fuentes (Foto: Foto: AP)

Zu den stärksten Belegen dafür, dass systematischer Pharmabetrug in Populär-Sparten wie dem Radsport von höchster Stelle abgesichert wird, zählen die im Justizarchiv schlummernden Akten zur "Operación Puerto". In Spanien wurde das Material, das Fuentes' Dopingumtriebe und viele prominente Namen enthält, hastig weggepackt, als die Politik begriff, dass da eine Bombe tickt. Nicht nur Radprofis sicherten sich ja Fuentes' Hightech-Dienste, sondern auch Leichtathleten, Tennishelden, Fußballstars. Als die Enthüllungsorgie diese Klientel erreicht hatte, kreischten im Land, wo Klubs "königlich" heißen, die Notbremsen. Und just als Eufemiano Fuentes über seine Fußballaktivitäten zu plaudern begann und eigene Medikationspläne herausgab, verfiel er plötzlich in Schweigen. Er sagt, er wurde ständig mit dem Tode bedroht.

So wäre alles wieder unter Kontrolle der Vertuscherallianz aus Politik und Sport. Tja, wäre nicht die Beweissicherung der Polizei so weit gediehen, dass die Szene jetzt auf einem Vulkan sitzt: Die Akte Fuentes glüht, ständig gibt es Eruptionen, die manchen Sporthelden aus dem Sattel stoßen könnten. Zurzeit tauschen sich wieder die Ermittler aus. Zwar hält Madrid mit dünnen Argumenten sein Dynamit unter Verschluss, anstatt Klärung zu schaffen in einem Bereich, der Millionen von Menschen weltweit in Bann zieht.

Doch die Arbeit der Fahnder geht offenbar trotzdem weiter, vorbei an Spaniens Staatsräson. Es gab Razzien in vier, fünf Ländern, und es gibt Fuentes' Dopingkonto in Genf, das bekanntlich nicht nur die Zahlungseingänge der paar geständigen Athleten wie Jörg Jaksche aufweist. Es wäre so einfach, Licht in ein Dopingdunkel zu bringen, das keines ist aus Sicht unabhängiger Experten und der Ermittler, die bei Zeugenverhören klare Bilder der Dopingnetzwerke erhalten. Doch sie werden gebremst. Von der Politik, die vor Funktionären kuscht, welche effektive Strafgesetze um jeden Preis verhindern. Weil sie ja wissen, was ihre brutalen Traumfabriken befeuert. Auch kurz vor den Olympischen Spielen in Peking beschwören sie das Publikum mit falschen Versprechen.

Die Allianz aus Politik und Sport meidet jede Vergangenheitsaufarbeitung, so bleiben die Wurzeln des Systems intakt. Denn wo nichts geklärt wird, wo keine bereitliegenden Fakten eingeholt und erdrückende Indizien überprüft werden, verschluckt der Sumpf nur leise schmatzend die paar Sünder, die zufällig auffliegen. Und die Nachrücker setzen fort, was sie von Chefs, Vorbildern, Kollegen gelernt haben. Das Fernsehen glaubt an Wunder, weil es der Quote dient: Im Fall des mafiösen Radsportzirkels sogar, dass sich eine Mafia ganz von allein läutern kann.

© SZ vom 26.7.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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