Tour de France:Das Schweigen des Siegers

Cadel Evans gewinnt die Tour de France und kann damit das Stigma des ewigen Zweiten ablegen. Als Vertreter einer sauberen Radsport-Zukunft indes gilt er nicht - wohl deshalb gibt er sich nach seinem Erfolg einsilbig.

Andreas Burkert, Grenoble

Es ist nicht auszumachen, ob das Schweißtropfen sind oder doch Tränen. Andy Schleck senkt den Kopf, er würde jetzt wohl gern allein sein. Aber hinter der Ziellinie auf der Rue Jules Ferry am Sportpalast von Grenoble geht es nicht weiter für ihn, es herrscht das übliche Gedränge der Kameramänner und Fotografen, einige von ihnen fallen übereinander; die Enge ist ein bisschen unheimlich.

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Cadel Evans gewinnt die Tour de France.

(Foto: AFP)

Frank Schleck hat sich durchgekämpft zu seinem jüngeren Bruder, er nimmt ihn in den Arm. Sie trauern schweigend, und in diesem Moment ist es doch zu erkennen: Das sind ein paar Tränen bei Andy Schleck, denn er hat erneut die Tour de France verloren. So hart lautet im Radsport das Urteil, wenn ein 26-Jähriger bei seiner vierten Tour-Teilnahme zum dritten Mal hintereinander Zweiter wird. Wieder nur Zweiter.

57 Sekunden Vorsprung auf den Allrounder und guten Rouleur Cadel Evans haben im Zeitfahren von Grenoble nicht ausgereicht für Schleck. Schon nach zehn der 42,5 km hatte der Australier den Rückstand halbiert, nach der Hälfte war der Luxemburger eingeholt; am Ende verlor Andy Schleck als Etappen-17. zweieinhalb Minuten. Um 1:34 Minuten hat er diesmal den ersten Toursieg verpasst.

Zwar bestiegen die Schlecks sonntags als erstes Bruderpaar das Podium auf den Champs-Élysées in Paris, Frank Schleck, 31, ist Dritter geworden vor der hemmungslos von den Franzosen gefeierten Überraschung Thomas Voeckler. Doch die zwei werden nun mit dem Gefühl abreisen, eine Chance verpasst zu haben. Er sei enttäuscht, sagt Andy Schleck hinterher. "Aber ich bin ja noch jung."

Und so hat sich also ein anderer aus der Rubrik der ewigen Zweiten verabschiedet. Cadel Evans, 34, galt früher als Bruchpilot, das Telekom-Team hat ihn 2004 mal nicht nach Frankreich mitgenommen, weil Manager Walter Godefroot ihm nicht mal zutraute, unterwegs unfallfrei Wasserflaschen am Wagen abzuholen.

Eine lange Reise hat der erste australische Tour-Sieger hinter sich, in diesem Jahr profitierte er von seinem offensiveren Fahrstil, von der Passivität der Schlecks in den Pyrenäen - und auch von einer gewissen Naivität der Rivalen.

Im Gegensatz zu Evans kannten sie die technisch anspruchsvolle Strecke von Grenoble nicht, der Weltmeister von 2009 dagegen hatte den Parcours bereits im Juni bei der Dauphiné-Rundfahrt bewältigt und ihn sich am Samstagmorgen erneut angesehen.

Ob die Schlecks, denen diese Solodisziplin überhaupt nicht liegt, den Kurs wirklich sahen, wie der Leopard-Sprecher eifrig anderslautende Meldungen korrigierte, ist unklar. Andy Schleck sagt, sie hätten "morgens um halb zehn im Regen" die Strecke abgefahren. Andere sagen, die Schlecks hätten im Stau von Alpe d'Huez gestanden.

Evans' ernüchternde Erklärung

Professionalität hat Evans vom Image eines Zauderers und Verlierers befreit, "ich bin so oft dafür kritisiert worden, Zweiter zu sein", sagt er abends bei der traditionellen Gesprächsrunde des Tour-Siegers. "Jetzt bin ich bin ein freier Mann." Über den eigenen Lenker hinaus will sich der frühere Mountainbiker aber keine Gedanken machen.

Im Gegensatz zu 2007 und 2008, als er Zweiter wurde und Dopingskandale und skurrile Leistungen die Tour de France prägten, habe der Wettbewerb diesmal fairer ausgesehen, sagt jemand und fragt, ob er vielleicht auch deshalb gewann. Evans' Antwort ist so kühl und ernüchternd, wie das von ihm zu erwarten war. Er sagt: "Ich bin nicht in einer guten Position, um das zu kommentieren."

An nichtssagende Sieger hat man sich gewöhnt bei der Tour, die Vorgänger Floyd Landis, Alberto Contador oder Carlos Sastre äußerten sich ähnlich einsilbig. Doch im Grunde ist Evans wenigstens ehrlich gewesen, denn in guter Position sein, um als Vertreter eines sauberen Radsports durchzugehen - das wird er nie.

Dass der im Tessin lebende Routinier zum italienischen Dopingarzt Michele Ferrari Kontakte unterhielt, hat er mal bestätigt, mal dementiert. In Grenoble deutete er ja selbst an, wer ihn noch alles begleitet. Bei der Erwähnung seines kürzlich verstorbenen Trainers Aldo Sassi war er sogar zu Tränen gerührt.

Sassi war einst Manager vom Team Mapei, das später wegen zahlreicher Dopingfälle schließen musste. Auch im aktuellen BMC-Team umgeben ihn Personen, deren Vergangenheit pikante Fragen aufwirft. Die Teambesitzer, Jim Ochowicz, 60, und Andy Rihs, 69, wurden zuletzt vom Kronzeugen Landis beschuldigt, sie hätten ihn bei Team Phonak zum Doping ermuntert; Rihs habe den Betrug sogar finanziert. Ebenso sei John Lelangue eingeweiht gewesen. Der Belgier ist nun BMC-Sportchef. Die drei Herren dementieren. Verklagt haben sie Landis offenbar nicht

Landis hatte 2006 die Tour für das Team des Geschäftsmanns Rihs gewonnen, ehe ihm der Sieg wegen Dopings aberkannt wurde. Der Schweizer machte Phonak dicht, angeblich sei er angewidert wegen des runden Dutzends Dopingfälle. Zeitgleich formierte Rihs aber das BMC-Nachwuchsteam, das er dann mit viel Geld und einschlägigem Personal aufrüstete: Manager Ochowicz arbeitete einst bei Motorola mit Lance Armstrong.

Teamarzt ist Max Testa, dessen Vita als Betreuer bei Mapei und Armstrongs Rennstall sowie von Profis wie Levi Leipheimer ebenfalls eine auffällige Nähe zum Kernthema Doping belegt. Der Chef-Pfleger von BMC, Freddy Viaene, ist ebenfalls gut bekannt. Der Belgier begleitete Armstrong bei sechs Tour-Siegen.

Aber über derlei Dinge redet Evans nicht. Er ist in keiner guten Position, da hat er recht. Auch der vermögende Patron Rihs, der weiterhin Erfolg über Ethik stellt, will seine Ruhe haben. Den Landsleuten von der Neuen Zürcher Zeitung sagte er am Samstag, sie bräuchten ihn gar nicht ansprechen, weil sie über Doping berichten. Man muss Rihs' Sehnsucht nach einer langen Party verstehen: Der letzte Profi, der erst am finalen Tour-Samstag Gelb eroberte wie nun Evans, ist Landis gewesen.

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