Tour de France:Befreiung vom dunklen Schatten

Lance Armstrong, Michele Scarponi, jetzt Team Europcar: Die Tour de France startet wie jedes Jahr unter dem Eindruck ständig drohender Doping-Enthüllungen. Die nachrückende Generation im Peloton wünscht sich eine Aufarbeitung eines mutmaßlichen großen Schwindels und eine Befreiung vom Schatten des Rekordsiegers Armstrong.

Andreas Burkert

Viele von ihnen werden erwartungsfroh und unbelastet auf die Reise gehen, die am Samstag in Lüttich vor dem Palais des Princes-Evêques beginnt. Marcel Kittel zum Beispiel, der deutsche Aufsteiger im Kreis der weltbesten Straßensprinter, für den 24-Jährigen aus Arnstadt ist es die erste Tour de France. Bei seinem Debüt darf man ihn ganz vorn erwarten, wenn schnelle Männer wie er oder auch Landsmann André Greipel (Rostock) versuchen, auf den Flachetappen den Regenten des Sprints zu besiegen, Großbritanniens Weltmeister Mark Cavendish.

Tour de France: Auch in diesem Jahr einer der Favoriten: der Australier Cadel Evans.

Auch in diesem Jahr einer der Favoriten: der Australier Cadel Evans.

(Foto: AFP)

Doch auch Kittel wird sich neben dem vielen Verkehr auf der Straße, den Massen an der Strecke und den quälenden Bergfahrten auch mit dem leidigen Thema des Radsports beschäftigen müssen. Schon in den Tagen und Wochen vor dem Prolog überlagerten zwangsläufig Schlagzeilen über Doping und Betrug das sportliche Geschehen. Es ist so wie immer in den zurückliegenden Jahren.

Kittel, ein aufgeräumter, intelligenter junger Mann, war ja selbst unverhofft in dieses Thema geraten, seitdem auch seine Besuche bei dem umstrittenen Erfurter Arzt Andreas Franke thematisiert wurden. Marcel Kittel ist gleich sehr offen mit seiner UV-Blutbehandlung umgegangen, er erklärte sich als Erster und ausführlich zu Beginn der noch ungeklärten Affäre und muss wohl angesichts der mutmaßlichen Fahrlässigkeit des Doktors nicht mit Sanktionen rechnen. Deshalb hat ihn sein holländischer Argos-Rennstall auch bedenkenlos nominiert. Kittel wird in Belgien und dann in Frankreich somit nur sportlich ein Thema sein.

Ansonsten herrscht vor dem Start der 99. Tour erneut eine Hab-Acht-Haltung im Feld angesichts all dessen, was da zuletzt wieder an die Öffentlichkeit drang. Die Doping-Anklage der US-Anti- Doping-Behörde (Usada) gegen Lance Armstrong und seinen vieljährigen Teamchef Johan Bruyneel dürfte nicht mal dazu gehören, gerade die nachrückende Generation im Peloton wünscht sich eine Aufarbeitung eines mutmaßlichen großen Schwindels und damit eine Befreiung vom dunklen Schatten des Rekordsiegers Armstrong.

Wie der Texaner weist auch Bruyneel die Vorwürfe zurück, dennoch muss der Belgier auf Druck von Veranstaltern und Sponsoren auf sein Heimspiel im Stadtzentrum von Lüttich verzichten; sein Team Radio Shack reist ohne den Chef an.

Aber die Tour bleibt auch so die Tour, nicht nur, weil nun sinnigerweise der durch seine Zeit bei den Teams Telekom, T-Mobile und in Armstrongs Sportgruppen hinreichend verdächtige Cottbuser Andreas Klöden - in Abwesenheit von Andy Schleck - zum Kapitän von Radio-Shack aufsteigt: Als die Franzosen am Donnerstag ihre Sportzeitung L'Équipe aufschlugen, lasen sie etwas von Doping-Ermittlungen, welche die französische Gesundheitsbehörde (OCLAESP) im Sommer 2011 gegen das heimische Team Europcar um Volksheld Thomas Voeckler eingeleitet hat. Missbrauch von Kortikoiden und Verabreichung von Infusionen lauten die Vorwürfe.

Im Mittelpunkt der Anschuldigungen

Voeckler hatte 2011 das Gelbe Trikot bis zum letzten Zeitfahren getragen und Rang vier belegt, auch Kollege Pierre Rolland verblüffte als Etappensieger in Alpe d'Huez und Gewinner des weißen Nachwuchs-Trikots. Bisher sollen zwei Profis, der Teamarzt und ein weiterer Mitarbeiter befragt worden sein. Der altgediente Teammanager Jean-René Bernaudeau und Voeckler bestätigten dies am Donnerstag in Lüttich nicht.

"Das ist eigentlich gar nichts", entgegnete Bernaudeau, ein jovialer Mann mit sonnigem Teint. Er gründete die Bewegung für glaubwürdigen Radsport MPCC mit, "damals haben wir uns für eine No-Needle-Politik ausgesprochen. Und jetzt stehe ich im Mittelpunkt solcher Anschuldigungen. Das ist surreal", sagte Bernaudeau genervt.

Wieso die französische Anti-Doping-Agentur ein Jahr später noch zu keinem Resultat der Untersuchung gelangt ist, fragte er nicht ganz zu Unrecht. 2011 hatte die Polizei am Vorabend des Tourstarts eine Razzia bei Quick Step durchgeführt. Gefunden wurde bei den Belgiern, für die nun der Eschborner Prolog-Mitfavorit Tony Martin fährt, nichts.

Martin ist auch so einer, der mit zwiespältigen Gefühlen die knapp 3500 Kilometer bis nach Paris angehen dürfte. Er positioniert sich stets klug zum Thema Doping - doch nun heißt der Kapitän des Zeitfahr-Weltmeisters Levi Leipheimer, ein früherer Dopingsünder und Gefährte Armstrongs. Viele solcher Personalien bietet auch diese Tour, nicht zuletzt die des Michele Scarponi. Der Italiener, als Kunde des spanischen Blutdoktors Fuentes von 2007 bis 2009 gesperrt gewesen, sollte am Mittwoch eigentlich vor dem Nationalen Olympischen Komitee seines Landes verhört werden.

Diesmal geht es um die verbotene Zusammenarbeit mit Dopingarzt Michele Ferrari. In einem vergleichbaren Fall forderte Italiens Olympia-Komitee am Donnerstag eine Sperre von einem Jahr für Filippo Pozzato. Unter den verdächtigten Fahrern ist auch Scarponi, der Giro-Sieger von 2011. Dessen Anhörung wurde jedoch auf seinen Antrag hin bis nach der Tour verschoben. Schön für ihn, schlecht für Neulinge wie Marcel Kittel.

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