Tottis Abschied in Rom:Schluchz!

AS Rom - CFC Genua

"Erlaubt mir, ein wenig Angst zu haben": Francesco Totti, 41, verlässt den AS Rom.

(Foto: Alessandra Tarantino/dpa)

Drei Päpste, 13 Regierungen - und ein Totti: Roms Fußball-Idol geht mit Grandezza und Tränen. Bei seinem letzten Spiel offenbart er seine Ratlosigkeit.

Von Birgit Schönau

Als der Moment gekommen ist, vor dem alle Angst haben, am meisten er selbst, da öffnen sich die Schleusen. Es weinen die alten Männer mit den grauen Bärten, es weinen die jungen, ein letztes Mal für ihn schön geschminkten Frauen, es schnieft die Vip-Tribüne, es flennt die Mannschaft auf dem Rasen, der neue Torschützenkönig Edin Dzeko und der deutsche Verteidiger Antonio Rüdiger.

Auf der Tribuna Tevere sackt ein Typ in sich zusammen, dem man lieber nicht allein im Dunkeln begegnen möchte, Stoppelhaare, Bullennacken, tätowierte Muskelberge, nun schluchzend wie ein Kind. Ein ganzes Stadion mit 60 000 Menschen weint bei der ergreifendsten Verabschiedung der Fußballhistorie, und am hemmungslosesten heult er selbst: Francesco Totti, das Gesicht vergraben in den weichen Haaren seiner drei Kinder, zu denen er geflüchtet ist, als der Schlusspfiff ertönte nach seinem letzten Spiel. 3:2 hat seine AS Roma in letzter Minute gegen CFC Genua gewonnen, den zweiten Platz knapp vor Neapel und damit die direkte Champions-League-Qualifikation gerade so um Haaresbreite ergattert, weil das Team viel zu aufgeregt war, um an diesem Sonntag auch noch ernsthaft Fußball zu spielen.

Das Ergebnis interessiert nun schon niemanden mehr. Es geht hier nicht um die Zukunft, es geht um das Ende einer Ära, um ein Vierteljahrhundert mit einem Mann, der immer mehr war als ein Fußballer: nämlich Roms Kapitän, das Gesicht einer Stadt und am Schluss wie ein naher Verwandter seiner Mitbürger.

Die städtischen Autobusse fahren an diesem Tag mit der Richtungsanzeige "Linie 10, Grazie Capitano". Francesco, sagt sein Freund, Kollege und Nachfolger Daniele De Rossi, habe eine Stadt geeint, "die sonst über alles streitet". Vermutlich vergießen gerade auch die Lazio-Fans eine kleine Träne, und sei es nur darüber, dass sie so einen wie Totti nie gehabt haben. Die Stimmung schwankt zwischen Verzweiflung und Dankbarkeit, abzulesen auf sorgfältig gemalten Spruchbändern wie diesem hier: "Ich hatte gehofft, früher zu sterben."

In seiner Zeit bei AS Roma hat Totti drei Päpste und 13 Regierungen überdauert. Hat die Leute amüsiert und aufgeregt, mitgerissen und verzaubert. Und dann diese Treue. Man hatte gemutmaßt, der fast 41-Jährige würde nun woanders weiterspielen, noch ein wenig Geld scheffeln in den USA wie Andrea Pirlo. Dabei ist doch klar, dass jedes andere Trikot bei ihm Allergien auslöst. "Roma, Roma, Roma" ertönt nun, die Hymne. Mit gesenktem Kopf hört Totti zu. Dann schießt er einen Ball in die Tribüne, das letzte Geschenk an die Fans. Er fasst sich. Und verliest eine kleine Rede.

Das ist die wirkliche Sensation an diesem Abend: Totti teilt seine Ratlosigkeit, die Verwirrung und Zukunftsangst und beweist damit noch mal Grandezza: "Ich bin noch nicht bereit, basta zu sagen. Vielleicht wäre ich das nie", sagt er. "Das Licht auszumachen, ist nicht einfach." Aber er könne den Lauf der Zeit nicht anhalten. "Erlaubt mir, ein wenig Angst zu haben. Und das ist nicht die Angst vor dem Elfmeter. Diesmal kann ich nicht durch das Tornetz sehen, wie es weitergeht." Er sei nun gezwungen, erwachsen zu werden, erklärt Totti, der dreifache Familienvater und Überrömer. "Ich werde nie mehr den Duft des Rasens einatmen und die Sonne im Gesicht spüren, wenn ich zum gegnerischen Tor renne." Schön war's, und nun soll es vorbei sein. Für alle.

Totti und seine Roma haben nicht viel gewonnen zusammen. Aber sie haben ein Vierteljahrhundert lang in vollkommener Symbiose mit der Stadt immer wieder bewiesen, was Fußball sein kann: Leichtigkeit, Wildheit, Ästhetik, große Gefühle, großer Spaß. "Der Tottismus", hat ein kluger Mann in der sehr römischen Zeitung Il Messaggero mal geschrieben, "ist die einzige Religion, die niemandem weh tut." Am Ende übergibt der Kapitän seine Binde einem kleinen, blonden Jungen aus der Jugendmannschaft, in der auch sein Sohn Cristian spielt. Zwei Tage vor dem Abschied seines Vaters hatte Cristian Totti für sein Team einen Elfmeter geschossen, der den Turniersieg bedeutete. Die Totti- Saga geht weiter.

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