Torwart-Streit:"Ich sag' mal: Vorfahrt für Abwehr"

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Die Wahl zum Bundestorwart steht bevor - Nummer eins Oliver Kahn trifft im TV-Duell auf seinen Herausforderer Jens Lehmann. Von Thomas Hahn

Ein Fernsehstudio in Berlin-Adlershof. Andeutungen von Schwarz-Rot-Gold in der blauen Kulisse. Vor dem Schriftzug "Das TV-Duell. Kahn - Lehmann" stehen an zwei Pulten die Torhüter Oliver Kahn und Jens Lehmann. Davor die Moderatoren Thomas Kausch (Sat1), Sabine Christiansen (ARD), Maybrit Illner (ZDF) und Rainer Holzschuh (kicker). Das Duell wird in sämtlichen deutschen Fernsehsendern übertragen (das DSF schaltet sich wegen eines Gewinnspiels etwas später ein). Nach einem fulminanten Trailer beginnt die Live-Debatte.

Will spielen: Jens Lehmann. (Foto: Foto: AP)

Christiansen: Herr Kahn, die Wahl zum Bundestorwart bei der WM 2006 rückt näher, und Ihre Position als Nummer eins ist geschwächt. Wie wollen Sie das Vertrauen zurückgewinnen?

Kahn: Ich glaube, dass Kontinuität etwas ist, das den Menschen wichtig ist, und deswegen bin ich überzeugt, dass Ihre Beobachtung falsch ist. Das Vertrauen in meine Person ist intakt, weil die Menschen sehen, dass ich für eine solide Mannschaftspolitik nach innen wie außen stehe, und zwar, das möchte ich betonen, ohne falsche Aufgeregtheiten. Deutschland braucht keinen Wechsel.

Illner: Herr Lehmann, was würden Sie als Bundestorwart anders machen?

Lehmann: Wenn Sie erlauben, möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass unter Herrn Kahn eben keine Kontinuität im deutschen Tor herrscht - sofern hier nicht eine Kontinuität des Abstiegs gemeint ist. Sie brauchen sich nur die Zahlen anzusehen: Aus im Viertelfinale der WM 1998, Aus in der Vorrunde der EM 2000, 2004 genauso, Absturz in der Weltrangliste, 1:5 gegen Rumänien, solche Sachen. Wir sind Schlusslicht in Europa, was Kreativität im Spielaufbau angeht, das muss man sich mal vorstellen. Und dann möchte ich daran erinnern, wo wir herkommen: Deutschland war noch 1996 Europameister. Heute haben wir Mühe, im internationalen Wettbewerb mitzuhalten. Das ist eine Katastrophe, deswegen sage ich: Deutschland braucht den Wechsel.

Kahn: Ich finde es unerträglich, Herr Lehmann, wie Sie den Fußball-Standort Deutschland schlecht reden.

Lehmann: Es tut mir sehr leid, dass ich ihnen nicht den Gefallen tun kann, die Wahrheit zu verschweigen.

Kahn: Die Wahrheit ist, dass wir Vize-Weltmeister sind.

Lehmann: Weil Sie im Finale 2002 den Ball nicht festgehalten haben.

Kahn: Herr Lehmann, ich bitte Sie. Ich habe 2001 die Champions League gewonnen. Das ist ein relativ wichtiger europäischer Vereinswettbewerb, den Sie meines Wissens nie gewonnen haben. Meine Meistertitel kann ich gar nicht mehr zählen. Und ich war Welttorhüter 2001 und 2002. Das erreichen Sie nicht durch Fehler, sondern nur durch eine Politik der starken Hände.

Illner: Herr Kahn, stimmt es nicht, dass Deutschland im Fußball zuletzt nicht mehr die Rolle gespielt hat, die es in der Vergangenheit gespielt hat.

Kahn: Aber ich will doch gar nichts schön reden.

Lehmann: Ach so?

Kahn: Wenn Sie mich bitte ausreden lassen würden, ich habe Ihnen auch zugehört! Dankeschön. Also: Ich sehe doch gar nicht alles durch die rosarote Brille, Frau Illner, das können Sie mir glauben. Die Mannschaft hat Probleme, aber die werden Sie bestimmt nicht dadurch lösen, dass Sie in Interviews schlechte Stimmung erzeugen oder als Torwart die Nummer neun nehmen, wie Herr Lehmann das macht. Das ist einfach unredlich.

Lehmann: Sie geben die Eins ja nicht her.

Kahn: Warum sollte ich? Es gibt genügend andere Nummern. Die Zwölf. Die Zweiundzwanzig. Aber der Herr Lehmann aus London nimmt natürlich die Neun. Nur um aufzufallen. Sie sind doch nicht ehrlich zu den Menschen.

Holzschuh: Olli, der Jürgen sagt, für ihn bliebest du die Nummer eins und der Jens der Herausforderer. Am Anfang hat dann der Sepp sich auf deine Seite gestellt, jetzt auch der Michael. Wie siehst du das mit dem Druck?

Kahn: Druck ist immer da, den hast du, sobald du die Handschuhe anziehst und raus gehst. Das ist Wahnsinn.

Lehmann: Ich kann dieses ständige Jammern nicht mehr hören. Mir macht es Spaß, Herausforderungen anzunehmen. Für die Menschen, für Deutschland. Im übrigen möchte ich sagen: Deutschland hat kein Torwartproblem.

Kahn: Da muss ich meinem Kontrahenten ausnahmsweise Recht geben.

Christiansen: Wo liegt das Problem?

Lehmann: Wir müssen etwas fürs Mittelfeld tun, wir müssen Sicherheiten für die Menschen in der Abwehr schaffen, aber wir müssen auch nach vorne schauen. Ich sage immer - und damit liege ich ganz auf der Linie von Jürgen Klinsmann - Angriff ist die beste Verteidigung. Vor allem aber müssen wir die Gegentorquote verringern, das ist das Wichtigste. Mehr Abwehrplätze, darum geht es. Ich sag' mal: Vorfahrt für Abwehr.

Kahn: Dann sagen Sie den Leuten doch endlich, wie Sie das machen wollen. Sie reden nur in Widersprüchen. Das ist eine Milchmädchenrechnung, die Sie da anstellen. Weniger Gegentore schaden dem Wachstum im Angriff, das wusste schon Herberger. Ihr Trapattonismus würde uns auf Jahre hinaus ruinieren.

Illner: Wie wollen Sie Weltmeister werden, Herr Lehmann?

Lehmann: Ich kann natürlich nicht auf einen Schlag wettmachen, was in neun Jahren Kahn versäumt wurde. Das wird seine Zeit dauern, da bitte ich um Verständnis. Aber ich sage mal: Bildung ist ein ganz wichtiger Punkt. Wir müssen uns mehr um die jungen Leute kümmern. Wir müssen Anreize schaffen, auch nach hinten zu arbeiten.

Kahn: Und was ist mit der Altenvorsorge? Herr Lehmann, Sie fahren einen ganz gefährlichen Kurs, Sie setzen das soziale Gleichgewicht in der Mannschaft aufs Spiel. Sie grenzen alte Spieler aus. Es darf nicht sein, dass eine Generation auf Kosten der anderen lebt.

Lehmann: Ich weiß doch, Herr Kahn, dass Sie mit ihren 36 Jahren sich ständig verfolgt fühlen. Aber keine Angst, Sie bekommen eine Wärmedecke für Ihren Platz auf der Reservebank.

Kahn: Sehen Sie?! So geht das die ganze Zeit! Er kennt keinen Respekt!

Holzschuh: Jens,...

Kausch: He, ich bin dran! Herr Kerth, äh, Herr Kahn, es heißt, Ihre Beziehung zu Ihrer Freundin Verena Kerth könnte Sie Konzentration gekostet haben.

Kahn: Ich bin sehr dankbar für die Frage, Herr Kausch, denn das ist mir wirklich ein Anliegen. Ich denke, dass wir im Sport insgesamt ein anderes Spielerfrauenbild brauchen, und dafür will ich etwas tun. Ich werde bei der nächsten WM - so ich denn gewählt werde - bestimmt etwas mehr gegen die Vorurteile vorgehen, denen Spielerfrauen immer wieder ausgesetzt sind. Gerade die blonden.

Lehmann: Er lenkt ab! Herr Kahn, streuen Sie den Menschen nicht Dinger ins Getriebe, äh, Sand in die Augen. Sie können die Fakten nicht leugnen: In neun Länderspielen der Klinsmann-Ära haben Sie 15 Gegentore bekommen. Sieben mehr als ich. Sie haben die Kapitänsbinde verloren. Sie haben Miroslav Klose den Finger in die Nase gesteckt. Sie sind mit Bayern im Viertelfinale der Champions League ausgeschieden. Erkennen Sie endlich die Zeichen der Zeit.

Kahn: Ja, ja, Sie 35-jähriger Jungspund. Integration, einheitliche Beiträge zum Erfolg und sichere Stammplätze sind immer zentrale Säulen meiner Agenda 2006 gewesen. Sie dagegen betreiben Raubbau am Solidarprinzip. Aber bitte, der Wähler soll entscheiden.

Holzschuh: Also der Jürgen.

Kausch: Der Herr Klinsmann.

Illner: Der Bundestrainer.

Christiansen: Herr Kahn, Herr Lehmann, Sie bekommen jetzt noch beide Zeit für ein letztes kurzes Statement. Herr Lehmann bitte.

Lehmann: Sicherheit für Deutschland...

Christiansen: Stopp. Herr Kahn.

Kahn: (die Kamera fährt ganz nah an ihn heran, Kahn schiebt seinen Kiefer vor und hebt seine Schultern, seine Augen blitzen gefährlich) Jürgen, mach' keinen Scheiß.

© SZ vom 8.9.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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