Torsten Mattuschkas Abschied aus Berlin:Verwischte Tusche

1. FC Union Berlin v 1. FC Kaiserslautern - 2. Bundesliga

Torsten Mattuschka war so etwas wie ein Denkmal in der Alten Försterei - jetzt ist er weg.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Union Berlin und Torsten Mattuschka - diese Liebe kannte eigentlich kein Ende. Doch jetzt hat der ewige Publikumsliebling im Streit den Klub verlassen. Die Geschichte zeigt, dass auch bei vermeintlichen "Kultklubs" die Gesetze des Profibetriebs gelten.

Von Boris Herrmann, Berlin

Dass die Liebe vergänglich ist, selbst im Fußball, das haben schon andere lernen müssen. Neulich erwischte es Andreas Lambertz, den ewigen Lumpi von Fortuna Düsseldorf. Der Mann war Spielführer und Denkmal in einem. Er hat seinem Klub die Kapitänsbinde praktisch von der vierten bis in die erste Liga und von dort wieder zurück in die zweite getragen. So einem nimmt man nicht einfach die Binde weg, natürlich nicht. Auch dann nicht, wenn er allmählich etwas älter wird und seinen Heldenstatus hin und wieder auf der Ersatzbank pflegen muss. Düsseldorfs Trainer Oliver Reck ließ deshalb die Mannschaft wählen. Sie wählte einen anderen.

Der Lumpi von Eintracht Frankfurt heißt Alexander Meier. Der neue Trainer Thomas Schaaf hat ihm die Binde nicht direkt weggenommen, aber er hat sie ihm auch nicht übergeben, obwohl sie frei gewesen wäre. Da ahnte Meier wohl schon, was das bedeuten würde. Ersatzbank, Götterdämmerung. Vor ein paar Monaten hätte noch jeder gesagt: Die Fortuna ohne Lambertz, die Eintracht ohne Meier - unvorstellbar! Und der 1. FC Union Berlin ohne Torsten Mattuschka, das war so etwas wie der Gipfel der Unvorstellbarkeit.

Und jetzt? Geht es doch, irgendwie. Das tut weh.

Mattuschka, 33, hat über Leute wie Lambertz und Meier in den vergangenen Tagen öfter mal nachgedacht. Weil ihm deren Geschichte irgendwie bekannt vorkommt. "Ist manchmal komisch, wie das so läuft", sagt Mattuschka. Komisch auch, "dass ich jetzt schon das dritte Beispiel in kurzer Zeit bin". Mattuschka stellt fest: "Keine gute Zeit für die sogenannten Alphatiere."

Woran es liegen könnte, dass die sogenannten Alphatiere, die Klublegenden, wie sie auch genannt werden, gerade eine harte Zeit durchmachen, da muss man wohl die Trainer fragen. In letzter Zeit, das ist auch Mattuschka aufgefallen, wird in modernen Trainerkreisen immer häufiger von "flachen Hierarchien" geredet. Das ist natürlich Gift für Alphatiere. Trainer Norbert Düwel, 46, hat beim 1. FC Union gerade seine erste Leitungsfunktion im Profifußball angetreten, aber beim Rückbau der Hierarchien hat er bereits so viel Staub aufgewirbelt wie ein sogenannter Altmeister. Zum Dienstantritt nahm er Mattuschka die Kapitänsbinde weg. Das war, wie so oft, der Anfang vom Ende.

Mattuschka ist jetzt schon seit zwei Wochen beim FC Energie Cottbus, eine Liga tiefer, aber zurück in seiner Heimatstadt, dort, wo seine Profikarriere einst begonnen hatte. Am Mittwochabend hat er für Energie sein erstes Pflichtspiel gemacht, im Brandenburger Landespokal gegen den Achtligisten SV Großräschen (6:0). "War schön, mal wieder 90 Minuten durchzuspielen", sagte er danach. Durchgespielt hatte er zuletzt äußerst selten.

Union war der 1. FC Mattuschka

Im Grunde ist das keine außergewöhnliche Geschichte: Ein Spieler, der einmal unantastbar war, wird älter, er muss sich dem internen Konkurrenzkampf stellen, verliert seinen Stammplatz, und weil er zumindest seine Ehre retten will, verlässt er den Verein. Aber Mattuschka war eben nicht irgendein Unioner. Für viele war er Union, beziehungsweise Union war der 1. FC Mattuschka.

Große Teile der Anhängerschaft können es deshalb immer noch nicht fassen, dass ihr Tusche nicht mehr da ist. Am Dienstag fand in Berlin ein Fan-Treffen statt, auch dort ging es natürlich um Tusche. Jemand schimpfte, Düwel habe dem Verein das Herz herausgerissen. Der Coach entgegnete: "Für mich zählt nicht, ob hier jemand eine Legende ist."

Düwel baut auf seine Prinzipien

Eigentlich will Mattuschka gar nicht mehr über die "Geschichte mit Union" reden, "zu viel Heckmeck". Er will sich jetzt um die Zukunft bei Cottbus kümmern, sie haben ihm dort einen Dreijahresvertrag gegeben. Deshalb will er auch nicht von einem Rückschritt sprechen, obwohl er eben noch mit Union von der ersten Liga träumte und jetzt mit Energie in der dritten Liga spielt. So einfach lässt ihn die Geschichte aber nicht los, das ist ja die entscheidende Frage seiner Gegenwart: Zählt die Geschichte, oder zählt sie nicht?

Mattuschka argumentiert, er habe neun Jahre lang für Union alles gegeben, er sei immer für seinen Verein da gewesen. Da könne man auch erwarten, mit Respekt behandelt zu werden. Düwel argumentiert, er mache seine Aufstellung nicht nach der Anzahl der Dienstjahre. Beides klingt irgendwie nachvollziehbar. Aber es passt eben nicht zusammen. Mattuschka sagt, er sei schließlich noch in der vergangenen Saison der Topscorer der zweiten Liga gewesen (je zwölf Tore und Vorlagen). Düwel sagt, man müsse die Zahl relativieren, "da waren sieben Elfmeter dabei".

An dieser Stelle wird es schon schmutziger. Die Vereinsführung von Union, die bislang treu zum neuen Trainer steht, ist von Mattuschka enttäuscht, weil er in einem Interview verkündet hatte, er sei vertrieben worden. Mattuschka ist wiederum von Union enttäuscht, weil in einer Pressemitteilung des Klubs stand, der Spieler sei "mit dem Wunsch an uns herangetreten, sich sportlich noch einmal woanders zu beweisen". Klassischer PR-Sprech bei dem Verein, der so stolz ist auf seine klare Kante, da soll noch einer die Welt verstehen!

Es sind die klassischen Indizien einer verflossenen Liebesbeziehung, die das gegenwärtige Verhältnis zwischen Union Berlin und Torsten Mattuschka prägen. Alle sind sauer, aber sie kommen nicht voneinander los. Ein Abschiedsspiel soll es trotz allem geben.

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