Torsten Lieberknecht bei Eintracht Braunschweig:Lieberknechts Tränen treiben Braunschweig um

Erzgebirge Aue - Eintracht Braunschweig

Von den Fans geliebt, beim Manager umstritten: Torsten Lieberknecht.

(Foto: dpa)
  • Bei Eintracht Braunschweig wird Trainer Lieberknecht nach einem vermeintlichen Endspiel für sich emotional und weint vor den Fans.
  • Er und Manager Marc Arnold gehen sich aus dem Weg. Es gibt angeblich erheblichen Gesprächbedarf.

Von Sven Haist, Braunschweig

Nach einem spontanen Aufruf über die sozialen Netzwerke versammelten sich am Sonntagabend etwa 250 Fans von Eintracht Braunschweig vor den heimischen Stadiontoren, um Torsten Lieberknecht bei nasskaltem Wetter einen warmen Empfang zu bereiten. Ehe Lieberknecht, der seit knapp zehn Jahren den tief in der Stadt verwurzelten Klub trainiert, sich überhaupt umsehen konnte, lagen ihm schon wildfremde Menschen in den Armen. Ungefragt drückten sie ihm ihre Verbundenheit aus und ließen ihn hochleben wie einen Heilsbringer, begleitet von kaum enden wollenden Sprechgesängen.

Wer nicht wusste, dass Braunschweig zuvor 3:1 bei Erzgebirge Aue gewonnen hatte und sich dadurch gerade mal ein kleines Polster auf die Abstiegsränge in der zweiten Liga erspielt hatte, der hätte die Atmosphäre anders deuten können: Es wirkte, als hätte die Eintracht zum vierten Mal die Rückkehr in die Bundesliga geschafft. Der innerste Kern der Fanszene vergöttert Lieberknecht geradezu, was dazu führte, dass dem volksnahen Anführer sofort die Tränen kamen. Das war ihm auch schon direkt nach dem Abpfiff passiert, als er alleine über den Platz zu den Anhängern lief - und gar nicht mehr umkehren wollte. "Diese Zuneigung kann man sich nicht kaufen. Das ist ein unmessbarer Wert, dass man seine Arbeit wertgeschätzt bekommt", sagte Lieberknecht, 44.

Nicht mehr derart wertgeschätzt wird Lieberknechts Arbeit innerhalb des Vereins. Deshalb kamen die Leute wohl auch zusammen; sie spürten, dass in Braunschweig demnächst ein Zeitabschnitt zu Ende gehen könnte, der zu den schönsten der Vereinsgeschichte gehört. Mit einer Rettungstat im Mai 2008 bewahrte Lieberknecht die Eintracht vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Statt ein tristes Dasein in der vierten Spielklasse zu fristen, kehrte Braunschweig unter ihm fünf Jahre später zum ersten Mal nach 28 Jahren wieder in die Bundesliga zurück.

Trotz weiterer beachtlicher Erfolge fingen die Verantwortlichen nach der Hinrunde an, über ein Thema zu diskutieren, das in Braunschweig bisher eigentlich verpönt war: die Perspektive von Lieberknecht. Dem Vernehmen nach bereitete sich der Klub im Hintergrund bereits auf das Szenario vor, bei einem weiteren Absinken in der Tabelle den Trainer zu wechseln. In den Gremien des Vereins, bei einigen Sponsoren sowie bei einem Teil der Zuschauer regte sich offenbar zu sehr der Unmut über die eher defensiv ausgerichtete Spielweise und die fehlende Weiterentwicklung der Mannschaft. Ein klares Bekenntnis des Klubs, die aktuelle Flaute - die erste überhaupt mit Lieberknecht - gemeinsam bewältigen zu wollen, blieb aus.

"Das hat Spuren hinterlassen"

Das dürfte Lieberknecht, der in der Branche von manchen auch als berechnend wahrgenommen wird, veranlasst haben, beim Bezahlsender Sky nach der gewonnenen Partie mit seiner Zukunft zu kokettieren: "Ich wusste, dass das Spiel für mich heute ein Endspiel ist, es hätte mein letztes sein können. Das hat Spuren hinterlassen." Die mehrheitliche Gunst der Fans und Spieler, die sich beim Abstiegsduell im Erzgebirge erstaunlich verausgabten, nutzte Lieberknecht, um einen Machtkampf einzuleiten. Mit den öffentlich ausgeplauderten Interna ließ er speziell Marc Arnold schlecht aussehen.

Der sportliche Leiter war es ja, der mit Lieberknecht in der Vorwoche die Lage der Eintracht in einem Gespräch erörtert hatte. Ein paar Stunden später sah sich Arnold deshalb gezwungen, übers Telefon bei Sky klarzustellen, dass das Wort "Endspiel" nie zur Sprache gekommen sei: "Schade, dass er das so interpretiert. Für mich gab es keinen Grund ihm explizit das Vertrauen auszusprechen, weil das Vertrauen grundsätzlich da ist." Ob er seine eigene Zukunft mit der des Trainers verknüpft sehe? "Da sehe ich keinen Zusammenhang", sagte Arnold.

Für diese Woche haben die Beteiligten eine reinigende Aussprache angekündigt, ihre unterschiedlichen Standpunkte machen ein gemeinsames Wirken über die Saison hinaus aber unwahrscheinlich. Selbst ein zeitnaher Rücktritt von Lieberknecht ist keinesfalls abwegig. Im kommenden Mai würde er sein zehnjähriges Jubiläum feiern und sein Vertrag läuft noch bis Juni 2020 - das Verhältnis zu Arnold und Geschäftsführer Soeren Oliver Voigt gilt jedoch mittlerweile als belastet.

In Aue gingen sich der emotionale Lieberknecht und der nüchterne Arnold unübersehbar aus dem Weg. Richtige Unterstützung erhielt Lieberknecht nur von Präsident Sebastian Ebel, der in der Braunschweiger Zeitung erklärte, dass es weder ein Ultimatum noch ein Endspiel gegeben habe. Der Trainer sitze in jedem Fall am Sonntag im Heimspiel gegen den abgeschlagenen Tabellenletzten 1. FC Kaiserslautern auf der Bank.

Der 1. FC Kaiserslautern ist im Übrigen der Klub, bei dem Lieberknecht seine Spielerkarriere begann. Es könnte also wieder emotional werden.

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