Torhüter:Trend zum Klops

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Fangen oder fausten? Ciprian Tatarusanu von Rumänien und Etrit Berisha von Albanien entscheiden sich falsch.

Von Sebastian Fischer

Fliegen ist die Passion von Etrit Berisha, das hat er vor ein paar Wochen seinen Fans im Internet mitgeteilt. Der Torhüter verbreitete ein Bild, auf dem er im Trikot von Lazio Rom hinter einem Ball herhechtet. Er liegt waagerecht in der Luft, die Hüfte auf Schulterhöhe eines Gegenspielers, die Arme angelegt und mit dem Kopf zuvorderst, denn er befand sich außerhalb des eigenen Strafraums: "To fly is my passion" stand darüber, mit Zwinker-Smiley. Berisha, 27, ist talentiert darin, durch sein Tor und den Strafraum zu fliegen. Doch am Samstag hätte er es wohl besser sein gelassen.

Albanien hielt durchaus beachtlich mit gegen schwache Schweizer, und vielleicht wäre im ersten EM-Spiel des Landes sogar ein Punktgewinn möglich gewesen, wäre Berisha nicht in der 5. Minute seiner großen Leidenschaft nachgegangen. Der frühere Münchner Xherdan Shaqiri flankte den Ball per Eckstoß in die Mitte, auf den Kopf des Hoffenheimers Fabian Schär. Und irgendwo hinter dem Rücken des Kopfballtorschützen segelte der Torwart durch den Strafraum, die Arme nach vorne ausgestreckt, als wollte er mit einer Löschdecke ein Feuer ersticken. "La Boulette du Berisha", schrieb L'Équipe: Berishas Klops.

Nach dem Schlusspfiff, als die 0:1-Niederlage feststand, war Berisha auf dem Rasen der einsamste Albaner. Er schüttelte den Kopf, stützte die Hände auf die Knie. Es wäre ihm wohl auch kein Trost gewesen, hätte man ihm zu diesem Zeitpunkt einen Blumenstrauß überreicht und ihn dazu beglückwünscht, den ersten sportlichen Trend dieser jungen Europameisterschaft bestätigt zu haben. Berisha war ja nicht der erste EM-Torwart, der unbeholfen umhersprang. Die Torhüterleistungen in Frankreich sind auffallend schwach.

Fangen oder Fausten? Das ist eine der ewigen Grundsatzfragen des Torwartspiels. Fangen ist die anspruchsvollere und schickere Variante, Fausten ist oft verpönt. Sepp Maier, der es ja wissen muss, weil er einst eine Ente fing (und nicht etwa wegboxte), sagte über das Fausten mal, es schaue "richtig hässlich aus", sei gefährlich und "immer eine unsichere Sache". Torwart-Titan Oliver Kahn dagegen faustete gerne, sogar im gegnerischen Strafraum. In seiner Rolle als TV-Experte machte er sich am Wochenende für das unmodische Stilmittel stark - und ein wenig Kahn'sche Entschlossenheit hätte Berisha im Flugmodus sicher gutgetan - und dem Rumänen Ciprian Tatarusanu ebenfalls.

Dem nämlich war am Freitagabend im Eröffnungsspiel gegen Frankreich der erste Torwartfehler des Turniers unterlaufen. Zwar ging dem 1:0 ein Foulspiel des Torschützen Olivier Giroud voraus, er knuffte den Keeper im Fünfmeterraum in die Seite. Doch Tatarusanu, 30, vom AC Florenz hatte einen großen Anteil am Gegentreffer. Wie ein Balletttänzer sprang der Rumäne in die Luft, die Hände nach oben ausgestreckt - und flog an der Flanke von Dimitri Payet vorbei. Auch Tatarusanu hätte besser die Fäuste zu Hilfe genommen oder das Fliegen gleich ganz sein gelassen.

Der Russe Igor Akinfejew faustet vorzüglich- dann steht er falsch

Beide, Berisha und Tatarusanu, hielten - von ihren verhängnisvollen Ausflügen durch den Strafraum abgesehen - vorzüglich. Doch das ist das Bittere an den Auftritten von Torhütern bei so einem Turnier: Sie können 89 Minuten lang hervorragend halten - machen sie in einer Sekunde einen Fehler, geht es hinterher nur darum.

Igor Akinfejew etwa, russischer Nationaltorhüter, faustete am Samstagabend gegen England lange Zeit hervorragend. Doch als der Brite Eric Dier einen harmlosen Freistoß auf und in sein Tor schoss, stand er verloren herum, wie ein Tourist unter dem Arc de Triomphe. Ob das Stellungsspiel zu seinen Passionen zählt, ist unbekannt.

© SZ vom 13.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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