Torhüter Tommy Lawrence:Die Fans sangen "She loves you" hinter seinem Tor

Football 1969 1970 First Division Liverpool 0 Tottenham Hotspur 0 Jimmy Greaves and Tommy Lawr; Tommy Lawrence FC Liverpool Torwart

Damals in der Saison 1969/70: Tommy Lawrence (rechts) pariert gegen Jimmy Greaves von Tottenham Horspur.

(Foto: imago/Colorsport)

Er galt als einer der feinsten Kerle Liverpools: Tommy Lawrence war ein ewiger "lad", der Torwart hinterlässt im englischen Fußball eine riesige Lücke.

Nachruf von Dirk Gieselmann

Ein Mann, den alle nur Tommy nennen, kann doch gar nicht sterben. Der kann, möchte man meinen, noch nicht einmal alt werden. Beides lag Thomas Johnstone Lawrence, genannt Tommy, auch immer fern. Sein Körper wurde hinfällig, das schon, eine Hänselei des Schicksals, die er klaglos hinnahm. Sein Geist aber war noch so frisch, als hätte er ihn jeden Abend gebügelt in den Schrank gehängt wie einen kostbaren Anzug. Er war mit 77 noch ein lad, was im Englischen Bursche bedeutet, feiner Kerl und mehr noch: ein echter Kumpel. Mithin einer, der in jedem die Lust weckte, ihm auf die Schulter zu klopfen, als Anerkennung für sein bloßes Dasein. In Liverpool, dieser an lads so reichen Stadt, war Lawrence, wie man hört, einer der allerfeinsten Kerle.

Der Tod aber klopft einem nur dann auf die Schulter, wenn er ihn daran erinnern will, dass er sterben muss, selbst wenn er Tommy heißt. So widerfuhr es am Dienstag Tommy Lawrence, und das gegen den entschiedenen Willen seiner sehr großen Familie, des FC Liverpool, die ihn längst vorbeugend für unsterblich erklärt hatte. Doch nicht mal das half gegen den Tod im engeren Sinne.

Geboren im selben Jahr wie John Lennon

Lawrences Ableben in rein physischer Hinsicht bedeutet, dass er nicht mehr persönlich anwesend sein kann, im Stadion an der Anfield Road, am Trainingsgelände in Melwood, in den Straßen der Stadt. Dort traf ihn vor zwei Jahren ein BBC-Reporter an, der gerade eine Umfrage zum Derby gegen den FC Everton abhielt. Er fragte diesen netten Herrn, ohne ihn zu erkennen, ob er sich noch an das Spiel von 1967 erinnern könne. Klar, so Lawrence, er sei sogar selbst dabei gewesen, als Torwart. Dann lachte er gütig, mit leuchtenden Augen, als wollte er sagen: Du musst das nicht wissen, junger Freund, es reicht, wenn ich es weiß und dir davon erzähle.

Über 300 Partien bestritt er für die Reds, in dieser verheißungsvollen, vergangenen Zeit, als die Menschen im Kop, auf der Stehtribüne des Anfield, zu einem Organismus verschmolzen und "She Loves You" von den Beatles sangen, unmittelbar hinter seinem Tor. "She loves you, yeah, yeah, yeah", diese Worte mochten, so man denn noch nicht das Glück gehabt hatte, sie einem Mädchen zuzuschreiben, ebenso dem Verein gelten, "and you know you should be glad". Noch im Alter schien die Liebe Lawrence jung zu halten, die Liebe, die der Fußball jedem zuteil werden lässt, wenn er fest genug an sie glaubt.

Lawrence, 1940 in Dalry, Schottland, geboren, im selben Jahr wie John Lennon, war zunächst Arbeiter in einer Reifenfabrik gewesen und hatte nach Feierabend den Kasten des Amateurklubs Warrington Town gehütet. Als er siebzehn war, entdeckte ihn Liverpools Trainer Phil Taylor, und es war dessen Nachfolger Bill Shankly, der aus ihm einen mitspielenden Torwart formte, einen keeper sweeper, der hinaus ins Feld eilte und die Angriffe abfing. Er war ein früher Gigant des modernen Spiels, auf dessen Schultern heute Manuel Neuer steht. Trotz seiner untersetzten Statur, er wog neunzig Kilogramm oder, um es mit einer alten englischen Maßeinheit noch plastischer auszudrücken, vierzehn Steine, war Lawrence auch ein Sprungwunder. An der Anfield Road nannten sie ihn respektvoll das fliegende Schwein.

Als er 1971 nach zwei Meistertiteln und einem FA-Cup-Sieg Ray Clemence weichen musste, wechselte er auf die andere Seite des Mersey zu den Tranmere Rovers und kehrte dann zurück in die Reifenfabrik, in der er bereits als Junge gearbeitet hatte. Anfield besuchte er fortan als ewiger lad, wurde zur Vater- und zur Großvaterfigur ganzer Generationen von Spielern und Fans. Der Beginn seiner Abwesenheit fällt in die Woche, in der ein gewisser Coutinho sich für 160 Millionen Euro aus Liverpool hat hinfort transferieren lassen, zum FC Barcelona. Noch so ein Treuloser, der das Wappen küsst und dabei schon an eine andere denkt. Deutlicher kann kaum werden, dass hier nun eine Lücke klafft, die nie mehr zu schließen sein wird. Dass der Fußball aufgehört hat, solch feine Kerle hervorzubringen, wie Tommy Lawrence einer war. Der Tod hat mal wieder einen dummen Fehler begangen.

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