Toni Kroos bei der WM:"Dat war 'n Freistoß. Normal, Stangenware!"

WM 2018 - Feature

Nach seinem Freistoß-Tor dürfte sich der Absatz von Matrjoschka-Puppen mit dem Oberkörper von Toni Kroos im Souvenir-Shop deutlich steigern.

(Foto: Federico Gambarini/dpa)

Das ganz vielleicht etwas fiktive Magazin "Segelohr" spricht mit Klaus-Kevin Plauze und Günni Dompfaff, zwei Kennern der Fußballtheorie, über die Faszination Toni Kroos.

Glosse von Thomas Hahn

Moderator: Verehrte Hörerinnen und Hörer, willkommen zum Kulturmagazin Segelohr auf Radio Blabla, heute aus aktuellem Anlass mit dem Thema siegbringende Kunst. Wir wollen einen genaueren Blick werfen auf das von Toni Kroos in den Raum gezwirbelte Werk "2:1 gegen Schweden", das insbesondere in Deutschland, aber auch im bairischen Sprachraum wohlwollende Reaktionen hervorgerufen hat. Hierzu spreche ich mit zwei Kennern der zeitgenössischen Fußballtheorie, mit dem Kunsthistoriker und Bogenlampenforscher Professor Dr. Klaus-Kevin Plauze vom Freien Institut für Ballsportstudien in Fritzlar und mit Professor Dr. Günni Dompfaff, Leiter des rustikalpsychologischen Seminars an der Ruhruniversität Bochum.

Herr Professor Plauze, Kroos und sein 2:1 - stößt das nicht die Tür auf zu einem ganz neuen Verständnis von deutscher Existenz im Kontext sich verändernder Stadionwelten?

Plauze: Natürlich. Sehen Sie, Kroos ist etwas Unerhörtes gelungen. Er hat sozusagen den Innenspannstoß in den Rang eines Erweckungserlebnisses gehoben. Die Art, wie Kroos den Ball mit diesem Innenspann sachte und doch entschlossen bearbeitet. Wie er ihn eintauchen lässt in einen Kosmos aus Ungewissheit und - fast will ich sagen - apokalyptischer Fantasie. Um ihn dann mit einer Flugkurve zu versehen, die exakt im oberen rechten Winkel des schwedischen Tores endet. Das hat messianische Ausmaße, das ist ein gigantomanischer Schlag gegen die kollektive Trübsal, letztlich ein Statement der Unsterblichkeit.

Dompfaff: Dat war 'n Freistoß, mehr war dat nich'. Normal, Stangenware! Im Training macht der Kroos dat ständig.

Moderator: Herr Professor Dompfaff, Sie zweifeln am heilsbringenden Charakter des Kroos'schen Treffers?

Dompfaff: Aufn Sack geht mir dat. Fünfte Minute Nachspielzeit! Wat ist dat?! Meine Frau hat sich fast inne Hose gepullert, weil die dachte, die fliegen raus.

Plauze: Ja, spannend, nicht? Das Moment Zeit, genauer gesagt Nachspielzeit, scheint Kroos nicht zu kümmern. Er bewegt sich mit seiner Ästhetik ganz nah am Schlusspfiff, fast wie bei einem Grenzgang oder Balanceakt. Und trotzdem verarbeitet Kroos ganz viel in seinem Schuss, Einflüsse von Beckham, Platini, Schuster. Ich meine sogar, Zitate von Overath und Prohaska zu lesen. Was freilich nicht bedeutet, dass Kroos seinen Freistoß nicht auch mit einer ganz eigenen - ich will sagen - postmodernen Feinfüßigkeit versieht. Er ist original, das muss man sagen.

Dompfaff: Is' doch scheiße, dat ganze barocke La-Paloma-Gekicke.

Moderator: Ist das nicht tatsächlich ein berechtigter Ansatzpunkt der Kroos-Kritik? Muss der Fußball nicht doch den unverschnörkelten Weg zur Entscheidung im Sinne Müllers oder Hrubeschs wagen, statt eine Verzettelung im Spielerischen, Schöngeistigen zu riskieren?

Dompfaff: Gerd Müller. Dat war 'n Kicker. Oder der Thomas Müller von Zwo-Vierzehn.

Plauze: Es ist unredlich, Müller mit Müller zu vergleichen, und Hrubesch war ein Kopfballungeheuer, der Spielertypus eines längst überkommenen Teutonismus. Nein, das verfängt nicht. Die Epoche des Bumm, des Torerfolgs durch Abstauben und Wucht, ist ein eher prägotisches, im Grunde sogar mittelalterliches Konzept. Das war nach dem Zweiten Weltkrieg noch teilweise aktuell, aber in der heutigen Konsumgesellschaft können Sie das nicht mehr anwenden. Die Menschen haben Sehnsucht nach Schönheit, nach Abenteuer, nach Jugendstil.

"Der Ball ist ein Spielgerät"

Dompfaff: Ich geb' dir Jugendstil. Der soll dat Ding reinhaun, und gut is'!

Plauze: Ich denke, Herr Kollege, es greift zu kurz, den Ball als "Ding" zu bezeichnen. Der Ball ist heutzutage ein Spielgerät aus erlesenen Kunststoffen, sensibel, verwundbar, anspruchsvoll. Kroos trägt dem Rechnung, er streichelt den Ball, ohne ihn zu schonen, er spielt ihn sozusagen mit erdiger Eleganz. Sein Treffer bleibt damit nie an der Oberfläche, sondern wird zur Chiffre für die voluntas, wie der Lateiner sagt, den Willen, das Verlangen. Der Treffer schreit nach Überleben, nein, er IST das Überleben, die manifestierte Befreiung des ödipalen Komplexes aus der Umklammerung des drohenden Exitus.

Dompfaff: Wat denn, wat denn. Die warn ja besser als die Schweden. Besser warn die. Die ganze Zeit. So sieht das aus!

Plauze: Herr Kollege, ich kann verstehen, dass Ihre Intelligenz keinen Blick über eine ergebnisorientierte Gebrauchskunst hinaus zulässt. Aber vielleicht können Sie zumindest andenken, dass es zum Konzept der Schlichtheit eine Alternative gibt.

Dompfaff: Was wills' du denn?!

Moderator: Meine Herren, die Zeit neigt sich schon wieder dem Ende zu ...

Dompfaff: Ich war schon beim Fußball, da warst du noch in der Grundschule.

Plauze: Sie haben wohl mein Grundsatzwerk "Vorfußästethik in der Fallrückzieher-Kultur des ausgehenden 20. Jahrhunderts am Beispiel Klaus Fischer" nicht gelesen.

Moderator: So schade, dass diese Sendung ...

Plauze: Dann wüssten Sie, dass ich seit über 30 Jahren torgeschichtliche Grundlagenforschung betreibe.

Dompfaff: Ich schlaf auch ohne Betäubungslektüre ganz gut.

Moderator: Meine Herren, danke für ...

Dompfaff: Arschloch.

Plauze: Kretin.

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