Tommy Haas:Der beste 39-jährige Tennisspieler der Welt

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Sieger nach drei Sätzen gegen Roger Federer: Tennisprofi Tommy Haas.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Tommy Haas gewinnt beim ATP-Turnier in Stuttgart überraschend gegen Roger Federer.
  • Haas hatte in diesem Jahr nur die Hälfte seiner acht Spiele auf der Tour gewinnen können.
  • Federer sucht seine Form und reist nun zum Turnier nach Halle - Haas trifft im Viertelfinale von Stuttgart auf Mischa Zverev.

Von Matthias Schmid, Stuttgart

Irgendwann hatte Tommy Haas genug und gab entnervt auf. Er war bereit, die Forderungen zu begleichen. Die Gegenseite hatte geschickt verhandelt, teils sehr emotional und mit ganzem Körpereinsatz. Haas spendierte also Eis für alle, für seine drei Neffen und Nichten und seine Tochter Valentina. Es war der Lohn dafür, dass sie ihn zuvor so leidenschaftlich von der Tribüne aus unterstützt hatten.

Dass er nicht nur zum Tennisspielen auf den Stuttgarter Killesberg gekommen ist konnte man sehr gut nach der Pressekonferenz am Mittwochabend beobachten. Haas, 39, muss nebenbei auch eine Großfamilie bei Laune halten. Und er beherrscht das genauso gut wie das Spiel an sich, das bewies sein erstaunlicher Dreisatzsieg gegen Roger Federer in der zweiten Runde des Stuttgarter Rasenturniers.

Er hat in der Tenniswelt ein kleines Beben ausgelöst. Haas hatte in diesem Jahr nur die Hälfte seiner acht Spiele auf der Tour gewinnen können, von zwei Siegen nacheinander war er nach seiner Rückkehr auf die Profitour sogar so weit entfernt wie Philipp Kohlschreiber vom Wimbledonsieg. Ein Jahr hatte Haas wegen einer Fußoperation aussetzen müssen. "Ich habe mich ein bisschen selbst geschockt", sagte Haas und fügte staunend hinzu: "Ich bin ein bisschen sprachlos. Es ist schwierig, Worte zu finden. Ich werde noch eine Weile brauchen, um zu begreifen, was da gerade auf dem Court passiert ist."

Das Tennisspielen ist ihm vorher definitiv leichter gefallen, als hinterher seinen Coup im fast biblischen Tennisalter erklären zu müssen. Haas, in der Weltrangliste auf Position 302 abgefallen, könnte im nächsten Jahr schon für die Herren-40-Mannschaft vom Tennisklub Grün-Weiß Mannheim spielen, für den er dieses Jahr noch in der Männer-Bundesliga auflaufen wird. Dass er vom Senioren-Tennis spielerisch allerdings weit entfernt ist, konnten die 6000 Zuschauer auf dem ausverkauften Center-Court erleben.

Während Roger Federer seinen achten Titel in Wimbledon anstrebt und in diesem Jahr mit den Australian Open schon seinen 18-Grand-Slam-Turniersieg errungen hat, ist Haas einfach nur froh, überhaupt schmerzfrei Tennis spielen zu können, zumindest mehr oder weniger. Er hat schon so oft seine Sehnen und Bänder reparieren lassen müssen, dass seine Krankengeschichte den Inhalt von Orthopädie-Seminaren sprengen würde. Er wird deshalb seine wechselvolle Karriere, die ihn vor 15 Jahren auf Platz zwei der Weltrangliste geführt hat, nach diesem Jahr beenden - mit einer stimmungsvollen Abschiedstournee bei allen deutschen Turnieren.

"Wenn ich es einem Spieler gönne, dann Tommy"

Nach seinem Sieg gegen Federer steht schon jetzt fest: Haas ist der beste 39-jährige Tennisspieler der Welt. Er ist noch genauso drahtig und durchtrainiert wie mit 25, das Alter hat ihm nur etwas die Spritzigkeit und die Haare genommen. Seine einhändig geschlagene Rückhand ist noch immer ein Genuss, und nach vier Schulteroperationen schlägt er bemerkenswert hart und variantenreich auf.

Gegen den "wahrscheinlich allergrößten Spieler aller Zeiten" (O-Ton Haas) sah er schon wie der sicherer Verlierer aus, 2:6 verlor er den ersten Satz und auch im zweiten hatte ihm der Schweizer schon den Aufschlag abgenommen. Federer dominierte mit seiner wuchtigen Vorhand und seinen erfrischenden Netzattacken das Spiel. "Ich wollte eigentlich nur noch dagegen halten", gab Haas zu: "Und da kam es, wie das eben so gehen kann - gerade im Rasentennis. Auf einmal triffst du in die Ecken und punktest."

Entgegen kam ihm in dieser Phase auch, dass Federer nach einer selbst auferlegten zweieinhalbmonatigen Wettkampfpause plötzlich begann, leichte Fehler zu machen und sogar einen Matchball vergab. Den zweiten Satz im Tiebreak schenkte er Haas sogar mit einem Doppelfehler. "Das tut ein bisschen weh, denn ich bin eigentlich ja auch ein Fan von ihm", sagte Haas mitfühlend. Die beiden verstehen sich prächtig, sie sind Freunde und bringen es zusammen auf 74 Jahre Lebenserfahrung. "Wenn ich es einem Spieler gönne, dann Tommy", sagte Federer, der seine Niederlage "frustrierend" fand und zugab, dass "es ein Risiko war, die Sandplatzsaison auszulassen".

Während der Weltranglistenfünfte nun nach Halle weiterreist, um sich weiter für Wimbledon zu präparieren, bekommt es Haas am Freitag im Viertelfinale mit Mischa Zverev zu tun. Federer will sich seinen Kumpel zum Vorbild nehmen. Dem 35-Jährigen war natürlich nicht entgangen, dass vor allem Haas' sechsjährige Tochter ihren Vater mit lauten Motivationsrufen ("Come on, Daddy!") während der Partie angefeuert hat. Also, kündigte Federer am Ende mit einem Lächeln an, dass er "vielleicht zwei meiner Kinder mit nach Halle nehme. Und nach Wimbledon dann gleich vier. Dann bin ich im Vorteil."

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