Tischtennisspieler Timo Boll:Besser als alle Chinesen

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Timo Boll ist einer jener Deutschen, die im Ausland möglicherweise bekannter sind als hierzulande.

(Foto: Patrik Stollarz/AFP)
  • Deutschlands bester Tischtennisspieler ist aktuell auch der beste Profi der Welt.
  • Die Karriere von Timo Boll war schon immer von seiner riesigen Popularität in Fernost geprägt.
  • Während er in China gefeiert wird, reagiert er auf seine neuerlichen Erfolge bescheiden.

Von Ulrich Hartmann

Mit Glanz und Glamour hat der eher introvertierte Tischtennisspieler Timo Boll aus Erbach im Odenwald eigentlich nichts zu tun. Doch ausgerechnet im mondänen Montreux am Genfer See ist ihm kürzlich ein besonderer Coup gelungen. Als Boll das Endspiel des Europe-Top-16-Turniers gegen seinen Freund, den Weltranglistenersten Dimitrij Ovtcharov, mit 4:0 gewonnen hatte, ahnte allerdings noch niemand, dass ihn dieser Sieg zum vierten Mal in seiner Karriere auf den obersten Platz der Weltrangliste befördern würde.

Von diesem Donnerstag an wird der Wahldüsseldorfer mit 36 Jahren, elf Monaten und 21 Tagen der älteste Weltranglistenerste der Tischtennis-Historie sein. Überdies löst erstmals ein Deutscher an der Spitze des globalen Rankings einen anderen Deutschen ab. Im nationalen Tischtennis-Zentrum in Düsseldorf sind sie außer sich vor Begeisterung.

Menschen scharen sich um ihn

Eigentlich wird Tischtennis traditionell von den Chinesen dominiert. Von Deutschland aus bemüht man sich eher darum, den Sport global zu etablieren. Der Weltverbandspräsident Thomas Weikert, ein Rechtsanwalt aus dem hessischen Limburg, hat vor einem Jahr das westafrikanische Land Guinea-Bissau als 226. Mitglied in die ITTF aufgenommen, die International Table Tennis Federation. Keine andere Sportorganisation der Erde hat derart viele Mitgliedsverbände, selbst der Fußballverband Fifa kommt nur auf 211.

Der zur Neutralität verpflichtete Weikert freut sich trotzdem unverhohlen, dass Deutschland in Boll und Ovtcharov gleich zwei der weltbesten Spieler stellt. Bevor Ovtcharov, 29, im Januar erstmals die Weltranglistenspitze übernahm, hatte der Chinese Ma Long drei Jahre lang den Thron blockiert. "Es ist wichtig fürs Tischtennis, dass wieder mehr Abwechslung hineinkommt", sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf. Aus seiner Sicht kann Boll sogar noch über die Olympischen Spiele 2020 in Tokio hinaus auf höchstem Niveau mitspielen. Für den deutschen Fahnenträger von 2016 in Rio wären das die fünften Sommerspiele.

Asien und ganz besonders China bilden für Boll eine traumhafte Parallelwelt. Während er sich in Deutschland nahezu unbehelligt bewegt, scharen sich im größten Tischtennisland der Welt Menschenmengen um ihn. Dort ist er ein Star und sogar schon mal zum attraktivsten Sportler weltweit gewählt worden. Seinem Ego schmeichelt das nur bedingt, es ist ihm eher unangenehm.

Für Fernsehinterviews hat Boll längst zuverlässig zu lächeln gelernt, privat pflegt er einen trockenen Humor. Sein Comeback an der Weltspitze mit bald 37 Jahren aber ist eine ernst zu nehmende Sensation mit historischer Dimension. Sie hebt Boll auf eine Ebene mit dem Schweizer Roger Federer, 36, dem ein solcher Altersrekord kürzlich beim Tennis gelungen ist.

Und noch eine andere Legende hat Boll damit eingeholt: Der älteste Weltranglistenerste beim Tischtennis war bislang der Schwede Jan-Ove Waldner, einer der besten Spieler überhaupt. Er war im Oktober 1997 letztmals Führender - 32 Jahre und 28 Tage alt. Diesen Rekord verbessert Boll nun um gleich fünf Jahre. Zum Welt-Tischtennisspieler des Jahres wurde er kürzlich übrigens auch noch ernannt. Boll reagiert in solch großen Momenten weniger mit Pathos als vielmehr mit feiner Ironie. "Ich kann eine gewisse Freude nicht verhehlen", sagt er über das vierte Mal an der Weltranglistenspitze - nach insgesamt sieben Monaten im Jahr 2003 sowie noch einmal drei Monaten im Jahr 2011.

Aber er bleibt gelassen: "Ich glaube nach wie vor, dass Fan Zhendong und Ma Long zurzeit die besten Spieler der Welt sind - auch wenn der Computer gerade etwas anderes behauptet." Bei der Mannschafts-WM im Mai in Schweden wollen Boll und Ovtcharov die Chinesen besiegen und erstmals Weltmeister werden. Bolls gegenwärtiger Sonnenplatz macht dieses Unterfangen kein bisschen einfacher.

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