Tischtennis:Auf der Suche nach Breite

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Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov - und dann? Das Pokalfinale in Ulm liefert Nationaltrainer Jörg Roßkopf erste wichtige Erkenntnisse.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Der Samstag war für Jörg Roßkopf ein signalgebender Tag. Der Bundestrainer der deutschen Tischtennis-Männer war in Ulm Augenzeuge beim Final-Four-Turnier um den DTTB-Pokal. Dass der klare Favorit Borussia Düsseldorf in einem nicht ganz so klaren Finale mit 3:2 gegen Fulda und zum vierten Mal nacheinander den Pokal gewann, hat bei Roßkopf jedoch nicht zu höherem Puls geführt. Ihn interessiert eingangs des Olympiajahres 2016 vielmehr, in welcher Verfassung seine Kaderspieler sind.

Gleich sechs von ihnen waren am Samstag dabei, und mit dem 32-jährigen Fuldaer Wang Xi, der im vergangenen August die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hat, sogar noch ein siebter Spieler, der theoretisch für den deutschen Olympiakader infrage kommt. "Alle sollten in diesem Jahr die Motivation haben, noch mehr Gas zu geben", sagt Roßkopf und verweist auf einen vollen Terminkalender mit den German Open Ende Januar in Berlin, der Mannschafts-WM Anfang März in Kuala Lumpur, dem Olympia-Qualifikationsturnier Anfang April in Istanbul, Olympia im August in Rio de Janeiro und der Individual-EM Mitte Oktober in Budapest. "Ich hoffe, dass 2016 unser Jahr wird", sagt Roßkopf.

Roßkopf brauch für Rio neben Boll und Ovtcharov einen dritten Topspieler

Für Timo Boll und Patrick Franziska ist es am Samstag schon mal gut losgegangen. Zum vierten Mal nacheinander stand die Borussia im Endspiel, zum vierten Mal gegen den TTC Fulda-Maberzell - und zum vierten Mal hat sie gewonnen. Zwei Mal Boll und Franziska holten die Punkte zum dreieinhalb Stunden dauernden 3:2-Sieg. Der 24. Pokalsieg war der 65. Titel für Düsseldorf. Die Borussia ist auch 27 Mal Meister und 14 Mal Europapokalsieger. Die derzeitige Erfolgsserie ist historisch, denn vier Mal nacheinander Pokalsieger war der Klub zuvor erst ein Mal 1997 gewesen. Damals war Roßkopf noch Düsseldorfs Topspieler.

Heute muss der Bundestrainer daran arbeiten, dass sich das Niveau der deutschen Nationalspieler in der Breite verbessert. Doch das ist eine zähe Angelegenheit. An der Besetzung der beiden deutschen Startplätze für den Einzelwettbewerb in Rio gibt es derzeit keinen Zweifel. Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll werden das übernehmen, wenn sich keiner verletzt. Für den olympischen Mannschaftswettbewerb braucht Roßkopf einen dritten Spieler, aber wer diese Position einnimmt, ist derzeit ziemlich offen. Patrick Franziska, der Düsseldorf im kommenden Sommer auf eigenen Wunsch verlässt und zum 1. FC Saarbrücken wechselt, ist neben dem Fuldaer Ruwen Filus der aussichtsreichste Kandidat. Die beiden sind im Pokalfinale am Samstag im zweiten Einzel aufeinander getroffen, nachdem Boll zum Auftakt in 3:2 Sätzen gegen Wang Xi gewonnen hatte. Franziska, derzeit 41. der Weltrangliste, siegte gegen den 35. Filus glatt in drei Sätzen. Nachdem dann der Grieche Panagiotis Gionis gegen den Dänen Jonathan Groth mit 2:3 und Franziska in mauer Manier mit 0:3 gegen Wang Xi verloren hatte, schien die Partie bei 2:2 zwar wieder offen, allerdings machte Boll mit einem schnellen 3:0-Sieg gegen Filus wie erwartet alles klar.

"Timo ist ein Phänomen", sagte Düsseldorfs Trainer Danny Heister über den langjährigen deutschen Spitzenspieler, der sich im vergangenen Frühherbst einer Knieoperation unterzogen hatte und drei Monate pausieren musste. Bolls Absenz hatte in der Bundesliga dazu geführt, dass der Serienmeister Düsseldorf hinter Saarbrücken, Fulda und Ochsenhausen auf Platz vier zurückgerutscht ist. "Nur Düsseldorfs Verletzungspech hat die Bundesliga so interessant gemacht", sagt Bundestrainer Roßkopf, der keinen seiner nachrückenden Nationalspieler derzeit auch nur in der Nähe seiner Spitzenleute Ovtcharov und Boll sieht.

Bis zu den Olympischen Spielen muss sich Boll steigern

Boll, 34, ist schon wieder auf dem Weg zu einer Verfassung, bei der auf dem Weg nach Rio weder Fuldas Filus noch die drei jungen Bergneustädter Nationalspieler Steffen Mengel, Ricardo Walther und Benedikt Duda werden mithalten können. Sie hatten im Pokal-Halbfinale 0:3 gegen Düsseldorf verloren, während Fulda 3:1 gegen Saarbrücken gewann.

"Allerhöchsten Respekt vor Timo Boll und Borussia Düsseldorf", sagte Richard Prause als Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bunds, der die Übertragung des Endspiels im Internet kommentierte. Bis Boll im August im 'Pavillion 3' des 'Riocentro' in Rio de Janeiro um Einzel-Medaillen spielt, bedarf es aber einer weiteren erheblichen Steigerung. Über Berlin, Kuala Lumpur und Istanbul wird er seine Leistungskurve nach oben zu treiben versuchen. Daran hat er am Samstagabend allerdings noch nicht allzu viele Gedanken verschwendet. Nach einem Tag mit drei Einzeln und zwölf Sätzen sagte er nur noch: "Ich bin platt."

© SZ vom 10.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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