Tischtennis-Medaille für Dimitrij Ovtcharov:Bronze dank der tanzenden Hand

Er sank zu Boden und hüpfte: Im Tischtennis dominieren die Asiaten, doch dann kommt Dimitrij Ovtcharov - und gewinnt überraschend im Einzel die Bronzemedaille. Mit seinem Rückhandaufschlag aus der tiefen Hocke verblüfft der 23-Jährige seine Gegner.

Jürgen Schmieder, London

Die Partie um Platz drei ist eine recht nervenaufreibende Angelegenheit. Anders als beim Finale bekommt nur der Gewinner eine Medaille, der Verlierer darf in London nicht einmal an der Siegerehrung teilnehmen, sondern wird an den Rand der Halle geschickt.

Jörg Roßkopf war deshalb doch ein wenig nervös. Während Dimitrij Ovtcharov an der Platte gegen den Taiwaner Chuang Chih-Yuan um die Bronzemedaille kämpfte, rutschte der Tischtennis-Bundestrainer auf seinem Stuhl herum. Wenn Ovtcharov einen Punkt gewann, klatschte Roßkopf, hin und wieder stand er auf. Bei einem Fehler saß er da. Und rutschte.

Roßkopf klatschte am Ende häufiger auf, als er rutschte, genauer gesagt klatschte er 67 Mal und rutschte nur 60 Mal. Ovtcharov gewann die dramatische und teils hochklassige Partie mit 12:10, 9:11, 8:11, 13:11, 11:5 und 14:12. Danach sank Ovtcharov erst einmal zu Boden, dann hüpfte er ein wenig in der Halle herum, später sagte er: "Ich bin gerade der glücklichste Mensch auf der Welt." Roßkopf stellte sich an den Rand und atmete erst einmal durch. Er wirkte glücklich, vor allem aber wirkte er erleichtert.

Für Roßkopf ging es in dieser Partie nicht nur um eine Medaille für Ovtcharov, für ihn hatte sie eine weiter reichende Bedeutung: Bei diesem Spiel sollte sich entscheiden, welche Spieler er für den Teamwettbewerb zurückbekommen würde. Timo Boll hatte sich nach seiner Achtelfinal-Niederlage am Dienstag in einen großen Haufen Elend verwandelt und gesagt: "Ich brauche jetzt ein paar Tage zum Jammern und zum Selbstmitleid." Nun war die Frage, ob auch Ovtcharov Zeit für Jammern und Selbstmitleid brauchen würde - oder ob er zu seinen Kollegen zurückkommen würde als der Europäer, der tatsächlich in einer asiatisch geprägten Sportart eine Einzelmedaille gewinnen konnte.

Roßkopf sagte zwar vor der Partie, dass er nicht angespannt sei: "Bei mir war das bei den Olympischen Spielen 1996 auch so: Ich habe im Doppel das Spiel um Platz drei verloren und einen Tag später die Bronzemedaille gewonnen." Als er das sagte, bildeten sich um seine Augen herum jedoch einige Falten. Ovtcharov nämlich gilt als Akteur, bei dem schon eine verschlagene Rückhand eine Krise hervorrufen kann.

Um sich auf den Finaltag vorzubereiten, hatte Ovtcharov, 23, extra das Olympische Dorf verlassen und war in ein Hotel in der Nähe des ExCeL Centres gezogen. Er hatte nicht den Fehler machen wollen, den Timo Boll begangen hatte. Der war nach dem Drittrunden-Match vom Messegelände an der Themse ins Olympische Dorf gefahren, hatte sich ausgeruht und sich danach wieder 30 Minuten lang durch den Londoner Verkehr gequält - er verlor deutlich im Achtelfinale.

Ovtcharov dagegen hatte sich während des gesamten Wettkampfes aggressiv und nervenstark präsentiert. Er agierte stets nah an der Platte, setzte seine Gegner unter Druck und blieb auch in kniffligen Situationen gelassen. Die ersten beiden Partien hatte er ohne Satzverlust gewonnen, im Viertelfinale besiegte er den Dänen Michael Maze nach sieben Sätzen. "Ich weiß, dass der Fokus nach Timos Aus auf mich gerichtet war", sagte Ovtcharov, "ich war der letzte Europäer im Turnier, allein das macht mich sehr stolz."

Und nun der Teamwettbewerb

Vor allem Ovtcharovs Rückhandaufschlag aus der tiefen Hocke heraus bereitete den Gegnern enorme Probleme. Diese Eröffnung wird vom Time Magazine in der Liste der besten Sport-Erfindungen auf Rang 36 geführt. Seine Hand, so ist zu lesen, tanze dabei, die unheimliche Bewegung verblüffe den Gegner. Das probierte Ovtcharov auch am Vormittag im Halbfinale gegen Zhang Jike, doch der war nicht verblüfft, sondern spielte die Angaben recht humorlos zurück.

Olympia Table Tennis

Aggressiv, nervenstark und ein Rückhandaufschlag, der verwirrt: Dimitrij Ovtcharov gewinnt die Bronzemedaille im Tischtennis.

(Foto: Getty Images)

Der Chinese agierte kreativ und fehlerfrei, profitierte aber auch von Ovtcharovs Fehlern bei prägenden Punkten. "Vor allem mit der Rückhand hat Dimitrij einige Bälle verschlagen", sagte Roßkopf. Zhang gewann in fünf Sätzen, im Finale traf er auf seinen Landsmann Hao Weng. Und gewann mit 4:1.

"Nach fünf Minuten hatte ich das Halbfinale vergessen", sagte Ovtcharov, "ich habe mir gesagt: Nicht ärgern, in ein paar Stunden beginnt das wichtigste Match deines Lebens!" Dann holte er sich - von den Zuschauern unbemerkt - ein wenig Reis von einem Stand in der Halle.

Also Spiel um Platz drei gegen Chuang Chih-Yuan aus Taiwan. Boll übrigens hatte das Jammern bereits beendet und war in der Halle, um seinen Kollegen zu unterstützen. Es war eine zerfahrene und nicht unbedingt hochklassige Partie, aber sie war überaus spannend.

Die ersten vier Sätze wurden jeweils mit höchstens drei Punkten Unterschied entschieden, Ovtcharov gewann zwei davon. Im fünften Satz dann agierte er variabler, er spielte häufiger auf die Rückhand seines Gegners und streute auch kurze Bälle ein.

"Feiern? Wahrscheinlich nicht, ich treffe mich um 7 Uhr mit den Kollegen für den Team-Wettbewerb", sagte Ovtcharov. Auch Roßkopf untersagte eine zu lange Feier sogleich: "Er hat ein Problem: Morgen ist Team!"

Ovtcharov muss also nicht jammern, er geht selbstbewusst in den Teamwettbewerb. Und so wie eine missglückte Vorhand eine Krise auslösen kann, könnte der Gewinn der Bronzemedaille nun dafür sorgen, dass Ovtcharov - der bei vergangenen Turnieren häufig von Boll mitgeschleppt worden ist - nun seine Teamkollegen mitreißt. Schließlich will die deutsche Mannschaft keinesfalls eine nervenaufreibende Partie um Platz drei absolvieren. Sie will, wie vor vier Jahren in Peking, ins Finale.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: