Tischtennis-EM:Europas Chinesinnen

Während die deutschen Frauen zum dritten Mal nacheinander den Team-Wettbewerb gewinnen, erleiden die einst sieggewohnten Männer erneut eine Final-Niederlage, diesmal gegen Österreich.

Von Ulrich Hartmann, Jekaterinburg/München

Bei den Weltmeisterschaften 2012 in Dortmund hätten die deutschen Tischtennis-Männer zu gern ihren ewigen Traum verwirklicht und die Chinesen besiegt. Ein Filmemacher begleitete sie und drehte alles mit. Obwohl das Finale gegen die Chinesen wieder mal verloren gegangen war, wurde der Film veröffentlicht. Mit seinem Titel wollte er in Anerkennung der chinesischen Übermacht wenigstens die deutsche Dominanz in der europäischen Hemisphäre herausstellen. Der Film heißt: "Die Chinesen Europas."

2013 haben die Deutschen dieses Image noch einmal bestätigt und bei der Europameisterschaft in Österreich zum sechsten Mal nacheinander den Teamtitel gewonnen. Doch seitdem tun sich die europäischen Chinesen - im Gegensatz zu ihren Vorbildern - recht schwer. Nachdem sie schon 2014 in Lissabon mit geschwächter Mannschaft das EM-Finale gegen Portugal verloren, unterlagen sie auch am Dienstag im EM-Endspiel von Jekaterinburg/Russland nach viereinhalbstündigem Kampf 2:3 gegen Österreich. Dem Kader fehlt die Tiefe. Die Deutschen sind keine Chinesen mehr, nicht mal innerhalb Europas.

Table Tennis European Championships Teams

Unüberwindbar: Han Ying, Shan Xiaona und Petrissa Solja (von links) gewinnen für Deutschland das EM-Finale gegen Rumänien ohne Spielverlust.

(Foto: Sergei Ilnitsky/dpa)

Die Voraussetzungen waren aber wie schon 2014 wirklich nicht gut. Ohne den am Knie operierten Rekord-Europameister Timo Boll und den verletzten Bastian Steger taten sich der von Rückenbeschwerden geplagte Dimitrij Ovtcharov sowie die seit Wochen nicht in Bestform spielenden Patrick Baum und Patrick Franziska gegen Österreich schwer. Zum Auftakt hatte Baum gegen Robert Gardos eine 2:0-Satzführung sowie in der Endphase einen Matchball nicht nutzen können und 11:13 im fünften Satz verloren. Anschließend hatte auch Ovtcharov gegen Stefan Fegerl Probleme. Er verlor den ersten Satz, gewann den zweiten 19:17, vergab im vierten fünf Matchbälle und gewann den fünften erst nach Abwehr eines Matchballs 12:10. Patrick Franziska glich nach 0:2-Satzrückstand gegen Daniel Habesohn zwar noch zum 2:2 aus - verlor aber im fünften Satz 5:11. Im vierten Einzel verlor Ovtcharov dann gegen Gardos zunächst den ersten Satz, gewann danach aber noch 3:1, so dass es zwischen Baum und Fegerl zum Showdown kam, den der Österreicher 3:0 gewann. "Wir hatten uns auch ohne Timo für stark genug gehalten, den Titel zurückzuholen. Schon das verlorene EM-Endspiel 2014 war eine Warnung, dass wir unseren Nimbus der Unbesiegbarkeit eingebüßt haben", sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf.

Zuvor hatten die deutschen Frauen zum dritten Mal nacheinander den Teamtitel gewonnen. 104 Minuten und elf Sätze waren bloß nötig, um die Rumäninnen 3:0 zu besiegen. Die Dominanz der deutschen Frauen in Europa wird im Gegensatz zu jener der Männern größer: Hatten sie 2013 in Österreich beim 3:1 gegen Rumänien noch neun Sätze abgegeben, so waren es 2014 in Portugal beim 3:0 gegen Österreich nur noch vier - und am Dienstag beim 3:0 gegen Rumänien sogar bloß zwei. Beide Sätze verlor Petrissa Solja, nachdem Han Ying und Shan Xiaona ihre Matches jeweils 3:0 gewonnen hatten. Die Freude der deutschen Spielerinnen und ihrer Trainerin Jie Schöpp fiel entsprechend routiniert aus. "Der Titel war fast Pflicht", sagte Schöpp.

Nicht nur wegen des neuerlichen Titelgewinns darf man die deutschen Frauen "die Chinesinnen Europas" nennen, sondern auch, weil ihre beiden Besten tatsächlich aus China stammen. Seit 2013 spielen die je 32 Jahre alten Han Ying und Shan Xiaona für die deutsche Auswahl. Die Weltranglisten-Elfte Han Ying kam 2002 zum Bundesligisten Busenbach und erhielt 2010 einen deutschen Pass. Sie spielt mittlerweile für den polnischen Klub Tarnobrzeg. Die Weltranglisten-Vierzehnte Shan Xiaona kam 2005 nach Busenbach und erhielt 2012 den deutschen Pass. Sie spielt derzeit für Eastside Berlin. Einzige gebürtige Deutsche im Finalteam war die 21 Jahre alte Petrissa Solja (Weltranglisten-36.) aus dem pfälzischen Städtchen Kandel. Solja kam im Mannschaftswettbewerb auf eine 6:0-Bilanz, Ying auf 6:1, Xiaona auf 3:1. Auch Irene Ivancan (1:0) und Sabine Winter (2:0) hatten in der Gruppenphase mitspielen dürfen. Bloß beim 3:1 gegen die Slowakei und beim 3:1 gegen Österreich im Viertelfinale hatten die Deutschen einen Punkt abgeben müssen. Viel souveräner kann man eine EM nicht spielen.

Das Turnier war ursprünglich einmal als Einzel-EM in Deutschland vorgesehen gewesen, doch weil sich keine Stadt als Ausrichter fand, sprang Jekaterinburg ein und richtet nun gleich alle Wettbewerbe aus: Mannschaft und Einzel. Das ermöglicht den deutschen Athleten nun weitere Medaillengewinne, denn in den am Donnerstag beginnenden Individual-Wettbewerben haben Ovtcharov, Ying und Xiaona gute Chancen. Ovtcharov hatte zuletzt die Einzel-EM 2013 in Österreich gewonnen, Shan Xiaona dort Silber geholt, Han Ying Bronze. Es gibt also bei den Frauen Aussicht auf weiteren Jubel - und bei den Männern immerhin auf Trost.

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