Tischtennis:"Zahn gezogen"

Die deutschen Frauen liefern sich mit Japan ein stundenlanges Duell und stehen überraschend im Finale. Die Männer dagegen  scheiden aus - ebenfalls gegen Japan.

Jörg Roßkopf fasste sich an die Nase. Dimitrij Ovtcharov schüttelte den Kopf. Und was Timo Boll im Halbfinale der Olympischen Spiele tat, zeigte die große Verunsicherung eines Spielers, der gerade nach dem Vertrauen in seine Fähigkeiten fahndete. Immer wieder drehte er sich ratlos zum Bundestrainer um in dieser Partie gegen Japan. Doch es half nichts, spielen musste er alleine. Und am Ende jubelten die Japaner, sie zogen mit 3:1 ins Finale ein.

Es waren andere Bilder als man sie am Sonntag gesehen hatte, da gab es ja auch ein Halbfinale Japan gegen Deutschland, doch am Ende waren die Deutschen recht fassungslos vor Freude. In fast vier Stunden hatten sich die Frauen mit 3:2 ins Finale gespielt, Han Ying wälzte sich überwältigt auf dem Boden, ihre Kolleginnen Petrissa Solja und Shan Xiaona weinten gerührt. "Das war emotionale Reizüberflutung", sagte Solja, "ich habe schon wirklich harte Spiele erlebt, aber das war mit Abstand das krasseste."

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Zweimal gegen Japan: Während Han Ying aus Düsseldorf mit ihren Kolleginnen ins Finale einzog,...

(Foto: Lars Baron/Getty)

Knapp vier Stunden dauerte der Schlagabtausch bei den Frauen

Es war ein Kampf, der sich an allerlei Dingen ablesen lies. Der Spieldauer etwa, vier der fünf Partien mussten mit einem fünften Satz entschieden werden. Und natürlich auch an den Gefühlen, die nach dem Matchball neben der Platte entwichen. Ein Protest der Japanerinnen hatte sie zwar hinausgezögert, da der entscheidende Ball auf die Tischkante geprallt war. Aber Deutschland gewann nach etlichen Höhen und Tiefen, sie befreiten sich aus den misslichsten Lagen. Und waren danach fix und fertig.

Dass sie schon jetzt Bronze sicher haben, ist der größte Erfolg der deutschen Frauen im Tischtennis. "Wenn man im Finale ist, dann will man natürlich auch Gold gewinnen", sagte Solja. Satt sind sie jetzt freilich nicht, auch wenn sie am Dienstag gegen die starken Chinesinnen ran müssen. "Wir werden um jeden Ball kämpfen", kündigte Shan Xiaona an. Und das glaubt ihnen nach diesem Auftritt wohl auch jeder. Ihre männlichen Kollegen haben sie übertrumpft, für das Team um Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Bastian Steger geht es nun noch um die Bronzemedaille. "Sie waren überlegen und haben uns den Zahn gezogen", gestand Ovtcharov. Ihn und Boll verband ja eine ähnliche Geschichte in Rio, beide waren unerwartet früh im Einzel ausgeschieden. Boll im Achtelfinale, Ovtcharov im Viertelfinale. Dieser Teamwettbewerb eröffnete ihnen die Chance, sich mit den Spielen zu versöhnen.

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...hatte Timo Boll große Probleme in seinen Matches gegen die Japaner. Er verlor sein Einzel gegen Jun Mizutani und das Doppel an der Seite von Bastian Steger.

(Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Ovtcharov spielte nach dem 3:1 der Deutschen gegen Österreich im Viertelfinale gegen Japans Maharu Yoshimura befreit auf: In 25 Minuten hatte er das Match mit 3:0 schon beendet gegen die Nummer 21 der Weltrangliste. Manchmal schickte er seinen Gegner fast bis zur Bande, dann war Yoshimura selbst so verunsichert, dass er die Bälle zu weit über den Tisch jagte. Zweiter Akt Timo Boll: Er musste gegen Jun Mizutani ran, immerhin Nummer sechs der Welt. Mizutani hatte sich großes Selbstvertrauen in Rio erspielt und am vergangenen Freitag Bronze im Einzel gewonnen. Es lief zunächst für Boll, er hatte sich einen 8:6-Vorsprung im ersten Satz erarbeitet - dann lief es nicht mehr. Mizutani kam heran, Boll schüttelte den Kopf, Mizutani gewann mit 11:9, Boll drehte sich ratlos zu Bundestrainer Jörg Roßkopf. Ratlosigkeit ist selten gut, wenn man die Partie noch drehen will. Und so verlor Boll schließlich sein Einzel 0:3.

Doch am Ende dieses Satzes hatte er sich immerhin noch einmal herangekämpft, nach 10:10 verlor er 10:12. Und daraus erwuchs dann doch noch eine positive Erkenntnis: Boll ließ sich davon nicht demoralisieren. Als er im anschließenden Doppel zusammen mit Bastian Steger gegen die drohende Niederlage ankämpfte, gelang ihnen - wieder in so einer engen Situation - doch noch ein Satzgewinn. Da tauchte dann auch mal die Siegerfaust bei den Deutschen auf.

Doch es reichte nicht mehr, sie verloren das Doppel 1:3, Steger das darauffolgende Einzel gegen Mizutani 0:3. Um das deutsche Tischtennis steht es derzeit trotzdem ganz gut.

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