Tischtennis:Boll scheitert am lieben Onkel

Quadri Aruna, Timo Boll

Quadri Aruna (vorne) hat seinen Schläger genommen und einfach losgespielt - Timo Boll (hinten) hat verloren.

(Foto: Petros Giannakouris/AP)

Der deutsche Tischtennisspieler verliert gegen den Nigerianer Quadri Aruna, der zu einem der Lieblinge der Olympischen Spiele geworden ist.

Von Jürgen Schmieder

"Das Schöne am Tischtennis ist: Du nimmst einen Schläger und spielst einfach los - du musst nichts können und es interessiert auch keinen, ob du was kannst." Der nigerianische Tischtennisspieler Quadri Aruna sagt diese wunderbaren Worte in der Dokumentation Off the Table, später ergänzt er in dem kleinen Filmchen über sein Leben: "Ich glaube, jeder Mensch auf der Welt kann Tischtennis spielen."

Aruna ist der junge Mann, der in Rio gerade die Massen begeistert, weil er nicht unbedingt aussieht wie ein Profisportler: Mit Wohlstandsbäuchlein, viel zu großem Neonshirt und viel zu kleiner Turnhose (bei der die Taschen nach außen gestülpt sind) wirkt er eher wie der Onkel, der auf der Gartenparty gefragt wird, ob er nicht auch mal an die Platte will.

Das Wichtigste zu Olympia 2016 in Rio

Aruna, 28, nimmt gewöhnlich seinen Schläger und spielt einfach los - so wie bei all den Weltmeisterschaften, an denen er seit 2007 teilnahm und dort im Einzel noch nie über die Runde der letzten 128 hinausgekommen ist. Arunas Geschichte ist eigentlich eine typisch olympische über einen sympathischen Verlierer, über den sich die Zuschauer freuen und sich nicht wirklich dafür interessieren, ob er wirklich was kann. Aruna, das ist einer wie der Schwimmer Eric Moussambani oder der Skispringer Eddie "The Eagle" Edwards. Es ist schön, dass er dabei ist. Das dauert meist nur nicht so lange.

Bei diesen Olympischen Spielen nahm Aruna seinen Schläger, er spielte einfach los - doch er gewann. Am Sonntag besiegte er den an Rang sieben gesetzten Chuang Chih-Yuan (Taipei) ziemlich schnell in vier Sätzen, am Montag folgte ein Sieg gegen den Deutschen Timo Boll. Der nimmt gewöhnlich seinen Schläger in die Hand, weil er gewinnen möchte, bestenfalls endlich die ersehnte Medaille im Einzel - vor Beginn der Spiele hatte er gesagt: "Ich habe hier auch sportliche Ziele. Ich will nicht nur die Fahne reintragen."

Aruna allerdings überraschte Boll mit variablem Spiel und immer wieder auch mit präzisen Vorhand-Kontern, nach gerade einmal zehn Minuten hatte er die ersten drei Sätze gewonnen. "Seine Vorhand ist wie eine Falle, die plötzlich zuschnappt", sagte Boll nach der Partie: "So einen Spieler gibt es nicht noch einmal auf der Tour."

"Ich bin mit mir im Reinen", sagt Boll

Boll fing sich, er gewann die nächsten beiden Durchgänge und war plötzlich der dominierende Spieler an der Platte. Aruna indes wurde nicht nervös, er spielte weiter wie der Onkel auf der Gartenparty, der den anderen Gästen zeigt, dass in diesem Sport meist nicht der Verbissenere gewinnt, sondern der, der locker bleibt und in den entscheidenden Momenten selbstbewusst agiert. Aruna drängte Boll bei den prägenden Punkten im sechsten Durchgang nach hinten und gewann die Partie verdient. Danach streichelte ihm sein Mentor, der siebenfache Olympiateilnehmer Segun Toriola, lachend über das Bäuchlein.

"Ich bin mit mir im Reinen, habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe hart trainiert, alles gegeben und war gut drauf. Ich habe einfach zu lange gebraucht, um mich auf seine unorthodoxe Spielweise einzustellen", sagte Boll danach: "Ich hoffe, dass ich das Ganze jetzt ausblenden kann für den Mannschaftswettbewerb, der am Freitag beginnt. Das ist ein neues Turnier und eine neue Chance."

Boll wird dann gemeinsam mit Dimitrij Ovtcharov antreten, der im Einzel noch - wie 2012 in London auch - eine Medaille gewinnen kann. Er besiegte am Montag zunächst Ping Li (Katar) in einem kniffligen Sieben-Satz-Match, gegen Bojan Tokič (Slowenien) am Abend waren dann nur die ersten beiden Durchgänge spannend. Ovtcharov gewann 31:33, 12:10, 11:5, 11:4 und 11:7 und spielt am Dienstag gegen seinen Vereinskollegen Vladimir Samsonov (Weißrussland). Bei den Frauen erreichte Han Ying das Viertelfinale, sie trifft dort auf die topgesetzte Chinesin Ding Ning.

Der Favorit bei den Männern ist übrigens der Chinese Ma Long, gegen den spielt nun Quadri Aruna. "Tischtennis war etwas, das ich jahrelang nur gespielt habe, weil es Spaß gemacht hat", sagt er in der Dokumentation: "Ich habe in meinem Leben so viel Glück gehabt, dass ich nicht unglücklich sein kann." Aruna gilt nach seinen beiden verblüffenden Auftritten als Liebling der Massen, er ist der erste afrikanische Tischtennisspieler, der bei Olympia das Viertelfinale im Einzel erreichen konnte. Er wird auch gegen den derzeit besten Akteur der Welt seinen Schläger in die Hand nehmen und einfach losspielen.

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