Timo Boll bei der Tischtennis-WM:Der Mann, den die Chinesen verehren

Am Sonntag beginnt die Tischtennis-Team-WM in Dortmund und alle Augen richten sich wie selbstverständlich auf Timo Boll. Er hat seine chinesische Konkurrenz penibel studiert - und sie ihn. Kann Boll ausgerechnet bei der Heim-WM seinen bislang größten Triumph wiederholen?

Ulrich Hartmann

Man kann die Bedeutung des 31 Jahre alten Odenwälders Timo Boll in der Tischtennis-Welt am besten durch eine Szene beschreiben, als er vor einem Jahr in Rotterdam seine erste Einzelmedaille bei einer Weltmeisterschaft gewonnen hat. Er stand mit drei Chinesen im Halbfinale: Zhang Jike, Ma Long und Wang Hao. Boll gewann Bronze. Nach dem Turnier mussten die drei Chinesen zum Interview beim chinesischen Fernsehen, anschließend holten die chinesischen Reporter wie selbstverständlich auch den Deutschen Boll vor ihre Kamera.

Jahresrückblick 2010 - Timo Boll

Hoffnungsvoll in die Heim-WM: Timo Boll.

(Foto: dpa)

Sie sprachen ein bisschen Englisch mit ihm und baten ihn dann um ein paar Brocken Chinesisch. "Peking-Ente kann ich unfallfrei bestellen", lautet sein Lieblings-Gag. Er lernt Chinesisch am Düsseldorfer Konfuzius-Institut. Auch das imponiert den Chinesen, neben seiner Kunst, Tischtennis zu spielen. Die Faszination beruht auf Gegenseitigkeit.

Der Berliner Journalist Friedhard Teuffel hat im Herbst ein Buch über Timo Boll veröffentlicht, das hauptsächlich in China spielt und deswegen wie ein Reisebuch heißt: "Mein China - Eine Reise ins Wunderland des Tischtennis." Teuffel beschreibt, wie die Chinesen Boll verehren und sein Spiel studieren, weil er so ziemlich der einzige aktive Spieler ist, der ihnen gefährlich werden kann. Als besten nichtchinesischen Spieler aller Zeiten nennen die meisten Chinesen noch immer den Schweden Jan-Ove Waldner, aber dann kommt auch schon Boll.

Auf der Internetseite "YouTube" ist ein Video zu sehen, wie Timo Boll mit vier Jahren im Hobbykeller gegen seinen Vater spielt, wie er mit sieben und acht seine ersten Turniere spielt und später als Jugendlicher um erste Titel sowie 1996 mit 15 Jahren sein erstes Bundesligaspiel. Am Anfang des kurzen Films ist sehr schön zu erkennen, welches Ballgefühl der kleine Junge bereits mit vier Jahren besaß, als er kaum über die Tischkante schauen konnte. "Timo hat ein begnadetes Talent", sagt Bundestrainer Jörg Roßkopf und behauptet: "Er besäße über ein härteres Training die Möglichkeit, noch näher an das Niveau der Chinesen heranzukommen."

Mit dem harten Training ist das aber so eine Sache. Bolls Körper ist nicht gerade unempfindlich gegen hohe Belastungen. Monatelang hatte er Rückenprobleme und die Fortsetzung seiner Leistungskurve schon hinterfragt. In diesem Frühjahr nun plagte ihn in seinem linken Schlagarm ein entzündeter Musculus supraspinatus: Das ist jener Muskel, der vom Schulterblatt bis in den Oberarm verläuft. Als Boll wegen dieser Reizung Anfang März auf die Deutschen Meisterschaften in Berlin verzichtete, war die Sorge groß, dass er bei der Mannschafts-Weltmeisterschaft vom Sonntag an in Dortmund nicht topfit sein könnte und dass damit der große Traum vom WM-Endspiel zwischen Deutschland und China am 1. April platzen könnte.

"Ich fühle mich fit"

Doch Boll, derzeit Weltranglisten-Sechster, zeigt sich wenige Tage vor Turnierbeginn zuversichtlich. "Ich fühle mich fit", sagt er, "ich habe keine Schmerzen mehr, kann mich vom Gefühl her schnell an mein früheres Niveau heranarbeiten und bin optimistisch, dass es eine gute WM wird."

Irgendetwas fehlt: Boll und Co. vor einer EM-Reise ins Ungewisse

Wichtiges Team: Bundestrainer Jörg Roßkopf (rechts) und Timo Boll.

(Foto: dapd)

Boll müsste seine Rivalen aus dem Reich der Mitte mittlerweile noch ein bisschen besser ausrechnen können, denn im vergangenen Sommer hat er zum wiederholten Mal mehrere Wochen in China gelebt und dort in der Superliga gespielt. Er kennt seine Gegner: die Vorhand von Ma Long, die Rückhand von Wang Hao, den Aufschlag von Chen Qi, den Topspin von Ma Lin und die Athletik von Zhang Jike.

Immer mal wieder hat er bei Turnieren einen von ihnen besiegen können, aber mehrere nacheinander, das ist ihm bloß ein einziges Mal gelungen: 2005 beim Weltcup in Lüttich hat er binnen 24 Stunden nacheinander Wang Liqin, Ma Lin und Wang Hao besiegt.

Sieben Jahre ist das jetzt schon her und ein Indiz dafür, dass Bolls Chancen gegen die Chinesen nicht unbedingt mit den Jahren besser werden, sondern von der Tagesform abhängig sind. "Inzwischen ist das chinesische Tischtennis kein Mythos mehr für mich", bilanziert Boll in Teuffels Buch. Boll hat die Chinesen oft beim Training gesehen. Er durfte zuschauen, wie die Kinder und Jugendlichen dort ausgebildet werden und er hat die Mentalität der Spieler kennengelernt.

Der Deutsche ist in all den Jahren selbst ein ganz kleines bisschen chinesisch geworden. Ob ihm das in diesem so wichtigen Sportjahr 2012 hilft, wird sich zeigen: kommende Woche in Dortmund und im Sommer bei den Olympischen Spielen in London.

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