Thomas Tuchel bei Mainz 05:Ab in den Urlaub

1. FSV Mainz 05 v Hamburger SV - Bundesliga

"Es fehlte ein bisschen mein naiver Glaube: Hey, das geht auch diesmal wieder gut" - Thomas Tuchel

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Der wohl begehrteste Trainer der Branche will Mainz 05 nach fünf Jahren verlassen - der Klub will Thomas Tuchel aber nicht freigeben. Im Hintergrund bahnt sich eine ungewöhnliche Lösung an.

Von Christof Kneer

Thomas Tuchel kann das nicht: einfach so ein Fußballspiel sehen. Wenn er sich zum Beispiel den FC Bayern anschaut, dann beginnt das Spiel im Moment des Schlusspfiffs ein Eigenleben im Kopf dieses Trainers zu führen. Das Spiel lässt ihn nicht mehr los, es wird von Tuchel vorwärts und rückwärts analysiert, und das Spiel darf sich keine Hoffnungen machen, dass diesem Trainer etwas entgeht.

Dass beim FC Bayern irgendetwas hakt, hat Tuchel zum Beispiel früh gespürt, früher jedenfalls als der größte Teil der Branche, der erst nach Bayerns Niederlage in Augsburg Witterung aufgenommen hat. Wenn es um das Spiel geht, hat Tuchel die feinsten Antennen, die man sich denken kann. Seine Antennen empfangen manchmal auch Signale, die für andere nicht verständlich sind - was im Extremfall dazu führen kann, dass der FSV Mainz 05 am Sonntagmittag eine Pressekonferenz gibt, in der es um den Trainer des FSV Mainz 05 geht, der aber seinerseits nicht anwesend ist.

Thomas Tuchel war zu Hause, als die Pressekonferenz im Fernsehen lief, er hat sie sich aber nicht angeschaut. Er wollte ursprünglich ja mit aufs Podium, er wollte sich gemeinsam mit Mainz erklären. Aber Mainz wollte sich dann allein erklären.

Grob gesagt geht es in diesem kuriosen Fall darum, dass Tuchels Antennen dem Besitzer schon im Herbst 2013 signalisiert haben, dass seine Zeit in Mainz zu Ende geht. Es war eine schwierige Zeit damals in Mainz, sie war so schwierig, "dass ich mir aus Trainersicht existenzielle Fragen gestellt habe", sagte Tuchel am Sonntagnachmittag, direkt nach der Pressekonferenz, die er nicht gesehen hatte.

"Im Herbst gab's zum ersten Mal in meiner Karriere eine Phase, in der meine Zuversicht und mein Enthusiasmus ein bisschen gewichen sind", sagt er, "es fehlte ein bisschen mein naiver Glaube: Hey, das geht auch diesmal wieder gut." Die Frage, ob diese Selbstdiagnose ausreicht, um zurückzutreten, hat er im Herbst noch mit "nein" beantwortet - aber gedanklich die Klammerbemerkung "Aber ich mache das nur noch bis Sommer" angefügt. Jetzt, da der Sommer fast erreicht ist, bekommt das Land die Wucht dieser Klammerbemerkung zu spüren. Es gibt jetzt außerplanmäßige Pressekonferenzen am Sonntagmittag.

Am Abend zuvor, nach dem 3:2 gegen den HSV, hat Tuchel seinen schwer betroffenen Spielern bei der Saison-Abschlussfeier mitgeteilt, dass er mit sofortiger Wirkung in Mainz aufhört, obwohl er noch einen Vertrag bis 2015 besitzt; Klubmanager Christian Heidel ließ die Öffentlichkeit am Sonntag umgehend wissen, dass er sich weigert, diesen Vertrag aufzulösen.

Das bedeutet momentan nichts anderes, als dass Tuchel Trainer von Mainz 05 ist, ohne Trainer von Mainz 05 zu sein.

Jetzt verhandeln die Anwälte

So tickt dieser Trainer: Er will immer der beste Tuchel sein, der er sein kann, und seine Antennen sagen ihm, dass er das in Mainz nach fünf gemeinsamen Jahren nicht mehr sein kann. Als Trainer ist er dort vom Jüngling zum Mann geworden, er hat den Standort mit raffiniertem und leidenschaftlichem Coaching vitalisiert, und er hat Spieler wie Schürrle, Holtby, Szalai und Kirchhoff so nach oben gecoacht, dass sie den Standort bald hinter sich gelassen haben; und im Sommer kommen jetzt wahrscheinlich noch Eric Maxim Choupo-Moting und Nicolai Müller hinzu.

Nur ihr Trainer, der ist immer da geblieben. Und im Herbst hat er dann eben gemerkt, dass Sisyphos auf Dauer kein glücklicher Mann gewesen sein kann.

Dass unter Vertrag stehende Trainer wegwollen und/oder mit anderen Vereinen verhandeln, ist nichts Neues in der Liga, Felix Magath hat aus dieser Disziplin sogar eine Art Kunstform entwickelt. Und auch Manager Heidel dürfte es kaum überrascht haben, als ihn Tuchel, längst so etwas wie der begehrteste Trainer der Branche, erstmals im Januar, dann noch mal im Februar und schließlich noch mal im April mit dem Plan konfrontierte, in Mainz aufzuhören. Dennoch sei der aktuelle Fall "ein Novum", sagte Heidel am Sonntag. Er meint: dass ein Trainer einen Vertrag nicht erfüllt, der aber trotzdem weiterläuft.

Wie lange Tuchel Pause macht? Das lässt der Trainer demonstrativ offen

Wie Tuchel und der Verein in Zukunft zueinander stehen, diese Frage klären gerade die Anwälte beider Seiten; noch kontern beide Parteien List mit Gegenlist, aber im Grunde streben beide Parteien dieselbe Lösung an: dass Tuchel seinen Vertrag ruhen lässt. Es wäre eine Art unbezahlter Urlaub. Tuchel wäre arbeitsrechtlich weiter an Mainz gebunden, und etwaige Interessenten müssten sich mit dem Klub einigen.

"Diese Lösung war und ist mein Wunsch", sagt Tuchel auch am Sonntagnachmittag. Er will nicht, dass der Eindruck entsteht, hier würde sich ein x-beliebiger Trainer aus dem Vertrag tricksen. Tuchel muss ja ohnehin damit leben, dass seine Gespräche mit anderen Klubs öffentlich geworden sind, mit Leverkusen oder, viel konkreter, mit Schalke 04, deren Vertreter aber offenbar darauf vertraut haben, dass Tuchel mit Mainz den öffentlichen Bruch riskiert. Das will Tuchel nicht - er fühlt mit radikaler Überzeugung, dass er nicht mehr Mainz-Trainer sein kann, er fühlt sich durchaus auch zu Höherem berufen. Aber er will keinen Rosenkrieg mit den Leuten, die ihm die Chance gegeben haben, der beste Tuchel zu werden, der er sein kann.

Tuchel will jetzt erst mal Pause machen, Gespräche mit interessierten Klubs wie dem VfB Stuttgart hat er abgesagt. Wie lange die Pause dauert? Tuchel werde die komplette nächste Saison keinen Klub übernehmen, meldete früh die Gerüchteküche - aber in der Pressemitteilung, die Tuchel am Sonntag verschicken ließ, fehlt dieser Satz demonstrativ.

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