Thomas Müller:Zweifel am Berufstorschützen

Italy v Germany - International Friendly

Trifft er auch für die Nationalelf gegen England? Thomas Müller.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Thomas Müller trifft wieder für den FC Bayern - für den Stürmer ist es eine private Wohltat.
  • Denn an seinem Status als zuverlässigem Torschützen sind Zweifel aufgekommen.
  • Auch in der Nationalelf muss er seinen Stammplatz bestätigen.

Von Philipp Selldorf

Nach dem 1:0-Erfolg in Mönchengladbach gab es beim FC Bayern eine richtige Kabinenparty. Musik spielte, es wurde laut gelacht, fröhliche Menschen liefen hin und her. Allerdings war es auch eine Kabinenparty, die ungefähr so effizient abgewickelt wurde, wie die Münchner ihr Restprogramm bis zur Aushändigung der Meisterschale bestreiten. Nach kaum fünf Minuten hat jemand den Rekorder ausgeschaltet, und die Gäste starteten mit ihren feschen Rollkoffern zur Heimreise. Der eine oder andere machte im Vorbeigehen noch bei den Reportern halt, Arjen Robben hingegen nahm mit zackigen Schritten und angestrengter Miene den geradlinigsten Laufweg zum Ausgang.

Robben hatte in Mönchengladbach Dinge erlebt, die den Rand des Erträglichen berührt, vielleicht sogar überschritten hatten. Während eines Angriffs hatte ihm Robert Lewandowski das Zuspiel vorenthalten und stattdessen selbst drauf geschossen, das war schon schlimm. Dann wurde Roben auch noch ausgewechselt, woraufhin er in seinem Ärger dem Ersatzmann Renato Sanches und dem Trainer Carlo Ancelotti beim allfälligen Abklatschen beinahe Körperverletzungen zufügte. Und zur Krönung passierte schließlich dieses: Auf der Ersatzbank musste er das Gelächter von Jérôme Boateng und Franck Ribéry ertragen.

Der Vorfall, so dramatisch er ist, wird wahrscheinlich nicht dazu führen, dass bei den Bayern ein großer Streit ausbricht, der das Gift der Zwietracht in die Mannschaft trägt. Der FC Bayern ist nicht mehr der FC Hollywood, selbst mit Misshelligkeiten und gekränkten Eitelkeiten wissen die Beteiligten souverän umzugehen - Arjen Robben hin und wieder ausgenommen.

Das Wort "endlich" ist angebracht

In Gladbach hat man den vorübergehenden Unfrieden nicht geleugnet, sondern kunstvoll ins Positive gewendet. "Es ist gut, wenn das Feuer brennt, das zeichnet uns ja aus", erklärte Thomas Müller, "wir sind alle lange im Geschäft, haben viele Titel auf der Autogrammkarte und zeigen trotzdem Emotionen."

Mit seinem rhetorischen Geschick und seiner praktischen Vernunft könnte Müller beim FC Bayern ebenso das Amt des Generalsekretärs wie das des Außenministers bekleiden. Er wird aber einstweilen noch auf dem Platz gebraucht, am Sonntag endlich auch wieder als Torschütze. Dass das Wort "endlich" angebracht ist, zeigte die Reaktion der Kollegen auf seinen Treffer zum 1:0. Bis auf Manuel Neuer kamen alle Mann aus den fernsten Gegenden des Spielplatzes hinzu gelaufen, um dem Glücklichen zu gratulieren.

Später hat Müller angekündigt, er wolle jetzt wieder häufiger treffen, damit solche Volksaufläufe nicht stattfinden müssten. Aus dieser luftigen Bemerkung ließ sich schließen, dass er das Mitgefühl der Kollegen auch als peinlich empfand, weil es seine dürftige Saisonbilanz entlarvte: Zwei Treffer in der Liga sind ein bescheidener Zwischenstand, selbst wenn daneben elf Torvorbereitungen stehen. Je mehr er darüber scherzte, dass dieses Siegtor im Rang einer Rarität stünde, desto mehr war Müller anzumerken, dass er den Treffer als private Wohltat empfand. Das 1:0 gegen tapfer Widerstand leistende Borussen bedeutete nicht nur den nächsten Schritt in Richtung Meisterschaft, sondern war auch eine persönliche Empfehlung für die endspielartigen Begegnungen mit Real Madrid im April. Müller ist nie verletzt, Müller spielt immer, Müller trifft immer - dieser Dreiklang gilt ja nicht mehr so ganz. Wobei der wichtigste Satzteil zum Glück weiterhin zutrifft: Verletzungen haben immer nur die Anderen.

Manuel Neuer fällt aus

Nun hat es laut einer amtlichen Mitteilung sogar den Nationaltorwart Manuel Neuer erwischt, der am Sonntag noch vermeintlich unversehrt den Borussia-Park verlassen hatte. Am Montag sagte er seine Teilnahme an den Länderspielen gegen England am Mittwoch in Dortmund und am Sonntag in der WM-Qualifikation in Aserbaidschan ab. "Wadenprobleme" nötigen ihn zu einer Behandlungspause in München, teilte der DFB mit; Bundestrainer Joachim Löw nominierte Kevin Trapp von Paris Saint-Germain nach.

Wadenprobleme, das klingt verdächtig nach einem klassischen Fall von Krankfeiern, aber Löw wird garantiert keinen DFB-Inspektor aktivieren, um das Attest auf Echtheit zu prüfen. Die beiden Länderspiele sind nicht die Gelegenheit für einen Wettstreit unter Torhütern, zumal weder Trapp, noch Marc-André ter Stegen oder Bernd Leno den Anspruch erheben, Neuer herauszufordern.

Müller ist im DFB-Team erfolgreicher

Immerhin steht in Dortmund und Baku eine Art Wettstreit unter Stürmern bevor. Müller füllt auf dieser Tour nicht mehr allein die Rubrik "Angreifer" im Programmheft, Mario Gomez und der Neuling Timo Werner leisten ihm Gesellschaft, Serge Gnabry, zurzeit verletzt, hat auch schon das Interesse des Bundestrainers geweckt. Thomas Müllers exponierter Status im Nationalteam steht nicht in Zweifel, aber er wird seine Stammplatzgarantie in Zukunft wieder etwas eindringlicher bestätigen müssen.

Wobei er als nationale Angriffsspitze in dieser Saison mehr Erfolg hatte als in München: Vier Tore und vier Torvorlagen in den vier Spielen der WM-Qualifikation sind mehr als nur ein Pflichtanteil. Müller hat in Gladbach versichert, er freue sich auf die Nationalmannschaft, und nützlich sei die Länderspielpause sowieso: "Dann kann sich die Liga von dem Schock erholen, dass ich getroffen habe."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: