Thierry Henry:Am anderen Ende der Parabel

Erstmals erzielt Thierry Henry ein Tor für Frankreich auf Vorlage von Zinédine Zidane.

Es ist kaum zu glauben, aber es stimmt: Was sich am Samstag in der 57. Minute der Partie zwischen Frankreich und Brasilien zutrug, war eine Premiere. Vorlage Zinédine Zidane, Tor Thierry Henry, das hatte es in Frankreichs Nationalmannschaft bis zu dieser Nacht noch nicht gegeben.

Dabei spielten die beiden schon 1998 bei der WM für Frankreich. Dennoch hat Henry, 28, keines seiner vorangegangenen 35 Länderspieltore auf Zuspiel von Zidane, 34, erzielt. Erst das 36. Tor des Stürmers war eine gemeinsame Produktion zweier Spieler, die auf den ersten Blick perfekt miteinander harmonieren müssten.

Henry ist in den vergangenen fünf Jahren viermal Torschützenkönig in der englischen Premier League geworden. Er ist eminent schnell und liebt es, wenn er den Pass in die Tiefe aus dem Mittelfeld erlaufen kann - er pflegt ihn dann recht oft zu verwerten.

Zidane, dreimaliger Weltfußballer des Jahres, ist ein Spezialist für diesen genauen letzten Pass. Er hat das Auge und die technische Fähigkeit, er hat das Gefühl. Müsste Henry nicht der ideale Adressat von Zidanes Pässen sein, und müssten die beiden nicht eine Torfabrik erster Güte bilden?

Er liebt den Angriff als Überfall

Eine mögliche Erklärung dafür, dass die beiden erst dieses eine Tor in gemeinsamer Arbeit schufen, ist diese: Henry mag es, wenn es sehr schnell geht, er liebt den Angriff als Überfall. Bei seinem Klub, Arsenal London, ist das Offensivspiel auf ihn und seine Schnelligkeit ausgerichtet.

Zidane ist hingegen ein Spieler, der die Kontrolle liebt. Die Grenze zwischen schnell und hastig ist dünn, und Zidane überschreitet diese Grenze nicht; er spielt im Zweifel lieber keinen Pass als einen hastigen Pass.

Um mit Henrys Tempospiel zu harmonieren, müsste er jedoch öfter mit mehr Risiko passen. Das widerstrebt ihm, weil es seiner Art des Fußballs nicht gemäß wäre. Zidane ist kein Konterspieler, er ist einer, der das Spiel gern lenkt und bestimmt, der nicht reagiert, sondern die gefährliche Situation selbst erschafft.

Das ist eine mögliche Erklärung, keinesfalls die allein gültige, denn von dieser Überlegung abgesehen ist es zuerst eine Kuriosität, dass die beiden exponiertesten Spieler des französischen Fußballs noch nie gemeinsame Sache bei einem Tor gemacht hatten.

Eine Art Ausnahme gab es bisher. Bei der EM im Jahr 2000 gewann Frankreich in der Vorrunde gegen Dänemark 3:0. In der 64. Minute erzielte Henry das 2:0, den Ball hatte er von Zidane erhalten.

Es war jedoch keine Torvorlage, Henry legte noch einiges an Weg zurück, bevor er seinen Treffer erzielte. Daher wird das Tor nicht als Koproduktion angesehen.

Am Samstagabend gegen Brasilien passte alles zusammen. Zidane war gut aufgelegt. Seine Freistöße flogen immer wieder in den Sechzehnmeterraum der Brasilianer, zudem spielte er deutlich schneller als zuletzt. In der 57. Minute legte er sich den Ball auf der linken Seite des Spielfelds liebevoll zurecht.

Im brasilianischen Strafraum drängelten sich die Spieler; Henry hatte sich einen Platz auf der rechten Seite gesucht. Roberto Carlos stand in seiner Nähe. Als Zidane anlief, schien Carlos jedoch mit etwas anderem beschäftigt zu sein, er stand gebückt. Band er sich die Schuhe neu?

Der Ball, obwohl scharf getreten, flog lange durch die Luft, über die Köpfe der Abwehr hinweg und über die Köpfe der Franzosen hinweg. Am anderen Ende der Parabel, die der Ball beschrieb, erschien Henry, elegant beförderte er die Kugel mit dem Innenrist des rechten Fußes ins Netz. Ob es das letzte Tor der beiden bleibt?

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