Thiago beim 6:1 des FC Bayern:Viel mehr als ein Zirkuskind

Bayern München - FC Porto

Überragte an diesem Abend alle: Bayerns Thiago.

(Foto: dpa)
  • Erst vor zwei Wochen kehrte Thiago Alcántara auf das Spielfeld zurück. Nun führte der Spanier den FC Bayern gegen Porto ins Halbfinale der Champions League.
  • Beim 6:1 ragt er heraus, leitet das Spiel mit Erhabenheit und Leichtigkeit und sorgt selbst für das wichtige 1:0.
  • Thiagos Auftritt stärkt auch Trainer Pep Guardiola, der den Kauf des Spielers einst vehement eingefordert hatte.
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Aus dem Stadion von Thomas Hummel

Während der zweiten Halbzeit, als dem FC Bayern bereits merklich die Energie ausging, schlugen die Münchner etwas unkontrolliert den Ball aus dem Strafraum. Die Kugel flog hoch in den Nachthimmel und senkte sich etwa 25 Meter vor dem Tor in Richtung von Thiago Alcántara. Es stand gerade 1:5 und der FC Porto wollte es noch einmal wissen. Zwei, drei Portugiesen rannten auf Thiago zu.

Es ist ein Moment, wo man schon mal nervös werden kann. Ein Ballverlust, und es kann schnell in die falsche Richtung gehen. Der Ball senkte sich, die Portugiesen kamen Thiago bereits ganz nah, einer von hinten, einer von vorne, einer von links.

Thiago streckte seine Brust nach oben, ließ den Ball darauf tropfen, hob das rechte Bein und schmuggelte ihn nach rechts an allen Gegenspielern vorbei zu einem Mitspieler. Alles in einem Bewegungsablauf. So schnell, so geschmeidig, dass kaum zu erkennen war, ob er das nun mit dem Fuß, mit dem Knie oder mit sonst was veranstaltete. Portos Attackierer mussten sich erst neu orientieren, das ganze schöne Pressing in einer halben Sekunde zerstört. Dabei hatten sie das Opfer doch schon eingekreist gehabt. Eigentlich.

In dieser Szene steckte all das Wirken des Thiago Alcántarado Nascimento. Ein Wirken, das sein Trainer Pep Guardiola und sein Sportchef Matthias Sammer in Kopf und Körper einteilten. "Thiago hat ein überragendes Selbstvertrauen. Er glaubt, es kann alles passieren", berichtete Guardiola und meinte damit: Thiago traut sich einfach alles zu. Selbst wenn der FC Bayern in Porto 0:6 verloren hätte, wäre dieser 24-Jährige noch mit der Einstellung ins Spiel gegangen, dann eben sieben oder acht Tore zu schießen.

Der 1:3-Rückstand aus dem Hinspiel des Champions-League-Viertelfinals erschien am Dienstagabend jedenfalls wie ein Klacks, wie ein Tippfehler in der Fußball-Historie. 5:0 hieß es schon nach 40 Minuten für die Münchner, am Ende reichte es zum 6:1. Und unter all den begeisternden Fußballern, die da im roten Trikot auf dem Platz standen, begeisterte Thiago am meisten.

Oder wie es Matthias Sammer ausdrückte: "Da besteht eine Verletzungsgefahr bei uns Deutschen allein beim Zuschauen."

Thiago leitete das Spiel der Münchner im Mittelfeld mit Erhabenheit und Leichtigkeit. Seine aufrechte Körperhaltung strahlt Eleganz und Selbstvertrauen aus, seine Körperbeherrschung ist für einen Fußballer außergewöhnlich. Er bewegt sich wie ein Tänzer, hat aber zudem ein Ballgefühl wie einer jener Halbzeit-Clowns, die den Ball 500 Mal auf der linken Schulter jonglieren können. Doch er ist mehr als ein Zirkuskind. Schon in Porto schoss er das einzige Tor der Münchner, diesmal wuchtete er den Ball mit seinen 1,74 Meter Größe per Kopf ins Netz. Es war das 1:0, der sogenannte Dosenöffner für das Spiel.

Vielleicht liegt es an den Genen

Vielleicht liegt das alles an den Genen. Sein Vater Mazinho war Weltmeister mit Brasilien 1994, sein Bruder Rafinha spielt beim FC Barcelona, sein Cousin Rodrigo beim FC Valencia. Dabei musste Thiago erkennen, dass die besten Gene nichts helfen, wenn das Innenband reißt. Und die Mediziner offenbar falsch behandeln.

Wer diesen Thiago am Dienstag gegen den FC Porto spielen sah, kann ja kaum glauben, dass er erst am 4. April nach mehr als einem Jahr Pause auf den Platz zurückgekehrt war. Im März 2014 war ihm sein Innenband gerissen, und dieses gerissene Band ist der Ausgangspunkt für den Ärzte-Streit beim FC Bayern. Wohl auch der Ausgangspunkt für die Demission von Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in der vergangenen Woche.

Denn Trainer Guardiola schickte Thiago damals nicht zum Bayern-Doc Müller-Wohlfahrt, sondern zu seinem Vertrauensarzt nach Spanien, Ramon Cugat. Thiago sollte so schnell wie möglich wieder fit werden, schließlich ging die Saison in die entscheidende Phase und es wartete auch eine WM. Cugat gab inzwischen an, den Spieler mit erlaubten Wachstumshormonen behandelt zu haben.

Am Ende riss er sich zwei weitere Male das Innenband. Es dauerte fast 13 Monate, eher er wieder auf das Spielfeld durfte.

"Diese Verletzung wird ihn als Mensch weitergebracht haben. So schwer, wie solche Phasen sind - wenn man sie übersteht, geht man als große Persönlichkeit raus", erklärte Sammer nun. Und Sammer kennt sich aus mit schweren Verletzungen aus seiner aktiven Zeit.

Dass Thiago nun so dermaßen begeistert, stärkt auch seinen Trainer. Pep Guardiola hat ja zu Beginn seiner Zeit in München öffentlich den Kauf dieses Spielers gefordert ("Thiago oder nix"). Und das, obwohl sein Bruder Pere der Berater Thiagos ist und damit ordentlich mitverdient hat bei dem Geschäft. Aber so ist das Fußball-Business: Solche Deals werden nur dann kritisch hinterfragt, wenn der Profi am Ende keine Leistung bringt.

Und dass kann nach diesem Champions-League-Viertelfinale nun wirklich niemand behaupten.

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