Testspielreise der Nationalmannschaft:Was Joachim Löw in den USA gelernt hat

Nationalmannschaft Deutschland - Training

Joachim Löw (rechts) und Max Kruse beim Training in Florida

(Foto: dpa)

Max Kruse ist der Gewinner der Länderspielreise, Julian Draxler bringt sich als neuer Özil in Stellung - und statt Tischtennis zu spielen, wird nun Basketball geschaut. Viele zweifelten am Sinn von Joachim Löws USA-Reise, doch Aussagekraft hat der Trip durchaus gehabt. Zehn Erkenntnisse.

Von Lisa Sonnabend

Über die Testspielreise der deutschen Nationalmannschaft in die USA wurde ausführlich debattiert. Ist es sinnvoll, ohne die verhinderten Spieler des FC Bayern, von Borussia Dortmund und Real Madrid eine Woche lang intensiv zu trainieren? Welche Aussagekraft hat der Trip? Was lässt sich ableiten von den beiden Partien dieser Ersatz-Elf, die bei keinem WM-Qualifikationsspiel oder gar bei der WM 2014 in ähnlicher Formation auflaufen wird? Joachim Löw und sein Team sind nun auf dem Heimweg. Fest steht: Für die Beteiligten hat sich die Reise gelohnt. Während es in den meisten Teilen des Heimatlandes wie aus Kübeln schüttete, verbrachten die Fußballer ein paar Tage bei angenehm sommerlichen Temperaturen. Doch das sind nicht die einzigen Erkenntnisse.

  • Der Gewinner der Länderspielreise

Er ist ganz klar der Gewinner der Länderspielreise: Max Kruse. Der 25-Jährige absolvierte seine ersten beiden Einsätze für die Nationalmmanschaft und fügte sich sogleich im Team ein, als habe er schon zig Mal unter Löw gespielt. Kruse kombinierte stark, war auf allen Seiten des Platzes anzutreffen und für die Gegner unberechenbar. Beim zweiten Testspiel gegen die USA gelang dem Mittelfeldspieler sogar ein sehenswerter Treffer. Mit dem Einsatz in der Nationalelf hat Kruse seine bislang beste Saison gekrönt. Beim SC Freiburg war er zuvor entscheidend mit verantwortlich gewesen, dass der Verein 2013/2014 europäisch spielen darf. Für Kruse steht nun der Wechsel nach Gladbach an. Findet er sich dort ebenso gut zurecht wie im Breisgau, wird er wohl noch viele Anrufe von Löw bekommen.

  • Gott sei Dank hat Deutschland kein Torwart-Problem

Es sah ein wenig aus wie Slapstick: Marc-André ter Stegen ließ beim Spiel gegen die USA eine leichte Rückgabe eines Teamkollegen ins Tor rutschen, nur wenige Minuten später stolperte er beim langsamen Zurücklaufen derart, dass es ihn auf den Hosenboden fallen ließ. Solche Szenen bei der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien? Deutschland würde belächelt werden wie einst Tasmania Berlin in der Bundesliga. Doch dazu wird es wohl nicht kommen: Denn Deutschland hat kein Torwartproblem - dies wurde bei der USA-Reise deutlich. Sollte Manuel Neuer verhindert sein oder Roman Weidenfeller weiter vom Bundestrainer nicht berücksichtigt werden, steht Joachim Löw immer noch René Adler zur Verfügung. Der HSV-Torwart parierte im Spiel gegen Ecuador ähnlich souverän wie Neuer und Weidenfeller im Champions-League-Finale. Ter Stegen ist derzeit nur Ersatztorhüter der Ersatznationalelf - und wird es vorerst wohl auch bleiben. Der Gladbacher ist allerdings auch erst 21 Jahre alt. Legt er in ein paar Jahren seine Unsicherheit ab, darf womöglich auch er irgendwann bei einem wichtigen Spiel im Nationaltrikot auflaufen.

  • Julian Draxler - der kleine Özil

Er ist erst 19 Jahre alt - und spielt, als habe er schon zahlreiche wichtige EM- und WM-Spiele gemeistert: Julian Draxler. Der Schalker nahm während der USA-Reise die Rolle von Mesut Özil ein und dirigierte das Spiel der Deutschen fast schon ähnlich souverän wie der erfahrene Kollege von Real Madrid. Es lag nicht an Draxler, dass die Nationalelf das Spiel gegen die USA verlor, der junge Spieler durfte gar sein erstes Länderspieltor bejubeln. Folgende Prognose ist somit alles andere als gewagt: Es wird nicht sein letzter Treffer für Deutschland gewesen sein. Und der Nationalelf muss nicht bange sein, falls Özil in drei, vier Jahren nicht mehr ähnlich spritzig agieren kann wie derzeit. Ein Nachfolger steht bereit.

Viel zu viele Gegentore

  • Miroslav Klose ist noch kein Gerd Müller

Beim FC Bayern München spielte Miroslav Klose irgendwann nicht mehr die erste Geige, deswegen zog er weiter zu Lazio Rom, wo er fast schon genauso sehr verehrt wird wie einst Diego Maradona in Neapel. Auch Löw hält weiter an dem 34-jährigen Stürmer fest - und ließ Klose nachträglich in die USA einfliegen, nachdem dieser seine Verpflichtungen in Italien erledigt hatte. Im Spiel gegen Klinsmanns Team konnte Klose nicht wie gewohnt auftrumpfen - womöglich der Jetlag. Er verpasste es deswegen, noch vor der Sommerpause den Torrekord von Gerd Müller einzustellen, und hat erst im Spiel am 6. September gegen Österreich wieder die Gelegenheit, bester Torschütze der Nationalelf zu werden. Wenn es sich Löw nicht doch noch anders überlegt und Stefan Kießling auf den Platz lässt. Der ist immerhin bester Bundesliga-Torschütze dieser Saison, auch wenn es zum besten National-Elf-Torschützen noch ein weiter Weg ist.

  • Viel zu viele Gegentore

Zwei Mal musste René Adler den Ball aus dem eigenen Kasten holen, Marc-André ter Stegen gleich vier Mal. Die USA-Reise hat einmal mehr gezeigt: Die Nationalelf kassiert einfach viel zu viele Tore. Zwar purzelten die Gegentreffer nicht so rasant wie beim vielfach zitierten 4:4 im Oktober gegen Schweden und auch die Abwehr zeigte keine ganz so konfuse Leistung. Doch es bleibt der Eindruck: Die Nationalelf ist zu wenig aufeinander eingespielt, die Ersatz-Elf in den USA natürlich erst recht. Will Löw den WM-Titel in Brasilien holen, muss er dringend mehr Stabilität reinbringen. Spanien hat vorgemacht, wie dies geht: Bei der EM 2012 bekamen Iker Casillas, Andrés Iniesta und Xavi nur ein Gegentor. Die deutsche Elf hielt dagegen nur im Spiel gegen Portugal ihren Kasten sauber und kassierte insgesamt sechs Gegentreffer.

  • Oliver Bierhoff hütet seine Zunge

Die USA-Reise hat tatsächlich für ein wenig Spannung gesorgt. Teammanager Oliver Bierhoff hatte sich in einem Interview kritisch über Lukas Podolski geäußert. Der Stürmer habe "ein Jahr des Stillstands" in der Nationalmannschaft erlebt. Podolski reagierte genervt, Löw nahm seinen Spieler in Schutz. Im Nachhinein bleibt festzuhalten: Alles offenbar halb so wild, Bierhoff und Podolski haben sich angeblich ausgesprochen, alles sei wieder in Ordnung. Bierhoff wird aus dem Vorfall dennoch eine Lehre ziehen: Jedes Wort in einem Interview kann sich als Pulverfass entpuppen - auch wenn es nur als sachliche Zustandsbeschreibung gedacht ist.

  • Reaktionsstarker Poldi

Lukas Podolski zeigte während der Tage in den USA, dass er um keine Antwort verlegen ist. In einem Interview hatte Teammanager Oliver Bierhoff dem Arsenal-Spieler "ein Jahr des Stillstands" in der Nationalmannschaft bescheinigt. Wie Poldi darauf reagierte? Er schoss neun Sekunden nach Anpfiff in Boca Raton ein Tor, ein weiteres folgte in der 17. Minute. Gegen die USA fand Podolski dagegen zu keinem Zeitpunkt ins Spiel, bei der Offensivarbeit mischte er kaum mit. Vielleicht hätte ihn jemand vor dem Spiel ein wenig anstacheln sollen.

Auch die B-Elf vollbringt Historisches

  • Auch die B-Elf vollbringt Historisches

Sie wurde als "B-Elf" und als "Verlegenheits-Nationalmannschaft" verspottet. Doch dann zeigte das Team, das ohne die Spieler aus München, Dortmund und Madrid auskommen musste, dass es sogar zu Historischem in der Lage ist: Gegen Ecuador erzielte die Elf das schnellste Länderspieltor der Geschichte. Nach neun Sekunden landete der Ball von Podolski im Kasten. Einen anderen Rekord verpassten Stefan Reinartz, Sidney Sam & Co. allerdings: Hätten sie gegen die USA gewonnen, wäre die deutsche Elf so gut ins Jahr gestartet wie in ihrer 105-jährigen Geschichte noch nie: mit fünf Siegen in fünf Spielen. Doch Klinsmann wusste dies bekanntlich zu verhindern.

  • Vier Neulinge - nur ein Kandidat für Brasilien

Der Bundestrainer war wegen der Verpflichtungen der FCB-, BVB- und Real-Spieler gezwungen, ein wenig zu improvisieren bei der USA-Reise. Er musste lange suchen, bis er genug Mitfahrer beisammen hatte. Löw griff noch einmal auf Spieler wie Heiko Westermann, Dennis Aogo oder Stefan Reinartz zurück, die eigentlich bereits auf dem Abstellgleis geparkt waren. Max Kruse, Sidney Sam, Philipp Wollscheid und Nicolai Müller dagegen durften zum ersten Mal das Deutschlandtrikot überziehen. Bis auf bei Max Kruse ist es allerdings bei den anderen eingesprungenen Spielern kaum vorstellbar, dass sie bereits im kommenden Jahr mit nach Brasilien reisen dürfen. Zu instabil sind ihre Leistungen (noch), zu nervös agierten sie. Eine prägende Erfahrung dürfte es für die Debütanten dennoch gewesen sein.

  • Basketball statt Tischtennis

Im Herbst hatte sich Bayern-Präsident UIi Hoeneß darüber lustig gemacht, dass die Nationalelf überall, wo sie trainiere, Tischtennisplatten aufstelle. Von Tischtennispartien ist diesmal nichts überliefert, dafür aber von Besuchen beim Basketball. Zur Einstimmung auf die Partien gegen Ecuador und die USA verfolgten die DFB-Spieler nämlich in der Arena in Miami das zweite Conference-Finale der Basketball-Profiliga NBA zwischen Miami Heat und den Indiana Pacers. Während Hoeneß den Sinn von Tischtennisspielen anzweifelt, wird er gegen eine Partie Basketball nichts einwenden können. Schließlich verfolgt er selbst fast jede Partie seiner Korbjäger live in der Halle. Und auch die Spieler zeigten sich von der Sportart angetan - und gaben sogar an, dabei etwas gelernt zu haben. "Die Amis verstehen es einfach, zu animieren und zu entertainen", sagte Benedikt Höwedes, was er "einfach phänomenal" finde. Also noch eine Erkenntnis der Reise.

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