Tennys Sandgren bei den Australian Open:2000 gelöschte Tweets

Tennys Sandgren

Tennys Sandgren bei den Australian Open.

(Foto: AP)
  • Der Amerikaner Tennys Sandgren ist der Überraschungsmann der Australian Open, könnte sogar das Halbfinale erreichen.
  • Doch über seine offenbar sehr rechten politischen Ansichten ist eine Debatte entbrannt.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen der Australian Open.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Die Pressekonferenz im bislang größten Moment seiner Karriere begann pathetisch, wie es die Amerikaner mögen. Die Präsidentin des nationalen Tennis-Verbandes USTA hätte gerade getwittert, trug ein Journalist aus den USA vor, er, Tennys Sandgren, der Überraschungsmann dieser Australian Open, habe fünf verschiedene Elemente bei seinem Siegeslauf bis vorerst ins Viertelfinale gezeigt: Herz. Mut. Beharrlichkeit. Geduld. Glaube.

Welches Element davon er am Wichtigsten für sich selbst empfunden habe, wurde Sandgren gefragt. Der 26-Jährige aus Gallatin, Tennessee, der erst Ende des vergangenen Jahres erstmals überhaupt zu den besten 100 Tennisspielern der Welt zählte und jahrelang auf unteren Tennistouren sein Glück versuchte, entschied sich für die Geduld.

Ein pikantes Thema ist aufgetaucht

Diese hätte ihm im Achtelfinale gegen den Österreicher Dominic Thiem, den er am Montag mit 6:2, 4:6, 7:6, 6:7, 6:3 besiegt hatte, am meisten geholfen. In der zweiten Runde hatte Sandgren erstmals für Furore gesorgt und den Schweizer Stan Wawrinka besiegt, den Champion der Australian Open von 2014. Sandgren hatte gar erst bei diesem Turnier erstmals eine Grand-Slam-Runde in seiner gesamten Karriere gewonnen. In der dritten Runde hatte er den 22-jährigen Nürnberger Maximilian Marterer ausgeschaltet, da wussten alle schon die Geschichte seines so speziellen Vornamens Tennys. Den hatte ein Vorfahre getragen, ein Urgroßvater aus Schweden, so schilderte er es. Ein US-Medium nannte Sandgrens Geschichte in Melbourne eine "Feel-good-story".

Doch jetzt, im Anschluss an Sandgrens Sieg gegen Thiem, klingt manches weniger nach gutem Gefühl. Es ist ein pikantes Thema aufgetaucht. Ein politisches. Es ging auf einmal darum, ob der letzte im Einzelwettbewerb der Männer befindliche Teilnehmer aus den USA fragwürdige politische Ansichten habe. Genau genommen: ob es sich um extreme Ansichten handelt.

Konkret: ob er Unterstützer der Alt-Right-Bewegung sei, die sich am äußersten rechten Rand bewegt. Anlass der Fragen in dieser Richtung waren diverse Social-Media-Aktivitäten von Sandgren. Bei Twitter folgte er als sogenannter Follower zahlreichen Personen, die nachweislich aus dem radikalen rechten amerikanischen Spektrum stammen. Auch "likte" er zahlreiche Meldungen mit Gesinnungen aus entsprechenden Lagern. So berichteten es auch verschiedene Medien. Etwa solche von Nicholas Fuentes, einem jungen Nationalisten, der zum Beispiel die Meinung vertritt, Multikulti in den USA sei "wie Krebs". Auch soll Fuentes an dem rechtsradikalen Aufmarsch in Charlottesville im vergangenen Jahr teilgenommen haben. Fuentes hat dann offenbar selbst Sandgren nun auf Twitter zum Erreichen des Viertelfinales via Retweeten eines Glückwunsches gratuliert und ihn als eine Art Unterstützer geoutet, ehe der Tweet nicht mehr auffindbar war.

"Wem man bei Twitter folgt, spielt doch überhaupt keine Rolle", erklärte sich Sandgren in der Pressekonferenz auf die Fragen eines britischen Reporters: "Die Information, die du siehst, bestimmt nicht, was du denkst oder glaubst." Sandgren vertrat die Meinung, es sei "lächerlich" anzunehmen, nur weil "man einer Person X folgt, glaubst man auch das, was diese Person glaubt". Dass die Öffentlichkeit sich plötzlich für den Hintergrund des überraschenden Viertelfinalisten interessiere, aber auf andere Art, als das gewöhnlich im Tennis vorkam zuvor, berunruhige ihn nicht, betonte Sandgren.

Sandgren sagt, er sei ein strenggläubiger Christ

Im Internet, so ist das in diesen Zeiten, hatte sich schon in den vergangenen Tagen zunehmend eine Debatte unter verschiedenen Usern schleichend entwickelt, die einerseits diffus und zerstückelt wirkte. Andererseits drängte sich der Verdacht auf, dass Sandgren sehr wohl eben mit rechten Gesinnungen sympathisieren dürfte. Fraglich ist auch jetzt, ob er in Melbourne wahrheitsgemäß auf die heikleren Fragen geantwortet hat. Auf die Frage, ob er die Alt-Right-Bewegung unterstütze, sagte er konkret: "Nein, das tue ich nicht. Ich finde einige Inhalte interessant. Aber nein, das tue ich nicht." Als strenggläubiger Christ würde er diese Sichtweisen "nicht unterstützen". Er unterstütze Christus und ihm folge er.

Am Dienstagmorgen waren dann gut 2000 Tweets, kleine Nachrichten, die Sandgren selbst geschrieben oder retweetet hatte, also von anderen auf seine eigene Seite weitergeleitet hatte, von seiner Seite gelöscht. Bis ins Jahr 2016 zurück waren sie nicht mehr verfügbar. So war auch ein Tweet verschwunden, in dem Sandgren Bezug nahm auf eine gestreute Falschmeldung während des amerikanischen Wahlkampfes, die als "Pizzagate" bezeichnet worden war. Im Keller einer Pizzeria in Washington, so lautete die Verschwörungstheorie damals, operiere ein Kinderpornoring, und Hillary Clinton, die demokratische Präsidentschaftskandindatin, sei in den Fall verwickelt. Sandgren kommentierte dazu, "alles" sei "krankmachend und die gesamte Beweislage zu groß, um sie zu ignorieren". Ein britisches Medium veröffentlichte einen zuvor getätigten Screenshot von diesem Kommentar.

In der deutschen Nacht auf Mittwoch hat Sandgren nun die Chance, das Halbfinale der Australian Open zu erreichen. Der Weltranglisten-97. trifft auf den Koreaner Hyeon Chung, 21, der in der dritten Runde den Hamburger Alexander Zverev und im Achtelfinale den zwölfmaligen Grand-Slam-Sieger Novak Djokovic aus Serbien besiegt hatte. Sollte er gewinnen, könnte Sandgren in die Top 50 der Weltrangliste einziehen.

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