Tennisturnier in München:Wenn sich Puzzleteile summieren

Andy Murray v Mischa Zverev - BMW Open 2015

Mischa Zverev beim Volley - viele solcher Szenen gestattete ihm Andy Murray nicht.

(Foto: Bongarts/Getty Images)
  • Tennisprofi Mischa Zverev erlebt beim 2:6, 2:6 gegen Andy Murray, wie es ist, gegen einen hoch überlegenen Profi zu verlieren.
  • Der Deutsche kann dem Match aber durchaus Positives abgewinnen - denn er kämpft sich gerade zurück ins Profigeschäft.
  • Murray schwärmt derweil vom Pokalspiel der Bayern gegen Dortmund.

Von Gerald Kleffmann

Am Donnerstagnachmittag, nach einer gut eineinhalbstündigen Verzögerung wegens Regens, betrat Mischa Zverev den Center Court auf der Anlage des MTTC Iphitos. Und er wusste vorab: Er wird als Verlierer vom Platz gehen. Wenn nicht ein Wunder passiert.

Es passierte nicht. Nicht in dieser zweiten Runde bei den BMW Open in München.

2:6, 2:6 unterlag der 27-jährige Deutsche, der in Moskau geboren wurde, aber in Hamburg aufgewachsen ist und ein wunderbar hanseatisches "S" spricht. Mischa Zverev ist der große Bruder von Alexander Zverev, 18, dem zurzeit größten deutschen Tennistalent. Aber Mischas Geschichte ist eine ganz andere. Mischa Zverev hat schon viel hinter sich, er war mal Top50-Spieler, er deutete oft an, dass er ein guter Profi ist, doch Verletzungen warfen ihn immer wieder zurück. Vor einem Jahr musste er eine Operation am Handgelenk über sich ergehen lassen. Er wurde auch bislang nicht Olympia-Goldmedaillengewinner, er wurde nicht Wimbledonsieger, er ist nicht die Nummer drei der Welt. Das alles ist Murray.

Mischa Zverev ist die Nummer 653 der Welt, und an diesem Donnerstagnachmittag wollte er einfach nur halbwegs überleben. "Viel kann man nicht planen", gab er auf die Frage zu, wie der Matchplan aussieht, wenn der Kontrahent eben Andy Murray heißt. Der Schotte aus Dunblane zählt seit vielen Jahren zu den Big Four mit Novak Djokovic, Roger Federer und Rafael Nadal. Namhafter geht es nicht im aktuellen Männertennis. Natürlich ist Murray in München an Nummer eins gesetzt.

6:2, 6:2. Die Frage, ob Murray an seine Grenzen gehen musste, lässt sich leicht beantworten: natürlich nicht. Aus Höflichkeit würde er dies niemals offenbaren, aber jeder der 4000 Zuschauer auf dem Center Court konnte einen gewissen Klassenunterschied sehen. Man darf das so deutlich formulieren, denn Mischa Zverev sah diese auch. Sagte er selbst. Murray schlug die Bälle nicht wesentlich härter, er hatte nicht unbedingt einen übermächtigen körperlichen Vorteil.

Es gab viele offene Ballwechsel, in denen es hin und her wog, ohne dass der eine oder andere Spieler sofort in der Offensive bzw. Defensive war. Und doch endete die Partie klar. Zverev wusste das schnell richtig einzuordnen: "Ich habe lange nicht gegen einen solchen Spieler gespielt. Ich musste mich erst mal daran gewöhnen. Und schon stand es 0:4." Murrays Spin, der Drall, den er den Bällen mit seinen Topspin-Schlägen mitgibt, war erst mal zu fordernd für Zverev.

Murray in vielen Nuancen besser

Im Tennis summieren sich kleine, fast unscheinbar wirkende Nuancen zu großen Leistungsunterschieden. Wenn Murray den ersten Aufschlag ins Feld brachte, machte er zwei Drittel aller Punkte. Wenn Zverev den ersten Aufschlag ins Feld brachte, machte er nur die Hälfte jener Punkte. Weil Murray der bessere Returnspieler ist. Das heißt: Bei jedem Aufschlagspiel muss Zverev mehr Energie aufwenden, um seinen Service nicht zu verlieren.

Ein weiteres Puzzleteil: Murray beherrscht das sogenannte Winkelspiel perfekt. Er streut die Bälle immer wieder cross und treibt so den Gegner aus der Platzmitte. Murray spielt im nächsten Moment aber auch, wenn der Gegner wie Zverev einen Cross-Ball erwartet, gegen den Lauf - und setzt den Ball die Linie entlang, also longline.

Ende des zweiten Satzes, als Zverev durchaus passabel ins Match fand und das Duell offener gestaltete, geriet Murray in Bedrängnis. Zverev griff an, er stand gut postiert am Netz und orientierte sich aus der eigenen Laufbewegung heraus nach rechts. Murray erkannte aus der Situation und dem Augenwinkel heraus dieses Verhalten - und spielte einen Lob, der so wenig Tempo hatte, als würde er einem Anfänger den Ball zuschubsen. Doch weil Zverev kein Superman ist und sich nicht gegen Flieh-, Schwer- und sonstige Naturkräfte hinwegsetzen kann, war er chancenlos - und sah aus seinem Augenwinkel heraus den Ball in Zeitlupengeschwindigkeit an sich vorbeifliegen.

Insgesamt musste Murray nur zweimal brenzlige Situationen meistern, in seinen Aufschlagspielen bei 2:1 und 5:2 im zweiten Satz hatte Zverev mehrere Breakbälle. Selbst wenn Murrays Sieg nicht gefährdet war, verlieren Profis nie gerne ihr Aufschlagspiel. Plötzlich spielte der Schotte Serve&Volley, zweimal tauchte er sofort nach dem Service am Netz auf, jeweils ein sicherer Volley, die Chancen waren dahin für Zverev.

"Er spielt so um die 60, 65 Prozent und kann immer noch auf 90 Prozent erhöhen", analysierte Zverev, "während ich schon so um die 90 Prozent am Limit spiele." Murray hat somit, sollte das heißen, Möglichkeiten, spielerisch zuzulegen. Und auch auf Schwächen konnte Zverev auch nicht hoffen: "Nach zwei langen Ballwechseln hofft man, er macht auch mal einen leichten Fehler. Aber man bekommt ihn nicht."

Murray hat schließlich auch noch über sein erstes Match in München geredet. Er hat davon gesprochen, wie "tricky" die Bedingungen waren, nach wärmeren Tagen hatte der Regen den Platz weicher gemacht. Murray verriet, dass er in der Halle zwischendurch trainiert hatte. Er schwärmte auch von seinem Erlebnis, als er beim Fußball war und das Pokal-Aus des FC Bayern sah. Dass Dortmunder und Bayern-Fans in einem Block gemeinsam und vor allem friedlich gemeinsam saßen, hatte ihn fasziniert. Über Zverev selbst hat er nicht explizit dagegen gesprochen.

Er kennt ihn, er mag ihn. Aber an diesem Donnerstagnachmittag war er kein Gegner, um ihn ernsthaft zu fordern.

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