Tennisspielerin Jelena Ostapenko:Eine Göre will die Großen ärgern

French Open

Erstmals im Halbfinale eines Grand-Slam-Turniers: Jelena Ostapenko

(Foto: REUTERS)
  • Jelena Ostapenko ist die erste Lettin, die in der Runde der letzten Vier eines Grand-Slam-Turniers steht.
  • Beliebt ist die Spielerin allerdings nicht.
  • Im Halbfinale trifft sie nun auf Timea Bacsinszky.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Einen Ruf wie die Pest habe sie, urteilte L'Equipe am Mittwoch. Sie gebe am Netz kaum jemals die Hand. Sie habe den Schläger schon so geworfen, erinnerte die französische Sporttageszeitung, dass er ein Ballkind traf. "Sie ist feisty ... das wird kein Rosenbett für mich", befand Timea Bacsinszky. Die Schweizerin wird im Halbfinale der French Open auf diese junge Gegnerin treffen. Feisty ist ein herrliches Wort, es lässt sich vielfach übersetzen, und alles trifft zu - auf Jelena Ostapenko: lebhaft, munter, beherzt. Aber auch: angriffslustig, übellaunig. Ja, Ostapenko sei nicht so beliebt, bestätigt Mats Merkel, ein deutscher Trainer und Berater, der sie bestens kennt, er ist seit Jahren im Tennisbusiness unterwegs. "Sie quatscht nicht lange rum. Sie kommt, trainiert, geht." Swagger, ist das Wort, das die Branche bei solchen Typen wählt. Eine Stolziererin. Merkel findet: "Sie ist ein geiler Typ."

In jedem Fall ist Ostapenko die größte Überraschung von Roland Garros. Sie ist nicht nur die erste Lettin, die in der Runde der letzten Vier eines Grand-Slam-Turniers steht. Sie ist die erste Teenagerin seit Ana Ivanovic, die 2008 dann gar triumphierte. Mit Ivanovic stand Merkel vor zwei Jahren selbst als Coach im Halbfinale (damals turnte hier auch der verliebte Bastian Schweinsteiger umher). Wobei: An diesem Donnerstag wird Ostapenko 20, sie hat Geburtstag.

Wie Bacsinszky, die 28 wird und eine derjenigen ist, die Ostapenko mag. Sie hätten sich gratuliert, geherzt, erzählte Bacsinszky. Sie und Ostapenko hatten sich ja frech nicht an das erwartete Drehbuch gehalten und zwei Spielerinnen besiegt, die ein glamouröseres Halbfinalpaar gebildet hätten: Bacsinszky fertigte im Viertelfinale die von den Zuschauern so getragene Französin Kristina Mladenovic 6:4, 6:4 ab, Ostapenko zermürbte die Dänin Caroline Wozniacki 4:6, 6:2, 6:2.

"Wenn es ginge, würde sie den Ball auffressen"

Mats Merkel sagt, beide hätten gewonnen, weil sie "disruptiv" agieren, sie zerstören das Spiel der Gegnerin. Bacsinszky streut viele Stopps ein, Richtungswechsel, sie umlaufe, anders als die meisten, die Vorhand, was Gegnerinnen irritiere. Ostapenko? "Sie hat keine Angst. Bei 30:30 schupft sie nicht rum. Sie gibt Gas." Mit ihrer Vorhand cross treibe sie die Gegnerin in die Ecken, öffne das Feld. Vor allem aber: "Sie ist intrinsisch motiviert. Man muss sich nur ihren Blick in die Box ansehen, dieses Feuer." Für Merkel steht fest: "Wenn es ginge, würde sie den Ball auffressen."

Dass sich Bacsinszky in Paris wieder so gut präsentiert, ist kein Zufall. Sie mochte das Turnier immer, sie spüre hier "Magie", sagt sie. Vor zwei Jahren war sie im Halbfinale, voriges Jahr im Viertelfinale, seit dieser Zeit ist das französische Publikum mit ihrer Geschichte vertraut. Bacsinszky hatte einen Vater, der sie zum Tennis zwang, bestrafte, schlug, mental misshandelte. Sie löste sich von ihm und warf nicht hin, wie geplant.

Diese komplexe, ernste Note schwingt nicht bei Ostapenko mit, ihre Geschichte ist auf andere Art dafür speziell. Sie könnte das nächste große Ding sein im Frauentennis. "Sie hat das Potenzial, die nächsten fünf Jahre in den Top Ten zu stehen", sagt Merkel. Andere sehen das ebenso. Ugo Colombini, Ex-Manager von Andy Murray, einer der stets auf der Anlage rumschleichenden Agenten, hat sich Ostapenko als Klientin gesichert. Zwei Siege, dann könnte, früher als gedacht, die Saat aufgehen. Die Kasse klingeln. Zwei Millionen Euro bringt Paris dem Gewinner.

Das Phänomen, dass im Frauentennis viele Athletinnen aus östlichen Ländern kommen, ist noch zu beobachten, viele Namen enden auf -owa und -ina. Penko, so ihr Spitzname, fällt da bereits aus der Reihe, und bei ihr wird die Tenniswelt auch kaum das Problem haben, sie mit anderen zu verwechseln. Sie ist ein Unikat. Giftig, zäh, unerschrocken. In Paris verlor sie dreimal den ersten Satz und biss zurück. Seit 2013 hat sie sagenhafte 32-mal für Lettland im Fed Cup gespielt und zehn ihrer 18 Einzel gewonnen. Sie sei aber auch "superfröhlich", sagt Merkel, der bei der Firma Adidas angedockt ist und nun junge Spieler scoutet, beobachtet, bewertet. Mit Ostapenko hat Merkel seit kurzem zu tun. Sie trägt nun die Streifen, was heißt: Sie ist auf dem Radar des Big Business.

Ostapenko stammt aus einer Sportlerfamilie, die Mutter war Tennisspielerin in der Sowjetunion, der Vater Fußballer in der Ukraine. Sie ist eigen. Sie tanzt gerne, Samba etwa. Ihr war ein guter Schulabschluss wichtig. Also machte sie ihn, vergangenes Jahr. Nun wird sie mindestens einen Sprung von Rang 47 auf 21 in der Weltrangliste vollführen, in der Region ist auch Bacsinszky. Das zweite Halbfinale bestreiten die Tschechin Karolina Pliskova (7:6, 6:4 gegen die Französin Caroline Garcia) und die Rumänin Simona Halep (3:6, 7:6, 6:0 gegen die Ukrainerin Elina Svitolina). "Jelena ist schon bereit, jetzt Roland Garros zu gewinnen", sagt Merkel. So scheint es zu sein. Als Ostapenko gefragt wurde, ob sie Tennis simpel finde, weil sie ihren Instinkten auf dem Platz folge , sagte sie nichts. Sie schaute in die Runde - und lächelte wie eine Göre, die die Großen ärgern will.

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