Tennisspieler Alexander Zverev:Giftig auf dem Platz - und auch daneben

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Sieger des Turniers in München: der 20 Jahre alte Alexander Zverev. (Foto: AP)
  • Bei seinem Turniersieg in München sieht die Welt das riesige Tennistalent von Alexander Zverev.
  • Doch in seine Auftritte mischen sich auch Misstöne.

Von Gerald Kleffmann, München, München

Da stand er, der neue Gewinnertyp des deutschen Tennis, mitten auf dem Center Court im MTTC Iphitos, die Stimme wurde brüchig. Alexander Zverev kam auf seinen Vater zu sprechen. "Er hat viele Stunden mit mir auf dem Trainingsplatz verbracht", sagte der 20-Jährige, "alle diese Titel haben auch eine sehr große Bedeutung für ihn." Das Fernsehen fing Alexander senior ein. Der gebürtige Russe saß auf der Tribüne, die Sportkappe verdeckte halb sein Gesicht, und doch war zu erkennen: Er hatte feuchte Augen. "Vielen Dank an ihn. Ohne ihn wäre das alles nicht möglich", sagte der Sohn weiter. Der Vater, früher ein Davis-Cup-Spieler, winkte, streckte den Daumen hoch. Ja, es war eine nette Szene.

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Kurz darauf schlüpfte Zverev in die Lederhose, die er als Sieger der BMW Open in München erhielt, küsste die Kühlerhaube eines Sportwagens, zwängte sich mit seinen 1,98 Metern auf den Sitz und fuhr unter dem Jubel der Zuschauer los. Das Auto gab's als Prämie. Später, bei der Pressekonferenz, scherzte Zverev: Wenn sein Vater geweint habe, werde er ihn damit aufziehen. Über sich scherzte er, man habe ihm die Autoschlüssel abgenommen; er hoffe, er kriege sie zurück. Alles war ganz friedlich, ein fröhlicher Moment des deutschen Sports. Bis zu diesem letzten komischen Moment.

Alexander Zverev brach pikiert die Pressekonferenz ab. Als Sieger. Und ging.

Eine Frage hatte ihm nicht gepasst. Jemand wollte nur noch mal auf sein Schläfchen zu sprechen kommen, das Zverev vor dem Finale zur Zeitüberbrückung genommen hatte; es hatte drei Stunden lang geregnet. Diese Frage war alles gewesen, das hatte aber gereicht, um auch jene Seite zu offenbaren, die tatsächlich auch zu Zverevs Persönlichkeit gehört. Er hat manche Verhaltensweisen nicht immer im Griff: seine Unerschrockenheit, seine Kratzbürstigkeit, seine Giftigkeit, die auf dem Platz seine Stärken sind und ihm helfen, weil er wirklich vor nichts und niemandem zurückschreckt.

Auch wenn es besser wird. Im Tennisbusiness ist diese Unbeherrschtheit kein Geheimnis mehr; oft genug, so ist zu hören, sei dieses Thema ein "Locker-Room-Talk" gewesen, der Gesprächsstoff in der Umkleidekabine. Rafael Nadal sprach Zverev kürzlich wegen eines Vorfalls Demut ab, für Zverev war es ein "Missverständnis". Mittlerweile gibt es Journalisten, die Zverev nichts mehr fragen, weil sie ihn fürchten.

Um aber von der Gewichtung her fair zu bleiben: Die Geschichte von Zverev ist zu 98 Prozent eine Erfolgsgeschichte. Vielleicht zu 99 Prozent. Wenn sein Weg nur halbwegs erwartungsgemäß verläuft, wird er nicht nur in den nächsten zehn Jahren das deutsche Tennis repräsentieren. "Er bringt alles mit für die große Karriere", sagte in München Michael Kohlmann, der ihn als Davis-Cup-Teamchef bestens kennt.

Allein in den vergangenen neun Monaten gewann Zverev drei Turniere, wenn auch der kleinsten ATP-Kategorie (250er). Dass er zugab, er spekuliere darauf, sich für das ATP-Finale in London zu qualifizieren, und weniger auf eine erstmals durchgeführte gleiche Veranstaltung für Jungprofis in Mailand, ist legitim bei seiner Klasse. Oft genug und mit Recht wird fast hymnisch über seine Fähigkeiten berichtet.

Auch in München verdeutlichte er, warum er neben dem Australier Nick Kyrgios das größte Tennistalent zurzeit auf der Welt ist. Auf dem Weg zu seinem ersten Sieg bei einem deutschen Turnier, der ihm natürlich "sehr, sehr viel" bedeutete, glänzte er mit harten Grundlinienschlägen. Sein Aufschlag ist eine Macht. In engen Phasen wagt er die Attacke. Sein Finalgegner Guido Pella aus Argentinien, nach einer 4:2- und 40:15-Führung heillos unterlegen, adelte ihn als "unglaublichen Spieler", als "großartigen Champion". Letzteres dürfte er nach einhelliger Expertenmeinung wirklich werden, auch wenn Zverev weiß: "Um die Nummer eins zu werden, muss ich Grand Slams gewinnen und Masters. Es sind mir noch einige große Spieler voraus."

Mit dieser spielerischen Selbsteinschätzung liegt er richtig, dreimal erreichte er die dritte Runde bei einem der vier wichtigsten Turniere; das zeigt, was ihn noch von der Weltspitze trennt. Für einen 20-Jährigen ist es auch noch relevant, über drei statt zwei Gewinnsätze agieren zu müssen. In Melbourne etwa zwang er in einer spektakulären Partie Rafael Nadal in den fünften Satz. Der Spanier hatte dann aber die größeren Kraftreserven.

Für Zverev, der ein harter Arbeiter hinter den Kulissen ist und sein professionell aufgestelltes Team um den Physio Hugo Gravil erweitert hat, heißt das aber auch im Positiven: Er zählt bereits ohne gutes Grand-Slam-Ergebnis als nun 19. in der Weltrangliste zu den 20 besten Profis. Über zwei Gewinnsätze hat er schon Roger Federer besiegt. Wenn er es jetzt schafft, in Melbourne, Paris, Wimbledon oder New York weit in die zweite Turnierwoche vorzustoßen, könnte er richtig abheben. Ihn treibt ja vor allem eines an: "Er hasst es zu verlieren", so umschreibt Kohlmann eine wesentliche Qualität von Zverev. Der letzte Deutsche, der diese spezielle Emotion in Siege verwandelt hat, hieß übrigens Boris Becker, der mit manchem Selbstgespräch auf dem Platz ("Spiel ihn rüber!!!!") sich noch mehr in die Herzen der mitleidenden Fans kämpfte und zum nationalen Helden aufstieg.

Diesen Status hat Alexander Zverev natürlich noch nicht erreicht, es wäre vermessen, ihn diesbezüglich schon mit Becker zu vergleichen - und doch ist es eine spannende Frage, ob Zverev die Menschen auch über sein beeindruckendes Spiel hinaus erreichen wird. Unübersehbar ist ja, dass Zverev von seinem Management als deutscher Held für eine globale Karriere aufgebaut wird. Der Davis Cup ist ihm wichtig, die deutschen Turniere sind ihm wichtig, große Titel sind ihm wichtig. Nur manche Frage nervt ihn eben schnell. Es könnte schlimmer ums deutsche Männertennis bestellt sein.

© SZ vom 09.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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