Tennisprofi Angelique Kerber:Plötzlich Nummer 22 der Welt

Angelique Kerbers Turniersieg in Paris ist der vorläufige Höhepunkt ihrer kuriosen Wandlung. Kerbers Karriere schien bereits beendet - jetzt ist sie Turniersiegerin, schlug sogar Maria Scharapowa. Auch, weil sie ihren Vater als Trainer entließ.

Philipp Schneider

Niemand sprach mit Angelique Kerber, es gab ja keinen Anlass für Gespräche mit Angelique Kerber. Einer Siegerin. Also saß sie da, eingerahmt in einem Gruppenbild von traurigen Frauen, wilde Haare fielen ihr ins Gesicht, in einer Weise, wie sie nur Damen tragen können, die sich soeben einen furiosen sportlichen Kampf geliefert haben. Sie war still und zufrieden wie ein gefüllter Karpfen.

Angelique Kerber

Nummer 22 der Welt: Angelique Kerber.

(Foto: AP)

Tatsächlich hätte die Tennisspielerin Angelique Kerber in diesem Moment wohl einiges zu erzählen gehabt, darüber etwa, dass Bundestrainerin Barbara Rittner im entscheidenden Einzel Julia Görges den Vorzug gegeben hatte bei der Fed-Cup-Begegnung gegen Tschechien am vorvergangenen Wochenende, die Deutschland sehr bitter 1:4 verlor. Sie hätte auch aufschreien können: "Seht her, ich hätte spielen müssen, nicht Julia, weil ich, mit Verlaub, zur Zeit einfach besser bin!"

Doch Kerber schwieg zu all dem, es genügte ihr, sich hinter wildem Haar dem Gedanken hinzugeben, dass sie gegen die Tschechin Lucie Hradecka den einzigen Punkt für Deutschland erspielt hatte - auch wenn es in der Partie nur noch um die Ehre gegangen war.

Auf Platz 22 der Weltrangliste

Gleichwohl, als sie am nächsten Tag in Stuttgart ihren Koffer packte, um die Reise nach Paris anzutreten, da wird sie den Deckel vielleicht mit etwas mehr Verve als üblich zugeworfen haben. Es hatte sich etwas angestaut in Angelique Kerber, und das entlud sich am Sonntag in dem größten Triumph ihrer achtjährigen Karriere. Beim WTA-Turnier in Frankreichs Hauptstadt fegte Kerber im Viertelfinale in zwei Sätzen über Maria Scharapowa hinweg, die Nummer zwei der Welt.

Im Halbfinale schlug sie in drei Sätzen die Belgierin Yanina Wickmayer, ehe sich am Sonntag ihr Rausch im Finale über der Weltranglistensiebten Marion Bartoli entlud. Nach 2:39 Stunden Spielzeit verwandelte Kerber ihren Matchball zum 7:6, 5:7 und 6:3. Kerbers erster Turniersieg, für den sie 107.000 Euro Preisgeld erhielt, lässt sie nun vorrücken auf Weltranglistenplatz 22, zudem setzt er einen vorläufigen Schlusspunkt unter ihre kuriose Wandlung, die im vergangenen Jahr nach Wimbledon einsetzte.

Bei den vorherigen Grand Slams, in New York, Melbourne, Paris und London, war Kerber in Runde eins gescheitert. In den zwölf Monaten seit August 2010 unterliefen ihr sogar ganze 13 Erstrunden-Niederlagen. Die Karriere einer jungen Frau mit Vorliebe für schrille Farben, die auf dem Tennisplatz immer leuchtet wie eine Warnboje am Great Barrier Reef, schien beendet zu sein, bevor sie begonnen hatte.

Wie im Boot Camp

Doch dann entließ Kerber ihren Vater als Trainer und wechselte im Juli an die Akademie der ehemaligen Davis-Cup-Spieler Rainer Schüttler und Alexander Waske - sechs Wochen vor den US-Open. Und was einer auch von Trainerwechseln halten mag, irgendwie wandelte diese Zeit ein ewiges Talent in eine Spielerin, die unversehens ins Halbfinale von New York einzog.

"Talentiert war Angelique schon immer", sagt Alexander Waske, "mit einem Auge für das Spiel und einem kreativen Handgelenk, mit dem sie sich aus den schwierigsten Situationen lösen kann." Im Prinzip sei die Sache ganz einfach, "wir mussten nur ihre Beweglichkeit so weit kriegen, dass sie bestehen kann gegen die besten Spielerinnen der Welt, die härter und schneller spielen."

Mit gutem Auge lässt sich das Ergebnis der Arbeit in der Akademie noch heute erkennen. Kerber ist nicht nur schneller, sie hat auch an Gewicht verloren, und "nutzlose Masse in Muskulatur umgewandelt", wie Waske sagt: "Als sie zu uns kam, haben wir ihr gesagt, Angie, du musst fitter werden." Dann strich ihr Waske den Turnierkalender zusammen, sie sollte dauerhaft an der Akademie wohnen, eine "harte Struktur" kennenlernen und "nicht mehr abgelenkt werden von Geburtstagen ihrer Freundinnen".

Leichte Bauchmuskelzerrung

Das klingt wie eine dieser schlimmen Geschichten aus den Boot Camps für schwererziehbare Kinder, gleichwohl verschaffte der Drill Kerber den Glauben. In Flushing Meadows, erzählt sie gerne, da habe es "klick gemacht", und in Paris sagte sie: "Ich weiß jetzt, dass ich mit den Besten der Welt mithalten kann." Rein spielerisch verfügt Kerber ohnehin über den angeborenen Vorteil aller Linkshänderinnen, weil sich ihre Aufschläge zur ungewohnten Seite wegdrehen.

Nach ihrem Sieg in Paris flog Kerber gleich wieder weiter. Falls sie trotz einer leichten Bauchmuskelzerrung spielen kann, trifft sie an diesem Dienstag in Doha auf Sabine Lisicki. Die verlor in Stuttgart beide Einzel für Deutschland, doch Kerber wird den Fed Cup ohnehin längst vergessen haben. Den Deckel ihres Koffers ließ sie sicher einfach zuschnappen in Paris. Ganz sanft.

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