Tennis:Zverev löst ein Beben im Tennis aus

The Internazionali BNL d'Italia 2017 - Day Eight

Alexander Zverev: Im Finale mit den Aufschlägen eine Klasse besser als Djokovic

(Foto: Getty Images)
  • Alexander Zverev siegt im Finale von Rom auf begeisternde Weise gegen Novak Djokovic.
  • Von 59 Masters-Turnieren seit 2011 hießen die Sieger 54-mal Djokovic, Roger Federer, Rafael Nadal und Andy Murray. Zverev ist der jüngste Sieger seit Djokovics Erfolg 2007 in Miami.
  • Seine Mentalität hat großen Anteil an seinem Erfolg.

Von Gerald Kleffmann

Ob Alexander Zverev einer ist, der jetzt über diesen Erfolg erschrickt? Als er nach dem Viertelfinalsieg gegen den Kanadier Milos Raonic gefragt wurde, wie er seine Chancen auf den Titelgewinn einschätze, zuckte er nicht zusammen. Er sei eben einer von noch vier Spielern in diesem Turnier in Rom. Ergo: "Ich habe eine 25-Prozent-Chance."

Zverev, 20 Jahre und einen Monat alt, geboren in Hamburg, Bruder des Profis Mischa, 29, Kind zweier früherer russischer Tennisprofis, weiß schon, dass er gut ist. Sehr gut. Und jetzt zeigt er es der Welt. So einfach ist im Grunde seine Geschichte. In Rom war es am Sonntagnachmittag ja tatsächlich Zverev, der die Arme reckte und sich später vom Finalverlierer Novak Djokovic drücken ließ. 6:4, 6:3, zwei Sätze und ein Turniersieg, der mehr ist als ein Statement. Er ist ein Beben im Tennis.

Von 1537 auf 10: Zverevs Entwicklung in der Weltrangliste

Erstmals in der Weltrangliste geführt - 27. August 2012: 1537

Erstmals in den Top 1000 - 26. November 2012: 824

Erstmals in den Top 500 - 7. Juli 2014: 285

Erstmals in den Top 100 - 18. Mai 2015: 85

Erstmals in den Top 50 - 25. April 2016: 49

Erstmals in den Top 20 - 13. Februar 2017: 18

Erstmals in den Top 10 - 22. Mai 2017: 10

Als erster Deutscher seit 2001 (Tommy Haas in Stuttgart) hat Zverev ein Masters-Event gewonnen; die neun Turniere dieser Serie sind gleich hinter den vier Grand Slams in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York eingestuft. Das ist die deutsche Komponente, die im Falle Zverevs nicht mehr reicht. Ein anderer Vergleich veranschaulicht sein Niveau besser: Von 59 Masters-Turnieren seit 2011 hießen die Sieger 54-mal Djokovic, Roger Federer, Rafael Nadal und Andy Murray. Zverev ist der jüngste Sieger seit Djokovics Erfolg 2007 in Miami. Heute nennt sich der Serbe zwölfmaliger Grand-Slam-Champion - und war neben Zverev die zweite große Story Roms.

Agassi wird neuer Djokovic-Coach

Jüngst trennte er sich von seinem ganzen Team, nun scheint er sich zu stabilisieren. Aber gegen Zverev war er machtlos. 64:48 Punkte schaffte der Deutsche. Zverev schlug im Schnitt mit 203 Km/h auf. Djokovic mit 188 Km/h. Das ist eine Klasse Unterschied. Nach dem Finale bestätigte der 29-Jährige eine Nachricht des britischen Telegraph: Der Amerikaner Andre Agassi, 47, die frühere Nummer eins, überdies Ehemann von Steffi Graf, wird sein Coach. Bei den French Open, die am Sonntag beginnen, starten die zwei. Noch so ein Beben im Tennis.

"Ich weiß selber nicht, was ich sagen soll", sagte Zverev im Interview beim Sender Sky zu seinem Sieg. Dann fiel ihm aber doch das Richtige ein: "Es war eines meiner besten Matches, die ich je gespielt habe - und das im Finale von Rom." Wann er an den Sieg geglaubt habe? "Von Anfang an", man müsse positiv in ein Match gehen. Solche Mentalitäten machen Sieger.

Seine Überzeugtheit hatte sich schon während der ganzen Woche ausgedrückt. Er hatte den Südafrikaner Kevin Anderson, den Serben Viktor Troicki, den Italiener Fabio Fognini, Raonic und den Amerikaner John Isner mal glatter, mal knapper besiegt. Jedesmal verdient. Jedesmal trug er ein vielsagendes Gesicht. Ein Tennis-Fotograf nannte es auf Twitter das "this is my f ...-court-face". Tatsächlich wirkt sein Erfolgshunger fast animalisch. Wenn er an der Grundlinie vor dem Return umherstrolcht wie ein Tiger im Käfig, sich das Hemd hochzieht und gierig zum Gegner schaut, möchte man diesem zurufen: Lauf weg! Der Tiger bricht aus! Schon schlägt der nächste Ball ein. Auch Djokovic, ein Defensivkünstler, reagierte oft zu spät.

Mit seinen Entwicklungsschüben übertrifft er viele Erwartungen

Das wirklich Verblüffende an Zverev ist, dass er seine halbe Karriere lang, seit er als eines der größten Talente ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist, dem Erwartungsdruck nicht nur standhielt. Mit seinen Entwicklungsschüben übertrifft er viele Erwartungen. 2012 wurde er erstmals, mit 17, in der Weltrangliste geführt. Nun klettert er auf den 10. Platz im ATP Ranking - und ist damit Mitglied der Top Ten (der bislang letzte Deutsche war ebenfalls Haas, 2007). Auch ein Lohn seines furiosen Spurts zuletzt. In München holte er seinen dritten Tour-Titel (nach St. Petersburg und Montpellier). In Madrid stieß er erstmals ins Viertelfinale eines Masters-Turniers vor. In Rom die nächste Bestmarke.

Wie er das Resultat in Italien sieht? "Es ist ein weiteres Sprungbrett in meiner Karriere", hatte er vor dem Finale gesagt. Ob er nicht doch überrascht sei über das Tempo, mit dem er das Establishment aufmischt? "Überrascht ist das falsche Wort", so Zverev. Er sei "eher glücklich". Er wisse ja, was er alles investiert habe. Und "an einem gewissen Punkt kommt dies zustande" - mit "dies" meinte er seine Erfolge. Manchmal neigt Zverev dazu, leicht aufzubrausen, wenn er etwa nach einer aus seiner Sicht Selbstverständlichkeit gefragt wird. Wenn er aber ruhig bleibt und überlegt antwortet, findet er sehr oft gute Worte.

In jedem Fall ist er von den Jungprofis, die die Männertour ATP mit dem digitalen Label #NextGen (nächste Generation) vermarktet, der mit dem größten Willen. Der Australier Nick Kyrgios, 18. der Welt, mag eine Spur mehr Bewegungstalent und Ballgefühl besitzen. Aber seine Leistungen hängen oft von seinen Launen ab. Gut zwei Jahre tourte Kyrgios ohne Trainer durch die Lande, nun wagt er einen Versuch mit dem Franzosen Sébastien Grosjean. In dieser Zeit hat Zverev mit seinen Helfern Nuance für Nuance verfeinert. Fitnesskoryphäe Jez Green, einst für den heutigen Weltranglisten-Ersten Andy Murray angestellt, machte ihn und seinen Bruder fit wie Navy Seals. Der neue Physio Hugo Gravil reist nun auch mit. Trainiert werden beide Zverevs vom Vater, der in Rom mit jubelte.

Einen motivierenden Mentalcoach braucht Alexander jr. indes nicht. Anfang Mai spielte er in München. Als er Jan-Lennard Struff im Viertelfinale 3:6, 7:6, 7:6 niedergekämpft hatte, ging auf den Trainingsplatz, für 30 Minuten. Zverev wollte mit einem "besseren Gefühl für die aggressiven Schläge" den Arbeitstag beenden, erklärte er. Wohin dieser Spirit führt, sah die Branche in Rom. "Ich werde mich immer an diesen ganz speziellen Sieg erinnern", sagte Zverev; es war ja der erste große. Weitere sollen folgen. Und werden es wohl auch.

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