Tennis:Wieder frei

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Er hat alle Schläge im Repertoire: Die vielfältigen Varianten machen die Spielkunst des Rafael Nadal aus.

(Foto: Julian Finney/Getty Images)

Rafael Nadal hat sich am Ende eines für ihn enttäuschenden Jahres für das Halbfinale beim Turnier der acht besten Profis qualifiziert.

Von Sven Haist, London

Roger Federer hatte sich verlaufen. Beim Saisonausklang der Tennis-Profis in London ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Im Gegensatz zu Wimbledon lebt beim Event der acht besten Tennisspieler des Jahres die Show, die Profis werden wie Boxer in die Arena gerufen. Das abgedunkelte Licht und der Kunstnebel erinnern an eine Dampfsauna. Beim Einlaufen wählte Federer also den Arbeitsplatz von Novak Djokovic aus und benutzte dessen Handtücher. Das fanden viele aufregend, der Schweizer eher weniger. "Ein Handtuch zählt für mich nichts. Es schubst mich nicht weg", witzelte Federer.

Ein kleines Malheur unterlief auch Andy Murray. Der Brite sorgte sich um seine Haarspitzen. Und justierte in einer Spielpause selbst nach. "Ich weiß nicht, warum diese Kleinigkeit für euch eine solche Sache ist", sagte Murray: "Ich hatte einige Haare im Auge und wollte sie loswerden." Seine Sicht konnte Murray zwar verbessern, nicht aber den Durchblick im zweiten Vorrundenspiel. 4:6, 1:6 verlor er gegen Rafael Nadal, deshalb muss er nun am Freitagabend den Schweizer Stanislas Wawrinka besiegen, um Nadal noch ins Halbfinale zu folgen.

Der Spanier bekam von der Frisurenanpassung Murrays gar nichts mit, obwohl er am nächsten dran saß. Während einer Partie ist Nadal ganz bei sich. Den Punkt zum Gewinn des ersten Satzes hakte er mit einer knappen Geste ab. Dabei steckte so viel mehr hinter diesem Rückhandvolley, der den Widerstand von Murray gebrochen hatte. Gleich den Aufschlag hatte Nadal mit zwei angriffslustigen Vorhandschlägen attackiert. Eine weitere Rückhand öffnete ihm die Option, ans Netz zu rücken. Er tat es. War das wirklich Rafael Nadal?

Nadals bisherige 14 Grand-Slam-Titel basierten vorrangig auf Behauptungswillen. Für die Umstellung zu erhöhter spielerischer Finesse hat der 29-Jährige mehr als ein Jahr benötigt. Diese Zeitspanne musste er einkalkulieren, weil seine Taktik, Gegner in ausufernde Ballwechsel zu verwickeln, ihn im Sommer 2014 ausgelaugt hatte. Sein Körper zwang ihn zum Stillstand. Sechs Monate bremsten ihn Verletzungen und Krankheiten. Ihren Tiefpunkt erreichte Nadals Krise in diesem Jahr beim Viertelfinal-Aus bei den French Open, einem Turnier, das er schon neunmal gewann. Erstmals seit 2005 rutschte Nadal bis auf Platz zehn der Weltrangliste ab.

2015 kam Nadal bei keinem Grand-Slam-Turnier weiter als bis zum Viertelfinale

Doch seit Kurzem erlaube ihm der Kopf wieder, bis zum Ende zu kämpfen, sagt Nadal. "Das habe ich eine Weile vermisst." In einem Jahr, in dem der Weltranglistenfünfte bei keinem der vier Grand-Slam-Turniere über das Viertelfinale hinauskam. "Der Unterschied in den letzten Monaten war, dass er Matches verloren hat, in denen er sein Niveau nicht erreicht hat. Das war früher eben anders", kritisierte Nadals Onkel und Trainer Toni.

Erst seit den US Open läuft es wieder besser für Nadal, er gewann 15 von 19 Partien. "Ich habe jetzt eine Basis", sagt er. Was er damit meint, kann die Öffentlichkeit gerade in North Greenwich erleben. Nadal will die Ballwechsel noch stärker dominieren. Mit Handbewegungen ermahnt er sich immer wieder, nach vorne zu gehen.

Oft musste er das gegen Murray nicht tun. Meistens stand Nadal mit einem Fuß im Feld, seine mit Topspin versehene Vorhand trieb seinen Gegner aus dem Feld, in einen Bereich, den er einst freiwillig aufsuchte. Nadal weiß, wie es ist, einen Ball dort abfangen zu müssen - und danach zu einem Stopp zu eilen. Diese Kombination setzt er deswegen vermehrt ein. Die Schlagvarianten sind Ausdruck seiner Spiellust. "In vielen Matches habe ich mir mehr Sorgen um mich gemacht als um meine Gegner", sagt Nadal: "Heute habe ich mich frei gefühlt."

Frei, um anzugreifen. "Ich gehe ans Netz, wenn ich selbstbewusst bin", sagt Nadal. Gegen Murray tat er das 13 Mal - elf Versuche endeten erfolgreich. Als Murray zu Beginn noch nahe an die Grundlinie heranspielte, nahm Nadal den Ball im Aufsteigen. Seine Beinarbeit ermöglichte es ihm, diese Schläge auszupendeln.

In den beiden bisherigen Gruppen- duellen gab Nadal jeweils fünf Spiele ab. Am Samstag spielt er um den Finaleinzug. "Ich werde versuchen, genauso weiterzuarbeiten, um zu bestätigen, dass ich auf dem richtigen Weg bin", sagt Nadal. Bevor er aufschlägt, zupft er sich immer noch an der Hose, dann an seinem Oberteil, zuletzt am Haarband. Nadal legt Wert auf Rituale und sein Erscheinungsbild. Auf der Pressekonferenz wurde er über die Haarschneidemaßnahme seines Gegners informiert. Nadal schaute erstmal ungläubig, dann sagte er, mit einem Lachen: "Eine gute Lösung."

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