Tennis:Wieder bezwingbar

Miami Open - Day 6

Wutausbruch: Serena Williams bei ihrem Achtelfinal-Aus in Miami.

(Foto: Mike Ehrmann/AFP)

Die Amerikanerin Serena Williams kassiert schon ihre dritte Saisonniederlage - eine Veränderung der Landschaft bahnt sich an.

Von Gerald Kleffmann, Miami/München

Der letzte geschlagene Vorhandball flog ins Aus, nicht ein paar Zentimeter. Einen satten Meter. Swetlana Kusnezowa riss ihre Arme allerdings nicht ergriffen in die Höhe, sie ballte nicht die Faust. Sie klopfte sich nur kurz stolz auf den Oberkörper. Ihr Sieg hatte sich schon angebahnt. Nach verlorenem ersten Satz im Tie-Break hatte die Russin das Spiel beherrscht und noch mit den deutlichen Sätzen 6:1, 6:2 für sich entschieden. Serena Williams? Die trollte sich ans Netz, eine freundliche Gratulation. Auch später keine explizite Regung, keine tiefergehende Selbstanalyse, im Gegenteil. "Ich glaube, jetzt ist nicht der Moment, meine Bewegungen zu kritisieren", sagte sie, "ich habe hier schon oft gewonnen, es ist alles okay."

Ist es das wirklich gerade in der Karriere der einzigartigen Serena Williams?

Sie ließ die Saison sausen, spielte aber die Showliga in Asien

Im vergangenen Jahr hatte die Amerikanerin die historische Chance, den Saison-Grand-Slam zu verbuchen, alle vier Majors zu gewinnen. Nach Triumphen in Melbourne, Paris, Wimbledon patzte sie in New York, im Halbfinale, gegen die Außenseiterin Roberta Vinci aus Italien. Dabei war alles auf ihren Coup ausgerichtet, das Frauenfinale seit Monaten ausverkauft gewesen. Die Branche redete nur noch von der Nummer 22. So viele Grand-Slam-Titel hat Steffi Graf gewonnen, Williams ist bei der Zahl 21 angelangt. Und hängt bei ihr fest. Mit Folgen. Seit diesen Septembertagen von New York ist Williams offenbar nicht mehr die gleiche. Sie zog sich zurück, kümmerte sich viel um ihre Modelinie. Spielte den Rest der vergangenen Saison kein Turnier mehr. Nahm nur bei der asiatischen Showliga IPTL teil, in Kobe, Japan, in Manila auf den Philippinen. Und kehrte erst 2016 zurück auf die Tour. Aber auch mit Verspätung. Für den Hopman Cup in Perth sagte sie kurzfristig ab, offiziell wegen Kniebeschwerden.

Leicht gingen Williams, 34, auch in ihrer überragenden Saison 2015 viele Siege nicht von der Hand, aber mit ihren brachialen Schlägen siegte sie doch stets. Demnächst, orakelt Peter Bodo, ein renommierter Tennisexperte von ESPN, "verändert sich die Tennislandschaft"; dazu passte, dass Andy Murray im Männertableau abermals früh scheiterte, nun in Runde drei am Bulgaren Grigor Dimitrow. In Florida bei den Miami Open, bei denen die Frauen und Männer nebeneinander das Turnier austragen, hat Williams bereits die dritte Niederlage seit Ende Januar kassiert (so viele wie 2015), es ist eine mit historischer Bedeutung. Im Achtelfinale von Miami flog die achtmalige Turniersiegerin das letzte Mal vor 16 Jahren raus, damals gegen Jennifer Capriati, die gerade ihren 40. Geburtstag erlebte. Wie selten zuvor ist Williams' Niederlage diesmal eine mit Strahlkraft. Williams ist bezwingbar geworden. Kerbers Erfolg im Endspiel von Melbourne wirkte ja noch wie ein singuläres Ereignis, auch, weil die Kielerin das cleverste Spiel ihres Lebens machte. Asarenka gilt als diejenige, die am ehesten noch Waffen besitzt, um Williams' Geschossen etwas entgegensetzen zu können. In Indian Wells gewann die Weißrussin tatsächlich wieder gegen Williams. Aber Kusnezowa? Die 30-Jährige aus Sankt Petersburg gewann zwar zwei Grand-Slams, 2004 die US Open und 2009 die French Open, aber ihr letzter Sieg gegen Williams lag sieben Jahre zurück. In dieser Saison ist die frühere Weltranglistenzweite (2007) immerhin wieder in Form. Sie gewann das Turnier von Sydney. Gegen Williams profitierte die ausdauernde Grundlinienakteurin aber auch davon, dass ihre Gegnerin die Bälle streute wie eine übersteuerte Ballmaschine. 50 leichte Fehler waren der oft doch etwas schwerfälliger als sonst wirkenden Williams unterlaufen. Schon bei ihrem Dreisatzsieg zum Auftakt gegen Landsfrau Christina McHale waren es genauso viele gewesen. Im vergangenen Jahr bog sie oft Matches noch um. In diesem Jahr gelingt ihr das nicht mehr wie selbstverständlich. Das ist der Trend, der sich in Miami manifestiert hat.

Ihr Coach mahnt an, sie müsse den Kalender sorgsamer planen

"Sie ist ein Champion. Ich sehe keinen Grund, warum sie nicht noch viele Titel holen kann", nahm Kusnezowa Williams in Schutz. Die beiden kennen sich gut. Aber nach einem sicher auch mental fordernden Jahr klingt Williams seltsam ermattet. "Ich kann nicht jedes Match gewinnen. Diese Spielerinnen kommen raus und spielen gegen mich, wie sie es noch nie in ihrem Leben zuvor getan haben", sagte die dominierende Spielerin der jüngeren Tennisgeschichte nach der Niederlage. "Ich muss jeden Tag 300 Prozent geben." Nach drei Minuten beendete sie die Fragerunde. Es ist wohl doch nicht alles okay.

Dass es um eine Neujustierung des Willens und der Gier nach Siegen geht, hatte schon ihr Trainer Patrick Mouratoglou Ende 2015 gemutmaßt. Aber der 45-jährige Franzose hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass mit Williams zu rechnen sei - mit einer Einschränkung: "Sie könnte noch weitere fünf Jahre spielen", befand Mouratoglou, "aber nicht mehr in dem Tempo. Sie müsste ihren Kalender sorgsamer gestalten." Weniger Auftritte bei Turnieren also? Die Tennislandschaft könnte sich 2016 wirklich ändern.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: