Tennis:Von Mensch zu Mensch

Stanislas Wawrinka training at the BNP Paribas Masters Bercy 2015 Paris Cordon Press PUBLICATIONxIN

Der Transformator: Der Schweizer Stan Wawrinka mit seinem schwedischen Tennistrainer Magnus Norman (r.), der als Profi im Jahr 2000 selbst im Finale der French Open stand.

(Foto: Miguelez Spor/Cordon Press/imago)

Der Tennistrainer Magnus Norman aus Schweden beherrscht die hohe Kunst des Coachings. Er hat den Zweifler Stan Wawrinka zu einem Champion geformt.

Von Gerald Kleffmann, Paris

Um die beste einhändige Rückhand im Tennis in Schwung zu halten, braucht es nicht viel. Zwei leere Balldosen, die in den Ecken des Platzes stehen. Als Ziele. Eine Leinentasche, auf der "Roland Garros" steht und in der 40 Bälle liegen. Und jemanden, der diese zuspielt. Magnus Norman könnte auch Trainer im Club Med sein, so wie er die Filzkugeln verteilt. Er macht das ruhig. Manchmal lobt er. Ein entspanntes Bild, wäre da nicht ein Zischen.

Stan Wawrinka drischt die Bälle zurück. Minutenlang. Pause. Beide setzen sich, trinken etwas, die Handys der Zuschauer, an die hundert hundert stehen am Court, gehen hoch, zum Foto. Der bislang dreimalige Grand-Slam-Sieger, der vor zwei Jahren in Paris erstmals die French Open gewann, ist beliebt hier. Norman wird eher missachtet. Aber das stört ihn nicht, er mag das so. Er hatte mal gesagt, er sei gerne im Hintergrund. "Wenn sieben Leute im Raum stehen, bin ich nicht der, der im Fokus ist." Er überlässt anderen die Bühne.

Seinem Spieler Stan Wawrinka natürlich an erster Stelle. Der 32-Jährige aus Lausanne hat ja wieder zugeschlagen und das Finale der French Open gegen Rafael Nadal erreicht (bei Redaktionsschluss nicht beendet). Norman, 41, ein früherer schwedischer Profi, ist derjenige, der dafür sorgte, dass sich Wawrinka selbst nun "Stan the Man" nennt. Diese Transformation ist Normans Verdienst. Er hat den Zweifler zum Champion geformt, die hohe, letzte Kunst des Coachings. Öffentlich kennt ihn kaum einer, dabei ist er im Tennis eine Koryphäe. Ende 2016 kürten ihn die Trainerkonkurrenz zum "ATP-Coach des Jahres", vor Ivan Lendl (der Andy Murray berät) und Günter Bresnik (Dominic Thiem). Boris Becker und Marian Vajda (beide Novak Djokovic waren unverständlicherweise nicht mal nominiert worden. Und doch gab es keinen Widerspruch, als die Wahl auf Norman fiel.

Was ist das Besondere an ihm? Vor den French Open, bei einem Gespräch mit Norman, fällt als Erstes auf: wie höflich er ist. Wie respektvoll. Wie er überlegt. Sein Vater sei sein erster Coach gewesen, sie hätten nie viel geredet. "Aber wenn er etwas sagte, hatte das Hand und Fuß", sagt Norman. Wie bei ihm jetzt. Wawrinka lobte immer, Norman kenne ihn, lese in ihm. "Ja, ich sehe, wie es ihm auf dem Platz geht, sofort", sagt Norman. So erstaunt es nicht, als er seine Philosophie so umschrieb: "Ein Coach zu sein, bedeutet vor allem: ein Individuum zu kennen." Denn: "Man trainiert eine Person. Man trainiert nicht einen Tennisspieler." Nur wenn er wisse, wie der Mensch tickt, könne er ihm als Sportler helfen. Das eine bedinge das andere.

Norman sagt, er habe immer schon wie ein Coach gedacht. Er kam aus einer Kleinstadt, Filipstad, er musste sich selbst coachen. Er wurde ein exzellenter Profi, lernte von erfahrenen Trainern, wurde die Nummer zwei der Welt, stand 2000 im Finale der French Open. Er verlor gegen den Brasilianer Gustavo Kuerten. Verständlich, dass er findet: "Meine Karriere war toll, aber sie fühlte sich unvollständig an." Trotzdem ruht er in sich. Er wirkt glücklich. Einfach nur mit allem im Reinen.

Zwei Jahre nach seiner Laufbahn fasste er keinen Schläger an. Studierte Marketing und Wirtschaft. Arbeitete für eine Fondsgesellschaft. Als ihn der Profi Thomas Johansson bittet, kurz als Trainer zu helfen, ist seine Leidenschaft entfesselt. Er kehrt in die Branche zurück und schafft mit Robin Söderling Unglaubliches. Er führt den schwedischen Profi in zwei French-Open-Finals, spektakulärer: Söderling war der Erste, der den damals als unbesiegbar geltenden Nadal besiegte. 2009 im Achtelfinale. Ein Jahr lang klopfte Wawrinka bei Norman an, er wollte ihn unbedingt. Aber Norman ist loyal. Er kam erst, als Söderling aufhören musste, weil der wegen Pfeifferschen Drüsenfiebers seine Karriere aussetzte (und später beendete). Er wählte Wawrinka vor allem auch, weil er ihn als Mensch mag. Der Ranglistenplatz war ihm egal. Parallel zur Arbeit mit Wawrinka baute Norman in der Nähe von Stockholm eine heute sehr anerkannte Tennis-Akademie für Talente und gestandene Profis auf, sie heißt "Good to Great". Aus gut mach großartig. Mit Wawrinka gelang ihm schon Anfang 2014 exakt dieser Zug, als der Schweizer in Melbourne tatsächlich gleich die Australian Open gewann. Er hatte dabei Djokovic (Viertelfinale) und Nadal (im Finale) besiegt. Stanimal war geboren.

Wie wird man ein Champion? Norman antwortet: "Zunächst mal muss man daran glauben, dass man die Besten besiegen kann." Und: "Es geht darum, in den wichtigen Phasen die Punkte ein bisschen anders zu spielen." Mal müsse man attackieren. Mal abwarte. Kommunikation sei die größte Herausforderung, sagt Norman. Jede Situation ist neu. Mal müsse man Vorgaben machen, mal Vorschläge, mal den anderen Dinge bestimmen lassen. Wawrinka sagte einmal: "Er kam und hat das letzte Puzzlestück zusammengefügt."

Norman ist immer offen für neue Wege. Weil Wawrinka in Wimbledon bisher nie über das Viertelfinale hinauskam, wird er sich dort dieses Jahr zusätzlich die Erfahrung von Paul Annacone (USA) sichern, der schon mit Pete Sampras arbeitete. Norman selbst würde sich nie mit Legenden wie Becker oder Lendl vergleichen. Er gehört als Trainer zu den Größten. Wohl gerade, weil er das Rampenlicht nicht braucht. Als Wawrinka 2015 in Paris siegte, twitterte Norman tags darauf. Er erinnerte daran, dass der Erfolg eines Champions nur zustande kommt, weil in seiner Jugend andere Trainer die Basis für alles legten. Dass er selbst es war, der diese Basis veredelt hat, twitterte er nicht.

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