Wimbledon:Sogar McEnroe schwärmt von Brown

Wimbledon - All England Lawn Tennis & Croquet Club

"Ich bin reifer geworden, ich weiß, ich muss mein Spiel spielen", sagt Rasta-Träger Dustin Brown.

(Foto: Paul Childs/Reuters)
  • Fünf Sätze brauchte der 31-Jährige in der ersten Runde, in der zweiten trifft er heute auf den Australier Nick Kyrgios.
  • Brown ist erst der dritte Deutsche, der eine Wildcard für die Championships bekommen hat. Vergangenes Jahr hatte er Rafael Nadal demontiert.
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Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Am Ende des gepflasterten Weges zu den "Competitors Practice Courts", vorbei am Aorangi Pavilion, ist ein guter Platz für Kameraleute. Per Zoom lassen sich die Spieler dieser 130. Championships in Wimbledon schon von weitem einfangen, wenn sie aus der Umkleide schreiten. Dann kommen sie näher und näher, am Donnerstag flanierten Andy Murray, Serena Williams und Dominic Thiem entspannt zu einem der Übungsplätze.

Als Dustin Brown auftauchte, seine langen Rastas unter einer Mütze versteckt, schwenkte keiner weg. Es klickte, Fernsehkameras liefen, Brown verzog keine Miene. Er weiß, dass er ein Hingucker ist. Der französische Spitzenspieler Jo-Wilfried Tsonga streckte ihm im Vorbeigehen die Faust entgegen, von Buddy zu Buddy. In dieser Liga spielt Dustin Brown, 31, aus Winsen an der Aller.

"Er ist einzigartig. Ich mag so vieles an dem Jungen. Er ist gut fürs Tennis"

Es ist offensichtlich, dass Brown im internationalen Tenniskosmos viel Wertschätzung erfährt, vielleicht mehr als in seinem Heimatland, das ihn so richtig erst im vergangenen Jahr auf dem Radar hatte, zwangsläufig. Brown hat im Vorjahr auf dem Center Court Rafael Nadal demontiert, den 14-maligen Grand-Slam-Sieger, wie immer flogen seine Haare, er zauberte Stopps, Volleys, hechtete, senste und verzückte die Zuschauer.

Brown erlebte die Sternstunde seiner Karriere, die sehr anders verlief als die meisten anderen. Rückhalt von der Mutter, einer Deutschen, und vom Vater, einem Jamaikaner, hatte er, aber er war kein Förderkind eines Verbands, tingelte im Campingbus zu kleinen Turnieren, wo Trainer die Nase rümpften. "Er ist technisch nicht der Beste", wusste am Donnerstag auch John McEnroe der SZ zu berichten.

Dass er sofort eine Analyse parat hat, zeigt den Respekt, den Brown selbst bei Legenden des Sports genießt. Er ist längst über das Image des Tingeltangelbobs hinaus. Er ist, bei allem Spaß, den er bei seinem lässigen Lifestyle offenbar hat, ein fleißiger Profi, über den McEnroe auch sagte: "Er ist einzigartig. Ich mag so vieles an dem Jungen. Er ist gut fürs Tennis."

Das haben sich auch die Verantwortlichen des All England Lawn Tennis and Croquet Club gedacht. Sie gaben Brown diesmal eine Wildcard, die ihm, nach zuletzt drei erfolgreichen Qualifikationsteilnahmen in Wimbledon, die Chance eröffnete, sich mal "in Ruhe auf der Anlage vorzubereiten". Brown fühlt sich in jedem Fall geehrt, die freien Startplätze werden meist an Briten vergeben. Seit 1977 erhielten nur zwei Deutsche eine fürs Männereinzel: Nicolas Kiefer 2010 und Tommy Haas 2012.

Viele rechnen mit einem Spektakel

Als Brown den Anruf erhielt, kam er gerade in Manchester vom Platz, er hatte das dortige Challenger gespielt und später gewonnen. Er geht nach wie vor durch die Mühlen, kleinere Turniere und Qualifikationen zu spielen. Eines war sein Sieg gegen Nadal ja nicht: der Startschuss in eine andere Liga voller Annehmlichkeiten. "Ich kann ja nicht auf den Platz gehen und sagen: Hey, ich habe gegen Rafa gewonnen, ihr müsst alle aufgeben", sagte er nach seinem Erstrunden-Erfolg gegen den Serben Dusan Lajovic. Er siegte im fünften Satz und gab zu: "Ich weiß nicht, ob ich vor sechs Monaten so ein Match gewonnen hätte."

Niemand muss Brown etwas über Wettkampfhärte erzählen, Doppelpartner und Kumpel Jan-Lennard Struff, mit dem er am Donnerstag als Qualifikanten-Duo die zweite Runde erreichte, erinnert sich an die erste Begegnung: "Wir spielten im Doppel gegeneinander, und er hat versucht, mich abzuschießen." Struff lacht. "Der Ball landete rechts oben am Zaun." Brown hat Biss, ja, aber er hat von der Grundlinie auch Defizite, er hatte lange keinen Trainer und einst gar mal für Kollegen die Schläger bespannt, um etwas dazu zu verdienen. Aber er holt das Maximum aus seinen von Ball- und Bewegungsgefühl dominierten Fähigkeiten heraus.

Nun auf dem Show-Court

Zurzeit ist er viertbester Deutscher, als 85. in der Weltrangliste, er tritt im Davis Cup an. Fakt ist aber auch: Nach dem Nadal-Sieg spielte Brown gleich in der Bundesliga für Rot-Weiss Köln. Weitere Stationen waren: Challenger in Meerbusch, Brescia, Jönköping, Heilbronn. Er nimmt so viel mit wie nur geht: große Siege, kleine, Doppel, Mixed, er ruht nicht, und seine Vielspielerei hat ihm - darin besteht die größte Zäsur im Vergleich zu 2015 - abermals einen Schub gegeben: "Ich bin reifer geworden, ich weiß, ich muss mein Spiel spielen." Gegen Nick Kyrgios wird er in der zweiten Runde am Freitag nicht anders agieren.

"Die Norm ist, dass ich auf Court 16 wie in Runde eins spiele", sagte Brown. Gegen Kyrgios, auch ein Kumpel, wartet indes einer der großen Show Courts als Bühne auf ihn, viele rechnen bei den zwei Ballkünstlern mit einem Spektakel, der Fan-Andrang wird gewaltig. Kyrgios ahnt: "Das wird ein Zirkus." Einmal, verriet der Australier, habe er sich einen Schlag von Brown, hinter dem Rücken gespielt, 15 Mal im Internet angesehen. "Es ist einfach toll, ihm zuzuschauen."

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