Tennis:Schöne Grüße von Steffi Graf

Die Deutsche Angelique Kerber erreicht das Endspiel bei den Australian Open in Melbourne und begegnet dort Serena Williams. Ihre Finalteilnahme weckt Erinnerungen an goldene Zeiten.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

Das Handy lag vor ihr, es lächelte sie an, da konnte Angelique Kerber nicht mehr widerstehen. "Soll ich mal gucken?", fragte sie, tippte eine Nachricht an und las vor: "Ich gratuliere. Ich freue mich riesig. Lieben Gruß aus Las Vegas."

Steffi Graf hatte eine SMS geschickt, direkt nach Kerbers größtem Erfolg der Karriere. Die beiden sind lose Freunde, vergangenes Jahr hatte Kerber in Nevada mit Graf trainiert, sich Tipps eingeholt. "Sie ist noch toll in Form", schwärmte Kerber am Donnerstagnachmittag, sie klang dankbar für die Einheiten mit der besten Tennisspielerin, die Deutschland je hatte. Nun, an diesem Samstag, hat sie Gelegenheit, sich zu bedanken. Auf ganz spezielle Weise. Sie muss nur eine gewisse Serena Williams stoppen. Dann bliebe die Amerikanerin bei 21 Grand-Slam-Triumphen - und damit hinter Steffi Graf, die mit 22 Erfolgen bei den vier wichtigsten Tennisturnieren 1999 abgetreten war. "Wir Deutsche müssen zusammenhalten", sagte Kerber und lachte.

Entspannt, ja gewitzt sprach sie über ihren eigenen Erfolg, der ja auch nicht ganz unbedeutend ist. 7:5, 6:2 in einem zähen Duell gewann Kerber gegen die 24 Jahre alte Britin Johanna Konta, die sich als Weltranglisten-47. überraschend ins Halbfinale vorgekämpft hatte - Kerber steht damit als erste Deutsche seit 1996 im Finale der Australian Open; damals hatte Anke Huber verloren, gegen Monica Seles, weshalb Steffi Graf mit ihrem vierten und letzten Melbourne-Triumph 1994 bis heute als letzte deutsche Siegerin firmiert. Kerber saß im voll besetzten Pressekonferenzraum und sprach wundersame Sätze, für eine deutsche Tennisspielerin der Gegenwart allemal. Sie sagte: "Die Reise ist noch nicht zu Ende." Sie gestand: "Der Traum geht weiter, der halbe Traum ist auf jeden Fall schon in Erfüllung gegangen." Sie verriet: "Ich habe mir schon, als ich klein war, Gedanken gemacht, wie es ist, ein Grand-Slam-Finale zu gewinnen."

28 Jahre ist sie inzwischen alt, zweimal stand sie im Halbfinale eines Grand Slams, 2011 bei den US Open, 2012 in Wimbledon. Aber so eine Chance wie jetzt hat sie sich noch nie erspielt. Sie könnte ihren Kindheitswunsch umsetzen, Angelique Kerber sagt: "Jetzt ist es real geworden."

Ihr erstes Grand-Slam-Endspiel trifft sie nicht völlig unerwartet. Sie wollte sich ja "nicht mehr verstecken", so lautete ihre neue Herangehensweise. Ein einschneidendes Erlebnis im vergangenen Oktober hat sie zu dieser Erkenntnis geführt. Beim WTA-Finale in Singapur, dem Abschluss-Event der besten acht Spielerinnen, hätte sie im dritten Match der Gruppenphase gegen die Tschechin Lucie Safarova nur einen Satz gewinnen müssen, um sich fürs Halbfinale zu qualifizieren. Sie schaffte es nicht. Der Druck hatte ihr wieder mal zugesetzt. Sie verkrampfte zu sehr. "Da hieß es wieder, ich hätte meine Nerven nicht im Griff", erzählte Kerber, die direkt danach in den Urlaub geflüchtet war, "aber es fühlte sich nicht wie Urlaub an."

Ein Gedanke ließ sie nicht los: "Vier Jahre in den Top Ten zu sein, ist schön. Aber jetzt muss mal was anderes kommen." Zu Torben Beltz, 39, ihrem Trainer aus Itzehoe, sagte sie damals, eine solche Niederlage wie die in Singapur wolle sie "nie mehr erleben". Sie zog sich schließlich mit ihm in den Taunus und nach Polen zurück, trainierte entschlossen - und wagte Neues: Sie sprach offensiv Ziele aus. Sie druckste nicht rum. Sie sagte, sie müsse endlich bei großen Turnieren um den Sieg spielen. "So habe ich das formuliert", bestätigte Angelique Kerber nun in Melbourne: "Und jetzt bin ich hier - mit Ansage."

Auch ihre Final-Gegnerin Serena Williams schreckt sie folglich nicht, was eigentlich nahe läge. Die Weltranglisten-Erste hat den knapp verpassten Saison-Grand-Slam 2015 offensichtlich gut verkraftet, sie pflügt geradezu durchs Turnier und ließ vor Kerbers Halbfinal-Sieg in nur 64 Minuten die WTA-Weltmeisterin Agnieszka Radwanska aus Polen phasenweise wie eine Jugendspielerin aussehen. Ob Kerber wirklich ein Mittel gegen die hammerartigen Aufschläge von Williams wisse? Ob sie deren harter Vorhand etwas entgegenzusetzen habe? "Sie weiß, wie das geht", sagte Beltz und erinnerte an 2012. In Cincinnati hatte Kerber tatsächlich einmal Williams besiegt; die fünf anderen Duelle verlor sie stets in zwei Sätzen. "Ich will das Finale einfach genießen", sagte Kerber, "ich nehme die Herausforderung an und freue mich."

Sie ist ja bereits jetzt komplett mit sich im Reinen, "in diesen zwei Wochen war alles drin", sagt sie. Mit "alles drin" meint sie zum Beispiel "einen abgewehrten Matchball"; in der ersten Runde war sie gegen die Japanerin Doi fast draußen. Sie meint auch "das deutsche Duell"; in der dritten Runde hatte sie Annika Beck besiegt. Und sie meint, "dass sie immer besser ins Turnier gefunden" habe, etwa im Match gegen Asarenka. Im siebten Versuch hatte sie die starke Weißrussin erstmals besiegt.

Nummer drei - Deutsche Finalistinnen in Melbourne

Angelique Kerber ist erst die dritte Deutsche, die bei den Australian Open das Finale erreicht hat. Vor ihr gelang das lediglich Steffi Graf (fünf Mal) und Anke Huber:

Steffi Graf

1988 Sieg gegen Chris Evert 6:1, 7:6

1989 Sieg gegen Helena Sukova 6:4, 6:4

1990 Sieg gegen Mary Joe Fernandez 6:3, 6:4

1993 Niederlage gegen Monica Seles 3:6, 2:6

1994 Sieg gegen Arantxa Sánchez-V. 6:0, 6:2

Anke Huber

1996 Niederlage gegen Monica Seles 4:6, 1:6

Angelique Kerber, die unauffällige, aber erfolgreiche Kämpferin, hat noch nie lockergelassen. Das war und ist ihre größte Stärke. Aber Williams? "Die Zeit ist reif", befand sie trocken. Wie sehr, das ließ sich einer Einschätzung von Williams höchstselbst entnehmen, die vor ihrem 26. Grand-Slam-Finale meinte: "Du kannst Kerber nicht unterschätzen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: