Tennis:Schluss mit Angie - die neue Kerber gibt sich selbstbewusst

"Ich bin bereit dafür": Angelique Kerber will ihren Status als Nummer eins der Tenniswelt lange verteidigen. Ihr nächstes Ziel: Beim Saisonfinale alle Matches gewinnen.

Von René Hofmann

Gefahren. Überall lauern sie an diesem Vormittag für Angelique Kerber. Mit einem Luftballon in Form einer großen Eins soll sie neben einem Auto ihres Sponsors in die Luft springen. Um das Auto herum aber liegen Tennisbälle. Bloß nicht drauftreten! Auf dem Weg zum nächsten Auftritt hat ein Rasensprenger die Pflastersteine neben den Grünflächen tückisch nass gemacht. Bloß nicht ausrutschen! Angelique Kerber meistert auch das.

Umsichtig weicht sie allen Stolperfallen aus, gelassen überschreitet sie auch glattes Terrain, stets freundlich lächelnd beantwortet sie alle Fragen. Wie das mit dem Preisgeld nach einem Sieg bei den US Open läuft? "Man bekommt es überwiesen. Wann, weiß ich noch nicht", antwortet Kerber. Selbst die Frage nach den Heiratsanträgen returniert sie sicher: "Mich hat noch keiner erreicht. Auf meinen Heiratsantrag warte ich noch."

Angelique Kerber hat am Samstag die US Open gewonnen. Seit Montag wird sie offiziell an der Spitze der Tennis-Weltrangliste geführt, zum ersten Mal seit Steffi Graf hat Deutschland wieder eine Nummer eins. Und seit diesem Dienstag hat das Land seine Nummer eins auch wirklich wieder. Aus New York kommend legte Kerber in München einen Zwischenstopp ein, bevor sie sich für ein paar Tage nach Polen begibt, Ruhe tanken. Für sie beantwortet ihr Reiseweg schon einiges. Zum Beispiel die Frage, wo sie eigentlich hingehört?

"Ein Teil meines Herzens schlägt für Polen, das Land meiner Großeltern. Ich wohne auch dort." Aber: "Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Ich bin Deutsche. Ich bin hier zur Schule gegangen. Deutschland ist meine Heimat." Und: "Am Ende des Tages sitze ich jetzt hier in München."

Kerber ist froh und stolz

Die Rückkehr eines erfolgreichen Sportlers in seine Heimat ist oft spannend. Boris Becker wurde nach seinen ersten Erfolgen in einem Auto durch seinen Heimatort Leimen gefahren, das dem Papamobil ähnelte. Viele Menschen kamen, sie waren neugierig auf Becker - und der bediente die Nachfrage gerne. Sebastian Vettel fuhr nach seinen ersten WM-Titeln sein Formel-1-Auto durch seinen Heimatort Heppenheim. Vettel war froh, es so weit gebracht zu haben, und führte stolz seinen schnellen Wagen vor.

Angelique Kerber? Ist auch froh und stolz darauf, es so weit gebracht zu haben. Eine Olympia-Medaille wollte sie schon als Kind immer gewinnen. Mit der Nummer eins liebäugelte sie auch schon länger. Seit ihrem ersten Grand-Slam-Triumph bei den Australian Open im Januar spürte sie, dass die begehrte Nummer ein realistisches Ziel für sie war. Und die US Open waren für sie auch stets ein besonderes Turnier. Vor fünf Jahren war Kerber dort schon einmal ins Halbfinale gestürmt - nach elf Erstrundenniederlagen in der ersten Jahreshälfte, nach denen sie an ihrer Eignung als Tennis-Spielerin gezweifelt hatte. "Ich wusste, irgendwann kann ich das Turnier gewinnen", sagt Angelique Kerber; und dass sich nun so viele ihrer Wünsche auf einmal erfüllen - "das macht den Moment so ganz besonders".

Olympia-Silber in Rio, Finalerfolg in New York nach Rückstand im dritten Satz gegen die starke Tschechin Karolina Pliskova, und dann nicht irgendwen von der Nummer eins verdrängt, sondern Serena Williams, die dominierende Frau der vergangenen Jahre: Es ist wirklich eine bemerkenswerte Reise, die da am Dienstag für Kerber zu Ende ging. "Den US-Open-Titel und die Nummer eins - auf diese beiden Ziele habe ich all die Jahre hingearbeitet. Jetzt habe ich das Gefühl: Ich habe es geschafft. Und niemand kann mir das jemals wieder wegnehmen. Diese Eindrücke habe ich gerade die ganze Zeit in meinem Kopf und meinem Herzen", sagt sie.

Wie es für Kerber weitergeht

In zwei Wochen wird Kerber zur nächsten Reise aufbrechen. Vier Turniere stehen in diesem Jahr noch an: in Wuhan (ab dem 25. September), Peking (ab 1. Oktober), Hongkong (ab 10. Oktober) und das Tour-Finale in Singapur (ab 23. Oktober). Die Nummer eins verteidigen - "das ist jetzt die nächste Challenge", weiß Kerber, und sie verspricht: "Ich bin bereit dafür."

Das neue Selbstbewusstsein ist ihr anzumerken. Aber das ist alles andere als unangenehm. Weil Kerber gut erklären kann, wo es herrührt. Im vergangenen Jahr traf sie beim Tour-Finale in Singapur im dritten Gruppenspiel auf die Tschechin Lucie Safarova. Kerber wusste: Sie brauchte bloß einen Satz zu gewinnen, dann war ihr das Halbfinale sicher. Es war eine große Chance, doch sie nutzte sie nicht. "Ich hab' es nicht hinbekommen. Ich war zu passiv. Ich habe darauf gewartet, dass sie es mir schenkt", sagt Kerber heute über den Moment.

Kerber trägt flache Schuhe

Safarova aber schenkte ihr nichts. 4:6, 3:6 - mit dieser bitteren Niederlage ging Kerber in die Winterpause und schwor sich: So wollte sie nie wieder verlieren. In New York, als Pliskova sie im dritten Satz in die Defensive drängte, hämmerte sie bei 3:3 und 30:30 eine Vorhand longline ins Feld. "Das war der Schlüsselpunkt. Es war wichtig, dass ich selbst draufgegangen bin", hat Kerber erkannt. Manchmal ist es tatsächlich ein einziger Schlag, der einen gewaltigen Knoten lösen kann.

Angelique Kerber ist eine, die das gelernt hat. Eine, die weiß, wie gut Siege tun, weil die ihr nicht von Beginn an zuflogen. Sie ist 28 Jahre alt. So alt war noch keine beim Debüt an der Spitze der Weltrangliste. Kerber hat erst reifen müssen, um ihr ganzes Können zeigen zu können. Sie selbst nimmt das entspannt. "Mit 18 hätte ich das noch nicht so genießen können", sagt sie über ihren Erfolg. Dieser bringt ihr einen gewissen Status. Einzelgespräche organisiert ihr Management in peniblen Sieben-Minuten-Slots, dazwischen schwebt eine Visagistin heran. Das Make-up, das sie auffrischt, ist aber dezent. "Ich weiß, dass ich so bin, wie ich bin. Und das will ich auch immer behalten", hat sich die neue Nummer eins vorgenommen. Die Gefahr, dass sie abhebt, wirkt tatsächlich gering. Angelique Kerber trägt zu dem Termin, bei dem sie von allen umflattert wird, extrem flache Schuhe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: