Tennis:Ruhig Blut

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Novak Djokovic beweist bei seinem Finalsieg in Wimbledon, wie schnell er aus Fehlern lernen kann. Aus der Niederlage in Paris hat er auch dank seines Trainers Boris Becker die richtigen Schlüsse gezogen.

Von Gerald Kleffmann, Wimbledon

Novak Djokovic war der Erste, wobei er es natürlich auch einfacher hatte. Weißes Hemd, Krawatte binden, Anzug an, fertig. Pünktlich war er zur Stelle, und wenn er abseits des Centre Courts sonst noch gerne an irgendeinem Ort zur Stelle ist, dann hier - beim Champions Dinner im ehrwürdigen Gebäude Guildhall in London. Serena Williams ließ noch etwas auf sich warten, sie hatte ein aufwendiges Kleid anzulegen: ärmelfrei, fast bis zum Boden fallend, in edlem Zartrosa. Bemerkenswert sah die 33 Jahre alte Amerikanerin aus in ihrer Abendgarderobe, sie war absolut angemessen. Als es dann später zu einem Mixed-Tänzchen der beiden Wimbledon-Sieger kam, musste allerdings niemand privaten Ärger fürchten. Jelena etwa, naturschöne Gattin von Novak Djokovic, hatte ihrem Ehemann auf dessen Anfrage, ob er den Tanz wagen dürfe, fröhlich die Erlaubnis erteilt.

Beschwingt, so war die Stimmung im Lager Djokovic nach dessen Meisterstück im Endspiel gegen Roger Federer. Dem Serben war es gelungen, den Schweizer immer konsequenter an der Grundlinie zu halten, weshalb er ihn am Ende doch sehr souverän mit 7:6 (1), 6:7 (10), 6:4, 6:3 bezwang.

"Das Gras schmeckte sehr, sehr gut in diesem Jahr. Ich weiß zwar nicht, was die Platzwarte genau gemacht haben, aber sie haben einen tollen Job gemacht", ließ der nunmehr dreimalige Wimbledon-Champion wissen, nachdem er sich wie 2011 und 2014, seinen beiden anderen Triumphen an der Church Road, nach dem Matchball gebückt und Gras gegessen hatte.

Überdreht oder gar überheblich wegen seines dritten Grand-Slam-Titels in Wimbledon, mit dem er mit seinem von ihm so gelobten Trainer Boris Becker gleichzog, wirkte Djokovic indes nicht. Vielmehr wirkte er in seiner ersten Analyse regelrecht diszipliniert, fast demütig, in sich gekehrt. "Egal, ob ich gewinne oder verliere, nach Finals spüre ich immer erst mal Erleichterung", sprach Djokovic. Mental ging er mal wieder an jene Grenzen, die er ja nach eigener Aussage "immer wieder ausloten" will. Dass ihm nach der frustrierenden Finalniederlage bei den French Open nun schon der nächste Coup gelang, zeigt, wie stark Djokovic mental sein kann.

Seine Bilanz ist fürwahr die beste unter den Profis seit geraumer Zeit: das Jahr 2014 dominiert, in allen drei Grand-Slams des Jahres 2015 im Endspiel gestanden, zwei gewonnen, dazu vier weitere Turniersiege. Mit stattlichem Abstand die Nummer eins im Ranking. "Wenn mir jemand, als ich mit 14 in Serbien war und meinen Weg suchte, gesagt hätte, ich würde nun mit 28 so dastehen, hätte ich sofort eingeschlagen", sagte er. Und doch musste er sich, eine erstaunliche Begleitnote, am Sonntag auch einmal fragen lassen, ob ihn die bedingungslosere Zuneigung nicht störe, die Federer stets erfährt, von den Zuschauern, von den Medien, von allen. Eine etwas hart klingende Frage für einen alten, neuen Rasenkönig. Aber sie war nicht realitätsfremd, das wusste auch Djokovic. So kompromisslos er wie in den Sätzen drei und vier sein Spiel abspulen kann, so sehr ist er auch eine empfindsame Person, die Umweltausschläge registriert.

Ein Walzer mit Serena Williams wäre ihm lieber gewesen, aber so groovte Novak Djokovic zu den Bee Gees. (Foto: Thomas Lovelock/dpa)

Er antwortete entspannt. "Ich habe das erwartet fürs Match", sagte Djokovic zum Thema Sympathievorteil für Federer, den er für den "größten Spieler aller Zeiten" hält. Das beurteilt er "nicht nur anhand von Resultaten, sondern anhand seines Charakters, seiner Persönlichkeit". Dann fügte er mit sanfter Ironie einen kleinen, fast unscheinbar wirkenden und doch aussagekräftigen Satz hinzu: "Ich muss arbeiten und mir die Mehrheit der Unterstützung vielleicht eines Tages verdienen." Hatte dieser Teufelskerl, der im Turnier nur einmal zitterte - beim Fünfsatz-Achtelfinale gegen den Südafrikaner Anderson - nicht gerade das wichtigste Tennisturnier der Welt gewonnen? Hat er mit dem neunten Grand-Slam-Erfolg nicht Andre Agassi, Jimmy Connors, Ivan Lendl und Fred Perry mit deren je acht abgehängt? Und jetzt - will er noch mehr schuften?

Djokovic ahnt: An die dauernde Verehrung, die Federer zuteil wird, kann er so schnell nicht herankommen. Federer und auch Rafael Nadal haben überdies einen zeitlichen Vorsprung und zuerst Erfolge und Aufmerksamkeit errungen; als Federer 2003 erstmals in Wimbledon siegte, errang Djokovic einen Sieg bei einem Future-Turnier. Umso mehr drückt Djokovic mit 28 nun aufs Tempo, in seiner "Prime", wie er seine Blütephase nennt. "Ich will sehen, wie weit ich bei der Titeljagd komme."

Die Sympathien der Zuschauer fliegen ihm nicht so zu wie Roger Federer, er muss sie sich mit spektakulären und erfolgreichen Tennis erarbeiten. (Foto: Julian Finney/Getty Images)

Achtung ist dabei eher das, was ihm entgegengebracht wird, diese freilich in hohem Maße. "Er steigt weiter auf", so ordnete der Verlierer Federer den Rivalen Djokovic grundsätzlich im Zirkel der Tennisgrößen ein; wie hoch, "das muss man sehen". Federer, der den historisch einzigartigen achten Wimbledon-Titel verpasste, zeigte Klasse als Unterlegener, er wusste sich clever zu trösten - die Empathie von allen Seiten "bedeutet mir fast so viel wie das Gewinnen", meinte er. Eine solche Haltung lässt sich mit einmaligen 17 Grand-Slam-Titeln sicher auch leichter leben.

Der Sieger schrieb einen großen Anteil seinem Coach Boris Becker zu. Seit dieser ihn trainiert, ist Djokovic in Wimbledon ungeschlagen. "In den harten Zeiten war Boris da, wie auch mein gesamtes Team. Sie haben mir, zum Beispiel nach der Niederlage in Paris, neuen Mut gegeben." Wie, das erklärte der 47 Jahre alte Becker, der gleich um die Ecke des All England Clubs sein Zuhause hat, so: "Bei den French Open war er zu zögerlich, er wollte Stan Wawrinka Fehler machen lassen. Aber in einem Grand-Slam-Finale gewinnst du so nicht."

Das war es wohl, was Djokovic meinte, als er sagte, er wolle "immer etwas lernen" aus seinen Auftritten. In Wimbledon zeigte er, dass er aus Paris gelernt hat. Gegen Federer fiel auf, dass er trotz sieben vergebener Satzbälle im zweiten Satz seine Emotionen nach einem kurzen Ausbruch (er riss sich ein Hemd vom Leib) sofort wieder im Griff hatte. Und wieder aggressiver spielte. "Du musst ruhig sein, weil nur der ruhige Kopf, der gelassene Kopf Matches gewinnt", sagte er. Becker ergänzte: "Novak war bereit, fünf Stunden zu gehen, und das hat er, denke ich, auch ausgestrahlt." Das Zermürbende, das früher gerade Nadal verkörperte, strahlt im Idealfall heute keiner besser aus als Djokovic.

Zeit brauche er nun, sagte Djokovic; es sei wichtig, wieder Kraft zu tanken, "die Balance im Leben zu halten". So könne er "alle mögliche Energie für die Hartplatzsaison sammeln", und das klang schon wieder nach der nächsten Kampfansage. Doch erst mal stand das Tänzchen an, zum legendären Bee-Gees-Song "Night Fever" ließen Serena Williams, die ihren vierten Grand-Slam-Sieg in Serie feierte, und Djokovic die Hüften wackeln. Die Menge im Saal johlte, und Djokovic strahlte. Auch wenn er lieber Walzer getanzt hätte, wie er anschließend verriet.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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