Tennis-Profi Petkovic sagt Australian Open ab:Wenn Trainingseifer zum Problem wird

Monatelang ignorierte die derzeit beste deutsche Tennisspielerin Andrea Petkovic ihre Rückenschmerzen. Jetzt ist es zu spät. Wegen eines Ermüdungsbruchs fällt sie mehrere Wochen aus, verpasst die Australian Open und wird in der Weltrangliste abrutschen. Ob sie in Zukunft besser auf die Warnsignale ihres Körpers hört?

Michael Neudecker

Barbara Rittner hat am Dienstagmorgen eine SMS bekommen: Andrea Petkovic wollte, dass sie es als erstes erfährt. Andrea Petkovic, die Nummer eins im deutschen Frauentennis, ist verletzt, sie fällt wohl rund zwei Monate aus, also auch für die am Montag beginnenden Australian Open und die erste Fed-Cup-Runde gegen Tschechien gleich danach. "Das tut mir unheimlich leid", sagt Rittner, deutsche Fed-Cup-Teamchefin, sie klingt schwermütig, als sie am Mittwochnachmittag im Auto sitzt. Seit Petkovic am Morgen ihre Absage via Twitter veröffentlicht hatte, stand bei Rittner das Telefon nicht mehr still.

Andrea Petkovic

Diese Hilfe kam zu spät: Andrea Petkovic bei einer Behandlung während ihres Spiels gegen Agnieszka Radwanska in Sydney.

(Foto: AP)

Andrea Petkovic ist ja nicht irgendwer: Sie ist die derzeit beste deutsche Tennisspielerin, Nummer zehn der Welt. Für die Branche ist die 24-Jährige aus Darmstadt nichts weniger als der dringend ersehnte Beleg, dass es wieder aufwärts geht im deutschen Tennis.

Natürlich war Barbara Rittner überrascht, alle waren das: Petkovic' Ausrüster hat dieser Tage ja bereits die Werbefotos veröffentlicht, auf denen Petkovic ihr Outfit trug, das sie beim ersten Grand-Slam-Turnier des Jahres präsentieren sollte. Petkovic selbst saß am Mittwoch im Flugzeug auf dem Heimweg aus Sydney. Sie hatte am dortigen Turnier teilgenommen und in der zweiten Runde gegen die Polin Agnieszka Radwanska verloren. Während der Partie musste sie behandelt werden, lag mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Boden.

Seit mehreren Wochen schon klagt Petkovic über Rückenschmerzen, erst jetzt ließ sie den immer stärker werdenden Schmerz durch eine Kernspintomographie untersuchen. Danach wurde bekanntgegeben, sie habe sich einen Ermüdungsbruch im Bereich des Iliosakralgelenks zugezogen.

Nein, sagt Rittner, sie habe von so einer Verletzung auch noch nie gehört.

Das Iliosakralgelenk ist eines der Gelenke, von denen der medizinunkundige Mensch nichts weiß; ein wenig bewegbares Gelenk, das die Verbindung zwischen Kreuzbein und Darmbein herstellt und also im Becken sitzt. Brüche dieses Gelenks können bei Verdrehungen des Beckens oder Stürzen auftreten. In Petkovic' Fall handelt es sich allerdings um einen Ermüdungsbruch, der eine für Leistungssportler typische Verletzung ist - aber eher an Bein- oder Fußknochen.

Ermüdungsbrüche entstehen durch hohe, wiederkehrende Belastung, im Knochengewebe bilden sich Risse. Ein Ermüdungsbruch am Iliosakralgelenk ist selten, er lässt auf hohe Belastungen schließen, die auf den Rücken und das Becken eingewirkt haben müssen.

Auch Lisicki und Görges bangen um Australian Open

Am Freitag wird Andrea Petkovic in Frankfurt zum Arzt gehen, sollte sich die Diagnose bestätigen, wird sie sechs bis acht Wochen pausieren müssen - mindestens. In einer von der Vereinigung der Profi-Tennisspielerinnen WTA veröffentlichten Stellungnahme ließ Petkovic mitteilen, die Verletzung sei "eine riesige Enttäuschung", sie habe sich "viele Wochen durch eine harte Vorbereitung gequält", habe "alles dem Sport untergeordnet".

Ihr tue vor allem der Umstand leid, sagt Barbara Rittner, "dass sie für ihren Trainingseifer bestraft wird". Gerade das aber scheint das Problem zu sein: Petkovic' Trainingseifer.

"Ich quäle mich gerne, ich mag das, mich komplett zu verausgaben und an meine Grenzen zu gehen", das hat Petkovic an Weihnachten in einem Interview der FAZ gesagt. Von Schmerzen hat sie nicht geredet, obwohl sie den Schmerz am Rücken schon seit längerer Zeit verspürt; statt zu pausieren aber trainierte Petkovic in der Pause zwischen vergangener und neuer Saison in der Akademie des ehemaligen Profis Alexander Waske. "Ich habe immer geglaubt, dass es besser würde", ließ sie nun verlauten, "und habe deswegen die Schmerzen bekämpft."

Petkovic, so sagt es Rittner, sei "der Typ Augen zu und durch". Außerdem: Man lasse ja nicht bei jedem Schmerz eine Kernspintomographie machen, und Andrea Petkovic schon gar nicht.

Barbara Rittner will Andrea Petkovic keine Vorwürfe machen, aber vielleicht, sagt sie, könne diese Verletzung ihr ja auch einen Hinweis geben, dass sie künftig etwas mehr auf ihren Körper achten sollte: "Vielleicht", sagt Rittner, "muss man die Warnsignale des Körpers ernster nehmen als bisher."

Bei den US Open im vergangenen Herbst war die Hessin trotz heftiger Knieprobleme angetreten, hatte das Viertelfinale erreicht und danach in ihrem Bestreben, beim Saisonfinale in Istanbul dabei sein zu können, auf eine Pause verzichtet. Sie machte einfach weiter, auch, weil sie den Großteil ihrer Punkte in den ersten vier Monaten von 2011 gesammelt hatte und nun verteidigen wollte. Jetzt wird die Zwangspause ihr etliche Weltranglistenplätze kosten.

Rittner fehlt nun zudem im Fed Cup die wichtigste Führungskraft, "das Bindeglied zwischen mir und Mannschaft", wie Rittner sagt. Obendrein ist Petkovic nicht die einzige Deutsche mit Verletzungssorgen: Sabine Lisicki kämpft noch mit den Folgen einer Bauchmuskelzerrung, es gehe ihr aber von Tag zu Tag besser, sagt Rittner. Sie lasse zurzeit im Training die Aufschläge weg, das helfe.

Und Julia Görges wartet auf die Auswertung eines Blutbildes, sie fühlt sich nach einer Virusinfektion kraftlos. Görges hoffe, sagt Rittner, dass sie bei den Australian Open, so sie denn starte, zunächst leichtere Gegner bekomme, um kürzere Ballwechsel zu haben: Dann, sagt Barbara Rittner, hätte sie da die Chance, sich zu erholen.

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