Tennis:Plötzlich ist alles möglich

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Der Einzug des Fed-Cup-Teams ins Halbfinale eröffnet dem deutschen Tennis die Chance auf ein denkwürdiges Jahr - die Männer sind in Spanien kein Außenseiter, und Angelique Kerber wie Julia Görges kehren zurück.

Von Gerald Kleffmann, Minsk/München

"Basti, wie alt bist du noch mal?", ruft Barbara Rittner unüberhörbar am Handy in Minsk. Dann ist für einen Moment Stille. "25 ist er, er steht in voller Kraft", sagt Rittner und lacht. Basti ist Sebastian Sachs aus Ditzingen, ein früherer College-Spieler, den Rittner als Sparringspartner vor zwei Jahren in Stuttgart entdeckte. "Der spielt acht Stunden am Tag mit allen, das ist ihm egal", erklärt Rittner, die 13 Jahre lang das Fed-Cup-Team betreute und nun als Head of Women's Tennis des Deutschen Tennis-Bundes Supervisorin der deutschen Frauen ist. "Unser Team als Team hält alles zusammen", sagt Rittner, und dieser Geist, dass jede Kraft wichtig sei, auch der Basti, sei einer der Gründe, warum dieser Erfolg gelungen sei. Mit 3:2 zog das Fed-Cup-Team am Sonntag gegen Weißrussland ins Halbfinale ein, ohne Angelique Kerber und Julia Görges, auch Carina Witthöft, Laura Siegemund, Andrea Petkovic und Sabine Lisicki fehlten.

"Ich denke, der Einstand ist mir ganz gut gelungen", sagt Jens Gerlach später, auch am Telefon. Der neue Teamchef, Rittners Nachfolger, war bereits auf dem Weg zum Flughafen. Mit der Mannschaft, die tatsächlich stattliche Größe hatte. Nur Tatjana Maria, die zwei Punkte beigesteuert hatte (am Sonntag mit 6:4, 5:7, 6:0 gegen Vera Lapko, im entscheidenden Doppel mit Anna-Lena Grönefeld gegen Lidziya Marozava/Aryna Sabalenka mit 6:7 (4), 7:5, 6:4), und Anna-Lena Friedsam waren am Montagfrüh schon abgereist, nach Doha, zum nächsten Turnier. Aber Antonia Lottner zählte zum Tross, die 21-Jährige aus Düsseldorf, die am Samstag ihr Debüt-Einzel gleich gegen die favorisierte Alexandra Sasnowitsch 7:5, 6:4 gewonnen hatte, obwohl geschwächt von einem Magen-Darm-Infekt. "Am Freitag hatte sie nicht trainiert und am Samstag sich nur acht Minuten eingeschlagen", berichtet Rittner. "Ich bin stolz auf diese Mädels", sagt Gerlach, der 2004 die Russin Anastasia Myskina als Coach zum French-Open-Sieg geführt und viele internationale Stationen danach durchlaufen hatte. "Man sieht, dass im Fed Cup vieles passieren kann und man nicht auf die Ranglistenplätze der Spielerinnen schauen muss." Wir sind chancenlos, aber wenn wir zusammenstehen, können wir Weißrussland ärgern - mit dieser Einstellung war das DTB-Team angetreten. Sogar die eigene Pressestelle benannte den Erfolg in einer Mitteilung als "Sensationssieg". Der eigene Glaube war nicht allzu groß. Umso größer ist nun die Erleichterung, nicht nur aus sportlichen Gründen.

Deutscher Jubelknäuel als Symbol der Geschlossenheit: Das Fed-Cup-Team des DTB nach dem überraschenden 3:2-Sieg in Weißrussland. (Foto: Sergei Grits/dpa)

Am Wochenende ging es auch um die Demonstration, dass nach der Ära Rittner die Stabübergabe an Gerlach funktioniert, dass der 44-Jährige den Beweis erbringt, nicht nur Spielerinnen motivieren zu können, sondern dass er auch die kleinen und größeren Debatten intern wie öffentlich vernünftig moderiert. Gerlach ist das offenbar gelungen, einen "exzellenten Job" habe er gemacht, attestiert Rittner, wobei schon eine Eigenschaft des neuen Fed-Cup-Chefs offensichtlich wird: Er wirkt ähnlich uneitel wie Pendant Michael Kohlmann, der Chef der Davis-Cup-Männer, die Anfang Februar mit dem überraschenden Sieg in Australien ihrerseits zum positiven Bild der deutschen Profis beitrugen. "Das einzige Gesicht, das neu war, war meines", sagt Gerlach, "ohne das Team wäre das hier nicht möglich gewesen." Damit meinte er etwa Mike Diehl, den Bruce-Willis-haften Fitnesscoach, Petra Winzenhöller, die loyale Physiotherapeutin, Dietrich Wolter, den Teamarzt, der diesmal viele gesundheitliche Probleme im Team zu behandeln hatte, Klaus Eder, den zweiten Physio, Dirk Dier, den Feuerwehrmann an allen Fronten, Klaus Eberhard, den Sportdirektor. Sie alle standen oft genug an der Seitenlinie, anfeuernd, mitfiebernd, wie auch auf der Tribüne DTB-Präsident Ulrich Klaus, Vize Eva-Marie Schneider und Robert Hampe, Chef des DTB-Bundesausschusses. Im Grunde brauchen die Fed-Cup-Frauen keine Fans, sie bringen den eigenen Fanklub nun immer selbst mit.

Die Chance, ein spezielles 2018 zu erleben, ist plötzlich riesig für den DTB. Die Männer treten vom 6. bis 8. April in Spanien (wohl ohne Rafael Nadal) an, die Frauen am 21./22. April gegen Tschechien, in Stuttgart, wie Rittner bestätigt; erstens stammt der Teamtitelsponsor von dort, zweitens findet direkt danach der Porsche Tennis Grand Prix statt, Deutschlands wichtigstes Frauenturnier. "Angie und Jule werden wieder spielen", kündigt Rittner an, "sie hatten eine Standleitung jetzt. Angie hat sogar eine Videobotschaft geschickt."

Dass im April eine der Siegerinnen von Minsk aus dem Team rutscht, ist allen klar. "Wir werden es honorieren, wie sich alle präsentiert haben", kündigt Rittner an, sie meinte: etwa durch Vergaben von Wildcards. Gerlach sieht Kerber und Görges ohnehin nicht automatisch auf dem Platz, "Verletzungen oder Erkrankungen können immer mal passieren". Für ihn ist es umso besser zu wissen: Auch mit Kräften hinter den aktuellen Nummern neun und zehn der Welt kann sich das Team zeigen. Der Spirit passt. Und ein besonderes Abenteuer kommt ja nun auf die Frauen zu: "Wir haben das erste Mal seit fast 25 Jahren wieder ein Halbfinale zu Hause", sagt Rittner. "Das wollen wir alle genießen."

© SZ vom 13.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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